Globale Entwicklung

Übersehene Fortschritte

Die globale Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte war viel erfolgreicher, als weithin wahrgenommen wird. Die Stimmung ist oft schlechter als die Trends, welche die Statistiken der vergangenen Jahrzehnte belegen.
Polio ist mittlerweile fast besiegt: Impfung in Liberia. Shezad Noorani/Lineair Polio ist mittlerweile fast besiegt: Impfung in Liberia.

Beachtlichen Fortschritt hat es beispielsweise bei der Gesundheit gegeben, wie internationale Daten zeigen. Die Pocken gelten demnach als besiegt. Polio ist es fast. 1988 gab es weltweit noch 350 000 Neuinfektionen, die aktuelle Vergleichszahl ist zweistellig. 2013 gab es 41 Prozent weniger Tuberkulosepatienten als 1990 bis 2013 ,und die Sterberate liegt um 45 Prozent niedriger. 7,6 Millionen Todesfälle wegen Aids wurden zudem durch kostenfreie Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten von 1995 bis 2014 abgewendet.

Auch in anderen Sektoren gibt es positive Trends. In Indien hatten beispielsweise 1990 nur 70 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser; 2015 waren es 94 Prozent. In China stieg die entsprechende Quote in derselben Zeitspanne sogar von 66 Prozent auf 95 Prozent – und in Ghana von 55 Prozent auf 89 Prozent.

Auch der Anteil extrem armer Menschen an der Weltbevölkerung hat dramatisch abgenommen. Von 1,1 Milliarden Menschen auf der Erde lebten 1820 rund 90 Prozent am Rande des Existenzminimums. 1970 galt das noch für 60 Prozent von 3,6 Milliarden, aber 2011 nur noch für 14 Prozent von mittlerweile 7 Milliarden Menschen.

Nun mögen einige sagen, das Bevölkerungswachstum selbst sei ein Problem. Das stimmt – aber sein Tempo wurde verlangsamt und der Scheitelpunkt dürfte bei maximal 11 Milliarden Menschen erreicht werden. Danach wird die Weltbevölkerung den derzeitigen Trends zufolge wieder abnehmen.

Vielfach herrscht aber der Eindruck, alles werde immer schlimmer. Viele Bürger zweifeln deshalb auch am Sinn der Entwicklungspolitik. Dafür gibt es drei wichtige Gründe:

  • Medial verkaufen sich schlechte Nachrichten viel besser als gute. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, früher sei alles viel besser gewesen.
  • Die Entwicklungspolitik der Gebernationen wird zu häufig an ihrem Input gemessen. Als erfolgreich gelten Entwicklungsminister, die viel Geld mobilisieren und beispielsweise das jahrzehntealte Versprechen erfüllen können, 0,7 Prozent des Wirtschaftsleistung des Landes für Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) bereitzustellen. Die Steuerzahler wollen aber auch wissen, was dieser Aufwand bewirkt. Im Gegensatz zum Mittelaufwand lässt sich das aber nicht unbedingt in Euro und Cent exakt beziffern, und das hat unmittelbar mit dem dritten Faktor zu tun.
  • Die Menschheit steht vor vielen gro­ßen Problemen, die nur mit vielen kleinen Einzelschritten gelöst werden können. Wer Armut bekämpfen will, muss auf verschiedenen Ebenen ansetzen – lokal, national wie auch global. Von der Ernährung über Arbeit, Bildung und Gesundheit bis hin zur Altersversorgung. Wer das Klima schützen will, muss sich für alternative Energien und Energieeffizienz in Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Privathaushalten einsetzen. Die Handlungsoptionen sind kleinteilig und multidimensional. Viele unterschiedliche Akteure müssen Verantwortung übernehmen.

Es ist bizarr, dass viele Menschen glauben, die Armen würden immer ärmer, während tatsächlich der Anteil der existenziell Armen der Weltbevölkerung seit Jahrzehnten abnimmt. Diesen langfristigen Trend hat auch die globale Finanzkrise von 2008 nicht umgekehrt.

Staatliche und nichtstaatliche Akteure der Entwicklungspolitik müssen Entwicklungserfolge deutlicher herausstellen. Es geht nicht darum, zu behaupten, jeder Erfolg lasse sich kausal auf ODA zurückführen. Das ist bei komplexen Zusammenhängen nicht möglich. Es ist indessen auch klar, dass ODA nicht völlig nutzlos sein kann, wenn die Ziele, für die diese Mittel aufgewendet werden, tendenziell erreicht werden oder in Reichweite rücken.

Wir müssen Resignation und Mutlosigkeit entgegenwirken. Die Menschheit steht nämlich weiterhin vor großen Herausforderungen, zu deren Meisterung große gemeinsame Anstrengungen nötig sind. Gelingen wird das nur, wenn wir uns klarmachen, dass wir schon viel erreicht haben – und noch mehr erreichen können.


Matthias Meis leitet das Strategiereferat im Leitungsstab des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
matthias.meis@bmz.bund.de

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