Zivilgesellschaftliche Organisationen
Gegen die Instrumentalisierung von Anti-Fake-News-Gesetzen

Desinformation ist nicht mehr nur eine Frage der Kontrolle von Information und Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung. Inzwischen nutzen mächtige Regierungen sogar den vermeintlichen Kampf dagegen zunehmend als Instrument der Unterdrückung. Zwischen 2011 und 2022 führten laut Statista 78 Regierungen weltweit Gesetze gegen Falschinformation, Desinformation und Fehlinformation ein – vorgeblich, um Fake News zu bekämpfen. (Wir verwenden Fake News hier als Oberbegriff für Desinformation und andere falsche oder irreführende Informationen.) Tatsächlich aber nutzen illiberale Regierungen diese Gesetze oft als Instrumente, um damit kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft und die politische Opposition zu unterdrücken.
In Süd- und Südostasien, wo mehr als 1,6 Milliarden Menschen das Internet nutzen, ist dieser Trend alarmierend – das zeigt eine Studie, mittels der wir untersucht haben, wie solche Rechtsakte missbraucht werden. Wir sprechen von „Anti-Fake-News-Gesetzgebung“ (AFNL – Anti-Fake News Lawfare). Unsere Auswertung von Archivmaterial, Nachrichten und Interviews mit relevanten Quellen ergab mindestens 239 AFNL-Fälle zwischen 2018 und 2024 in Bangladesch, Indien, Indonesien, Malaysia, Thailand und auf den Philippinen. Betroffen waren Medienschaffende, Akademiker*innen und Aktivist*innen, die in digitalen Räumen arbeiten und ihre Meinung äußern.
Muster der Anti-Fake-News-Gesetzgebung
Während unserer Recherchen zeigten sich mehrere Muster beim Einsatz von AFNL in dieser Weltregion:
- Fake-News-Gesetze sind oft vage formuliert. Dies gibt staatlichen Vertretern viel Spielraum bei der Definition von Desinformation; Kritik an der Regierung kann ebenso darunterfallen wie Oppositionsarbeit. Widerspruch wird so als „Desinformation“ kriminalisiert, die angeblich die Stabilität der Regierung, die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit bedroht.
- In der Folge wird AFNL häufig im Zusammenhang mit Straf- und Sicherheitsgesetzen angewandt, besonders von Sicherheitskräften.
- Andersdenkende sind oft heftigen Anschuldigungen ausgesetzt. Das zwingt sie dazu, viel Zeit, Energie und Ressourcen für langwierige juristische Auseinandersetzungen aufzuwenden.
- Meist geht es um Beiträge auf Facebook, YouTube und X (ehemals Twitter). Absurderweise wurden so gerade Social-Media-Plattformen, die viele als zentral für politische Meinungsäußerung und demokratische Teilhabe erachten, zu Orten der Unterdrückung.
- AFNL werden extrem parteiisch durchgesetzt. Regierungstreue, denen vorgeworfen wird, Desinformationen im Internet zu verbreiten, werden oft geschützt. Wer die Regierung dagegen kritisiert, muss mit harten Strafen rechnen.
- Während der Corona-Pandemie instrumentalisierten Regierungen Fake-News-Gesetze zunehmend. Die Behörden nutzten sie immer öfter dazu, jene einzuschüchtern, die ihre politischen Maßnahmen in Frage stellten. Regierungen beriefen sich während der Pandemie auf Notstandsbefugnisse, um mittels AFNL Meinungsäußerungen zu überwachen.
- Durch AFNL haben Regierungen mehr Einfluss auf Online-Plattformen. In wichtigen Märkten wie Indien und Indonesien haben die Regierungen Unternehmen unter Druck gesetzt, damit sie Userdaten weitergeben und Inhalte im Rahmen von Verordnungen wie den indischen IT Rules 2021 und der indonesischen Ministerial Regulation 5 entfernen. Sie haben es geschafft, das digitale Spielfeld stark zu ihren Gunsten zu verändern.
Strategien gegen Anti-Fake-News-Gesetzgebung
Unsere Untersuchungen zeigen aber, dass trotz dieser besorgniserregenden Trends der Widerstand in der Zivilgesellschaft wächst. Zu den diversen Strategien, die sich im Kampf gegen AFNL als wirksam erwiesen haben, gehören rechtliche Schritte, Advocacy, Ressourcenmobilisierung, Kapazitätsaufbau und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Zusammenarbeit mit politisch Verantwortlichen und Partnern über Grenzen hinweg. Diese Strategien teilen ein Grundverständnis: AFNL zu bekämpfen bedeutet, gegen die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen „Kosten“ anzugehen, die die Zivilgesellschaft daran hindern, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Kurzfristige Reaktionen auf AFNL sind unter anderem die Erweiterung kostenloser Rechtshilfe für betroffene Aktivist*innen, Medienschaffende und Organisationen. Netzwerke von Menschenrechtsanwält*innen spielen in ihren jeweiligen Ländern eine wichtige Rolle; sie versuchen verstärkt, die Zusammenarbeit in der gesamten Region auszuweiten. Dazu zählen die Thai Lawyers for Human Rights, das indonesische Legal Aid Institute, die Lawyers for Liberty in Malaysia, die Free Legal Assistance Group auf den Philippinen und das Centre for Social Justice in Indien.
Auch arbeiten Anwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in Asien zusammen, um gezielt die staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Verfahren in ihrem Land zu nutzen. In Ländern mit einer gewissen Unabhängigkeit der Justiz, wie in Indien und auf den Philippinen, versucht die Verteidigung zu erwirken, dass Verfahren bereits im Stadium der Anklage eingestellt werden, um kostspielige, langwierige Prozesse zu vermeiden. Das hilft vor allem Medienschaffenden und politisch Aktiven mit geringen finanziellen Mitteln.
Neben den juristischen Bemühungen haben verschiedene Gruppen Gelder für Betroffene von AFNL gesammelt. Organisiertes Fundraising erlaubt es Gruppen, Gelder für Kautionen, Anwaltskosten und sonstige prozessbezogene Ausgaben besser zu verwalten und die finanzielle Belastung abzuschwächen, die langwierige juristische Auseinandersetzungen mit sich bringen.
Öffentliche Aufmerksamkeit erregen
Außerhalb des Gerichtssaals nutzen Aktivist*innen und Medienschaffende innovative Taktiken, um die Öffentlichkeit auf AFNL aufmerksam zu machen und politische Gegenreaktionen zu erzeugen. Auf den Philippinen etwa nutzte die Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa ihr „Reputationskapital“, um in- und ausländische Unterstützung zu gewinnen. Sie machte aus rechtlichen Einschüchterungen eine Kampagne gegen AFNL.
Auch strategische Rechtsstreitigkeiten und Verfassungsbeschwerden sind effektiv. In Indien etwa stoppte der Oberste Gerichtshof im März 2024 den Aufbau einer Fact-Checking-Einheit durch die Regierung. Zuvor hatten die Editors Guild of India und der Komiker Kunal Kamra geltend gemacht, dass dies eine Verletzung der Rede- und Pressefreiheit darstelle. Der Gerichtshof warnte davor, dass staatliche Fact-Checking-Einheiten Andersdenkende abschrecken könnten.
Das indonesische Verfassungsgericht erklärte 2024 einen Artikel des Strafgesetzbuchs und zwei Artikel des Gesetzes Nr. 1/1946 zur Regelung des Strafrechts – alle im Zusammenhang mit Falschinformationen – für verfassungswidrig. In Malaysia wurde das berüchtigte Anti-Fake-News-Gesetz von 2018 aufgehoben, nachdem die Oppositionsparteien die Parlamentswahlen im selben Jahr gewonnen hatten. Anfang 2025 verabschiedete das malaysische Unterhaus einen Gesetzentwurf zur Einrichtung des Malaysischen Media Council – eines unabhängigen Gremiums aus 21 Vertreter*innen von Medienunternehmen, Medienverbänden und anderen Interessengruppen. Der Rat wird als wichtiger Schritt zur Reform des Rechtsrahmens für die Meinungs- und Medienfreiheit angesehen. In ähnlicher Weise haben hartnäckige Kampagnen der Zivilgesellschaft auf den Philippinen die Abgeordneten des Unter- und des Oberhauses dazu gebracht, im Jahr 2022 Gesetzentwürfe zur Entkriminalisierung von Verleumdungen im Internet einzubringen, gefolgt von einer Verordnung des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2023, die die Entkriminalisierung unterstützt.
Alternativen zu restriktiver Gesetzgebung
Um gegen AFNL vorzugehen, braucht es zivilgesellschaftliche Alternativen zu restriktiven Gesetzen. Faktencheck-Organisationen wie Cofact in Thailand, AltNews in Indien, BD Fact-Check in Bangladesch oder JomCheck in Malaysia tragen dazu bei, indem sie gegen Desinformation vorgehen und Informationskompetenz fördern. Unterstützt werden solche Bemühungen von Forschenden und zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen, die analysieren, wie Gesetze einseitig durchgesetzt und Inhalte manipuliert werden. Dank ihnen gibt es immer mehr umfassende Strategien zum Schutz der Integrität von Informationen.
In Süd- und Südostasien stehen zivilgesellschaftliche Aktivist*innen letztlich zwischen illiberalen Regierungen und mächtigen Technologieunternehmen. Sie profitieren zwar von einem gesteigerten öffentlichen Bewusstsein für digitale Unterdrückungstaktiken, aber sie brauchen auch dringend mehr nationale und internationale Unterstützung, um die Informationsvielfalt zu schützen und demokratische Institutionen zu stärken.
Link
Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA): Anti-Fake News Lawfare (AFNL).
fakenewslawfare.com
Sangeeta Mahapatra ist Research Fellow am Institut für Asien-Studien des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA).
sangeeta.mahapatra@giga-hamburg.de
Janjira Sombatpoonsiri ist Research Fellow am GIGA-Institut für Asien-Studien.
janjira.sombatpoonsiri@giga-hamburg.de
Andreas Ufen ist Senior Research Fellow am GIGA.
andreas.ufen@giga-hamburg.de