Weltpolitik

Die strategische Bedeutung von ukrainischem Getreide

Wegen des Ukrainekriegs steigen auf dem Weltmarkt die Getreidepreise. Russland hat seine eigenen Exporte eingestellt und blockiert das Schwarze Meer, so dass auch Ausfuhren aus der Ukraine unmöglich sind. Es sieht nicht danach aus, dass Verhandlungen in Istanbul bald Erleichterung bringen werden.
Getreidespeicher in Odessa Ende Juni 2022 picture alliance / NurPhoto / STR Getreidespeicher in Odessa Ende Juni 2022

Schon vor dem Krieg war die Ernährungssicherheit vieler Millionen Menschen prekär – und die Inflation der Lebensmittelpreise macht die Lage noch schwieriger. Dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP – World Food Programme) zufolge droht 345 Millionen Menschen in 82 Ländern akuter Hunger. 

Der Krieg ist nicht der einzige Grund für Knappheit. Die Coronapandemie hatte sich bereits negativ auf Agrarproduktion und Lieferketten ausgewirkt. Die Klimaerhitzung verursacht obendrein Ernteausfälle wegen extremer Wetterlagen.

Mit Blick auf den Eigenbedarf verhängen Länder zudem Exportstopps. Das treibt auf dem Weltmarkt die Preise weiter in die Höhe – was importabhängigen Ländern große Probleme bereitet.

Getreide auf Lager

Über 20 Millionen Tonnen Getreide lagern momentan in ukrainischen Silos und fehlen auf dem Weltmarkt. In der Ukraine kann die aktuelle Ernte nicht eingefahren und nicht gelagert werden. Das wirkt sich auf die künftige Versorgung weltweit aus, zumal der russische Angriff die landwirtschaftliche Tätigkeit in der Ukraine ohnehin schwer behindert (siehe Claudia Isabel Rittel auf www.dandc.eu).

Dass Dünger, der vor allem in Russland produziert wird, international teurer geworden ist, beeinträchtigt zudem die Produktion in Entwicklungs- und Schwellenländer. Das gilt ähnlich für steigende Energiepreise.

Den Weltmarkt würden die 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine jetzt entlasten, auch wenn das Gesamtproblem damit nicht gelöst wäre. Die Türkei tritt derzeit als Vermittlerin bei Verhandlungen in Istanbul auf. Es geht darum, die Blockade des Schwarzen Meers zu beenden. Beteiligt sind die Kriegsparteien sowie die UN. Erfolg wäre ein gutes Signal für internationale Zusammenarbeit.

Keine Lösung?

Leider scheint eine Einigung unwahrscheinlich. Dafür gibt es politische und praktische Gründe. Es gibt Vorschläge  – wie etwa Geleitschutz durch die britische Marine oder die Durchsuchung von Handelsschiffen durch die türkische Marine. Bislang lehnen entweder Russland oder die Ukraine sie aber ab. Moskau fordert zudem, die Ukraine solle die Häfen entminen. Kiew ist aber dagegen, weil das russische Seeangriffe erleichtern würde. Aus gutem Grund misstraut die Ukraine russischen Versprechen. Sie steht völkerrechtswidrig unter russischem Beschuss.

Eine Räumung würde auch zu lange dauern, um schnell Abhilfe zu schaffen. Außerdem sind es auch nicht die an den Verhandlungen beteiligten Länder, die Getreide ausliefern, sondern Transportunternehmen. Redereien müssen das Risiko eingehen, in das Kriegsgebiet zu fahren – und ihre Versicherungsprämien steigen. Auch das ist ein Kostenfaktor.

In gewisser Weise ist das aktuelle Problem ein Logistikproblem. Es gibt keine realistische Alternative zur Handelsroute über das Meer. Zwar ist der Landweg zum Beispiel über Polen denkbar, aber die bestehende Infrastruktur reicht nicht, um so viel Getreide mit Lastwagen und Güterzügen zu transportieren. Es gibt zudem bürokratische Hürden an den Grenzen. Ohnehin würden die Wege länger und der Transport teurer.  

Zu bezweifeln ist obendrein, dass Moskau überhaupt einen Verhandlungserfolg will. Das Regime von Wladimir Putin stützt sich auf das Narrativ, europäisches Abenteuertum habe zu Verknappung und Preisanstiegen auf dem Weltmarkt geführt. Es macht in seiner Propaganda NATO und die EU für die aktuelle Notlage verantwortlich. Es unterschlägt dabei mehrere Dinge – und zwar, dass es:

  • selbst, bislang ein wichtiger Getreideexporteur, solche Lieferung gestoppt hat,
  • ukrainische Ausfuhren verhindert und
  • vom Anstieg der Energiepreise profitiert.

Richtig ist allerdings, dass westliche Sanktionen zum Anstieg der Düngerpreise beigetragen haben.

Westliche Regierungen können nicht verhindern, dass Putin Hunger nutzt, um die Weltordnung zu destabilisieren. Sie müssen aber ihr Möglichstes tun, um die Ernährungskrise einzudämmen. Dennis J. Snower vom Kieler Institut für Weltwirtschaft lobt den G7-Gipfel in Elmau für die klare Haltung zur Ukraine, fordert zurecht aber auch, die Regierungen der größten westlichen Führungsmächte müssten aufmerksam auf Hunger und gefährdete Ernährungssicherheit weltweit reagieren.


Jane Escher ist Volontärin in der Öffentlichkeitsarbeit von Engagement Global.
jane.escher@engagement-global.de

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