Kommentar

Diplomaten-Dilemma

Angesichts der Krise in Ägypten müssen westliche Außenpolitiker sich auf zwei Dinge konzentrieren: die Menschenrechte und öko­nomische Perspektiven für die Bevölkerung.
Pro-Mursi-Demonstration im Juli. picture-alliance/dpa Pro-Mursi-Demonstration im Juli.

Den westlichen Diplomaten fehlen die nötigen Gesprächspartner. Im geostrategisch wichtigen Ägypten hört niemand, der Einfluss hat, auf die USA oder die EU. Washington, Brüssel, Berlin, London und Paris haben weder Einfluss auf das Militär, das die Macht ergriffen hat, noch auf die Muslimbrüder, die bis Anfang Juli die Regierung stellten und nun in den Untergrund getrieben werden. Pikanterweise fühlen beide Seiten sich vom Westen verraten.

Natürlich sind die Diplomaten nicht an allem schuld. Weder die Generäle noch die Islamisten zeigen ansatzweise Interesse an Deeskalation. Beide Seiten sehen Politik als ein Nullsummenspiel, in dem die Regierung alles bestimmt. Das macht es schwer, von außen Kompromisse zu vermitteln.

Dennoch müssen sich die Außenministerien in westlichen Hauptstädten jetzt ernste Fragen stellen. Wie kommt es, dass Ägyptens Sicherheitskräfte von Washingtons Militärhilfe abhängen, die Befehlshaber aber nur müde lächeln, wenn der Westens sie zu Zurückhaltung ermahnt? Wie kommt es, dass der Westen überhaupt keinen Draht zu den Muslimbrüdern hat, obwohl deren wichtigste Unterstützer das NATO-Mitglied Türkei und der alte US-Verbündete Katar sind? Welche Rolle spielen die Saudis? Sie unterstützen die Generäle in Ägypten, finanzieren religiöse Fundamentalisten und sind wegen ihres Öls wichtige Handelspartner des Westens.

Manche Beobachter sagen, Mohamed Mursi, der gewählte Präsident, sei wegen seiner sektiererischen Politik und seinem Unvermögen, die Nation zu vereinen, seinem Amt nicht gewachsen gewesen. Da ist etwas dran. Das ist aber kein Grund, ihn an einem geheimen Ort zu inhaftieren und ihm einen Prozess deswegen anzudrohen, weil er in den letzten Tagen des Mubarak-Regimes aus dem Gefängnis floh. Hunderte von Oppositionellen zu massakrieren ist das offenkundige Gegenteil der versprochenen Wiederherstellung der Demo­kratie. Das Handeln der Sicherheitskräfte ­bestätigt die wildeste Paranoia der Muslimbrüder und bedient deren destruktive Märtyrerpropaganda.

Sowohl die Muslimbrüder als auch die Mursi-Gegner haben riesige Menschenmassen mobilisiert. Große Demonstra­tionen – unter anderem als Ausdruck von Meinungs- und Versammlungsfreiheit – sind wichtig. Aber so groß sie auch sein mögen, sie können nie den Willen des Volkes artikulieren. Straßenagitation ersetzt keine Wahlen.

Mursi hat Ägypten in die Sackgasse geführt. Das Argument, das Land habe eine „zweite Revolution“ gebraucht, ist nicht  ganz abwegig. Aber die aktuellen Geschehnisse sehen mehr nach Konterrevolution aus. Das Militär, die Polizei, die Justiz ziehen wieder die Fäden – genau wie sie das unter Hosni Mubarak taten. Es ist bizarr, dass nun Mursi inhaftiert ist, Mubarak aber aus dem Gefängnis entlassen wurde.

In dieser Gemengelage sind westliche Außenpolitiker vermutlich versucht, einfach die Sieger zu unterstützen. Das wäre aber falsch und würde ihre verbleibende Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Sie dürfen nicht Partei ergreifen, sondern müssen klar erkennbar die Einhaltung der Menschenrechte aller Ägypter, egal auf welcher Seite diese stehen, einfordern. Es wäre klug, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die für Gräueltaten verantwortlich sind, vor die internationale Justiz kommen. Und ja, es ist richtig, jegliche Unterstützung einzustellen, die repressiven Zwecken dienen kann.

Derweil steht die westliche Diplomatie vor einer weiteren schweren Frage: Wie soll Ägyptens Wirtschaft wieder in Fahrt kommen? Der arabische Frühling entsprang ökonomischem Leid. Seither ging es volkswirtschaftlich immer weiter bergab. Wenn sich daran nichts ändert, bleibt politische Stabilität wohl eine Illusion.

Die EU hatte Pläne, um mit Mursi zur Stärkung der Volkswirtschaft zu kooperieren. Er hatte jedoch andere Prioritäten. Wenn westliche Spitzenpolitiker nicht wollen, dass die Dinge in Ägypten noch schlimmer werden, kommt es darauf an, der Bevölkerung wieder ökonomische Perspektiven zu verschaffen.

Dabei sind wohl auch unorthodoxe Konzepte relevant. Der Standardlehre zufolge muss Ägypten seine Strukturen dem Weltmarkt anpassen – was bedeutet, dass alles schlimmer wird, bevor es besser wird. Das ist kein Erfolg versprechendes Rezept, wenn dieses geostrategisch wichtige Land bald Stabilität und Frieden finden soll.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

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