Editorial

Ungenügend informiert

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Viele Europäer fühlen sich aber vom Islam bedroht. Historisch geht das bis zu den Mauren in Spanien zurück. Genährt wird die Angst von islamistischen Terroristen, die beispielsweise in Madrid und London Attentate verübten. Hinzu kommt dumpfes Unbehagen gegenüber Zuwanderern. Bessere Kenntnisse der fremden Religion könnten helfen, die Angst im Griff zu halten.

Wer vor einem „clash of civilisations“ mit „dem“ Isalm warnt, ignoriert, dass unzählige Opfer islamistischer Gewalt selbst Moslems sind, und übersieht die Kluft zwischen Schiiten und Sunniten. Sie spielt zum Beispiel in Bahrain eine Rolle, wo die sunnitische Monarchie mit Hilfe Saudi-Arabiens die Mitbestimmungswünsche ihrer mehrheitlich schiitischen Bevölkerung unterdrückt.

Bahrain und Saudi-Arabien sind Verbündete des Westens. Saudi-Arabien ist zugleich das finanzstarke Gravitationszentrum der Wahabiten, der dogmatisch-konservativen Sunniten. Viele Fäden des sunnitischen Fundamentalismus laufen hier zusammen. Weil sich das schiitisch-fundamentalistische ­Regime im Iran um die Jahrtausendwende von den sunnitisch-fundamentalistischen Taliban in Afghanistan bedrängt fühlte, gewannen Riad und ­Washington deren Diktatur lange Zeit einiges ab.

Das war vorbei, als Osama Bin Laden – selbst Saudi – beschloss, seine Heimat sei wegen der Stationierung von US-Truppen nicht mehr rein, und von Afghanistan aus im September 2001 Angriffe auf New York und Washington organisierte. Al-Kaida hat aber auch in vielen muslimisch geprägten Ländern von Indonesien im Osten bis Marokko im Westen gemordet. Ende April tötete eine Bombe in Marrakesch Marokkaner und Touristen.

Heute ist vermutlich Pakistan der Staat, den religiöse Extremisten am meisten gefährden. Es ist kein Zufall, dass Bin Laden dort gefunden und getötet wurde. Die eigentliche Tragödie ist dabei, dass Militär, Geheimdienst und verschiedene Regierungen Pakistans selbst den Glauben immer wieder für politische Zwecke instrumentalisiert haben. Westliche Verbündete störten sich daran nicht sonderlich, weil sie Pakistan strategisch für nützlich hielten.

Jetzt ist der arabische Frühling ausgebrochen. Junge Menschen fordern demokratische Freiheiten und erkennen keinen Widerspruch zum Glauben. Viele nennen als Vorbild den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan, der sich auf den Islam beruft und im vergangenen Jahrzehnt den Einfluss des Militärs zurückdrängte und so die Demokratie festigte. Dennoch lösen arabische Sympathien für Erdogan bei ängstlichen Europäern gemischte Gefühle aus. Sie meinen, er wolle in Wahrheit keine Demokratie, sondern einen Gottesstaat. Tatsächlich lassen manche Äußerungen Erdogans diese Interpretation zu – trotz seiner im Vergleich mit allen Vorgängern liberalen Regierungspraxis.

Leider prägen Ängste und Vorbehalte seit langem auch die Beziehungen ­Europas zur Türkei. Einerseits ist dieser Nato-Partner strategisch wichtig. Weil es sich aber um ein vom Islam geprägtes Auswanderungsland handelt, wird es auf Distanz gehalten. Die EU-Beitrittsverhandlungen schleppen sich seit einer gefühlten Ewigkeit dahin. Diese Haltung bestärkt den Verdacht, der Westen nehme muslimische Partner für Sicherheitszwecke gern in ­Anspruch, wolle aber mit den Menschen nichts zu tun haben. Für Zusammenarbeit ist das keine gute Basis. ­Europa kann daran etwas ändern. Dafür muss es sich besser informieren und seine Ängste überwinden.

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