Digitale Wissensvermittlung

„Wir schaffen ein globales Netzwerk“

E-Learning-Konzepte von InWEnt versetzen Partner in die Lage,
eigenständig Kurse zu entwickeln und den Lehrbetrieb aufzunehmen. Die Kenntnisse verbreiten sich nach dem Schneeballprinzip. E-Learning-Zentren nach diesem Modell entstehen in vielen Ländern.

[ Interview mit Günter Podlacha ]

InWEnt baut regionale E-Learning-Zentren auf. Was tun diese Zentren?
E-Learning ist als zukunftsträchtiges Werkzeug für Capacity Building erkannt worden, nicht nur von uns, sondern in der Fachwelt allgemein. Wenn man die geeigneten didaktischen Methoden kennt, kann man die digitalen Technologien dazu nutzen, Wissen und Information schneller zu verbreiten. Deshalb kamen verschiedene Bildungsinstitutionen auf uns zu und baten um Rat. Wir helfen solchen Partnern, E-Learning-Zentren und -Angebote aufzubauen, zu entwickeln und einzusetzen.

Wer war das im Fall Namibias?
Das war der Namibian Open Learning Network Trust (NOL-Net). Das ist ein Zusammenschluss der University of Namibia, der Politechnical University und verschiedener anderer Partner inklusive der Regierung. Die Beteiligten beschlossen, kontinuierlich zu kooperieren, um per E-Learning auch Menschen in abgelegenen Regionen zu erreichen. Für uns wichtig ist die „institutional readiness“, die Partner müssen dazu in der Lage sein, auf Dauer ein E-Learning-Zentrum zu betreiben. Sie müssen über Personal- und Finanzressourcen verfügen und ein Interesse daran haben, Kurse mit eigenen Inhalten zu konzipieren.

Was brauchen Sie noch?
Nötig ist auch eine gewisse „technical readiness“, unsere Partner müssen über ausreichendes technologisches Know-how verfügen. Wenn dann die Infrastruktur in der Zielregion stimmt, haben wir einen guten Partner gefunden. Häufig sind das Partner, die bereits mit InWEnt anderweitig kooperieren. So ergänzen unsere E-Learning- Angebote vorherige Fortbildungen. Im nächsten Schritt prüfen wir dann, was genau benötigt wird: Managementwissen, E-Learning-Strategien, Content-Entwicklung, Betreuung der Teilnehmenden und so weiter. Auf dieser Grundlage werden dann unsere Kurse für die örtlichen Bedürfnisse adaptiert und die Partner ausgebildet. Danach arbeitet so ein Zentrum eigenständig.

Sie machen sich selbst also überflüssig – wie das in der Entwicklungshilfe eigentlich immer der Fall sein sollte?
NOL-Net vertritt uns und andere Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungspolitik heute tatsächlich in Uganda, Äthiopien und Kenia, wo neue Angebote in Sachen E-Learning und berufliche Bildung entstehen. Wir halten uns aber noch im Hintergrund bereit, falls die namibischen Kollegen Rat brauchen. Das Modell verbreitet sich im Schneeballsystem.

Im anglophonen Afrika werden Ihre namibischen Partner keine Sprachprobleme haben. Aber wie sieht das in anderen Weltregionen aus? In Zentralasien ist Englisch vermutlich weniger nützlich.
So ist es, dort werden verschiedene Turksprachen gesprochen. Aber als gemeinsame Sprache dient uns dort Russisch – und folglich ist so ein Schneeballsystem auch dort möglich. Hier planen wir unter anderem, mit der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty und der OSZE-Akademie in Bishkek zusammenzuarbeiten. Wir bieten unsere Kompetenz auch auf Spanisch an. In Mittel- und Südosteuropa wiederum kommen wir mit Englisch gut voran.

Beim Stichwort „digitale Kluft“ denken die meisten Entwicklungspolitiker an Infrastruktur und Hardware. Sie halten die Assoziation aber für falsch?
Ja, und zwar insofern, als das nur eine Seite der Medaille ist. Selbstverständlich brauchen wir Infrastruktur und Hardware, wenn wir mit elektronischer Wissensvermittlung entlegene Regionen erreichen wollen. Aber was nützt die beste Technologie, wenn es an didaktischen und methodischen Konzepten für erfolgreiches E-Learning und erfolgreiche Wissensvermittlung mangelt?

In vielen armen Ländern verläuft Unterricht typischerweise frontal und autoritär. Wenn Menschen als Autodidakten anhand von Computerprogrammen lernen sollen, brauchen sie eine ganz andere Selbstdisziplin. Sie müssen also vermutlich viel für die Motivation der Teilnehmer tun.
Es ist wichtig, dass Curricula zu formalen Abschlüssen führen und dem beruflichen Fortkommen nutzen. Ein weiteres Element ist, dass die Angebote häufig nicht gratis sind. Wer selbst für einen Kurs bezahlt, will auch etwas davon haben. Aber allein die Tatsache, dass Geld fließt, übt schon Druck aus – auch ein Studienstipendium wirkt schließlich motivierend. Allerdings zielen wir gar nicht in erster Linie auf Autodidakten im strengen Wortsinn ab. Wir wollen nicht nur die Leute erreichen, die sich auf eigene Faust und selbstbestimmt Wissen draufschaffen. „Self-paced learning“ ohne tutorielle Begleitung ist für uns die Ausnahme.

Wie muss ich mir die Kurse dann vorstellen?
Wir arbeiten meist mit einem Mix von didaktischen Mitteln, inklusive Präsenzphasen. Aber selbst bei reinen Online-Angeboten sorgen wir immer für Ansprechpartner, die Hilfestellung bieten, damit die Lernenden nicht ratlos an irgendwelchen Problemen scheitern – seien diese nun technischer oder inhaltlicher Natur. Bis 2003 haben wir viele E-Learning-Kurse unbetreut angeboten, das Ergebnis waren Abbrecherquoten bis zu 80 Prozent. Wenn Tutoren mitwirken, bleiben dagegen fast alle Teilnehmer bis zum Schluss dabei. Die Betreuung kann recht autoritär sein. In Asien oder Afrika wird häufig gewünscht, dass jemand sehr direkte Anforderungen stellt und Ergebnisse kontrolliert. Betreuung geschieht aber meist im partnerschaftlichen Stil, wir arbeiten schließlich mit erwachsenen Menschen. Entscheidend ist, dass Lernende sich nicht allein gelassen fühlen.

Geben Sie auch das Lerntempo von außen vor?
Tutoriell betreute Kurse sollen von Anfang bis Ende durchlaufen werden. Sie beruhen auf einem Curriculum mit einem bestimmten Rhythmus. Das geht Woche für Woche, Monat für Monat voran, je nach Angebot. Würden wir darauf verzichten, könnten wir keine formalen Abschlüsse zulassen. Unsere Teilnehmer finden Zertifikate aber sehr wichtig.

Sind die Abschlüsse einem akademischen Abschluss gleichwertig? Oder geht es eher um einzelne Scheine in einem Studiengang?
Im Graduate-Point-System könnten Sie beispielsweise Punkte für bestimmte Studiengänge erwerben. Es gibt aber auch Weiterbildungsangebote, die davon völlig losgelöst sind, für das berufliche Fortkommen trotzdem auch sinnvoll sein können.

Der Wert solcher Zeugnisse schwankt sicherlich von Land zu Land?
Es stimmt, die Anerkennung solcher Bescheinigungen variiert weltweit. In vielen Ländern hat ein Zertifikat aus Deutschland, ausgestellt vom Bundesentwicklungsministerium und InWEnt, einen hohen Stellenwert. Andererseits kooperieren wir häufig mit Partnerinstitutionen – Hochschulen etwa –, deren Namen dann mit auf dem Zeugnis stehen. Wir streben zudem in Kooperation mit der „European Foundation for Quality in E-Learning“ Kriterien und inhaltliche Qualitätsstandards für international anerkannte Zertifikate an.

Was ist die besondere Stärke von InWEnt im internationalen Vergleich?
Wir bilden nicht einfach nur Menschen aus. Wir schaffen ein globales Netzwerk von E-Learning-Zentren. Dabei begegnen sich die Partner auf gleicher Augenhöhe in Peergroups. Ein schönes Beispiel ist, dass inzwischen auch in Indonesien und auf den Philippinen E-Learning-Zentren nach unserem Modell entstehen. Zustande kam das durch Süd-Süd-Kontakte zwischen den Namibiern, der University of Western Cape in Südafrika und südostasiatischen Interessenten. Wir unterstützen das, sind sozusagen in der zweiten Reihe mit im Boot. Die Partner können auf unsere Ressourcen zurückgreifen und sich vergewissern, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Aber sie handeln selbstständig. Solche Netzwerke bauen andere E-Learning-Provider nicht auf. Sie bieten Kurse an und bilden fort, es bleibt aber letztlich bei Einzelmaßnahmen.

Was müssen Sie tun, damit die Expansionsdynamik erhalten bleibt?
Erstens bieten wir natürlich weiter unsere Kurse an und schaffen so neue Knotenpunkte im Netzwerk. Zum anderen beschäftigen wir uns aber auch mit Fragen von Lizenzen und Copyright. Es geht um die komplette Bandbreite von Opensource, Opencontent, Copyleft mit vollkommener Nutzung und Veränderungsfreiheit, bis hin zu proprietären Lizenzen, wo wir vielleicht die Nutzung zulassen, aber nicht die Veränderung eines Programms. In der härtesten Form sind Veränderungen nur mit unserer Zustimmung erlaubt. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass die Partner die richtigen Programme für ihre Bildungsbedürfnisse bekommen – folglich müssen wir auch darauf achten, dass die Produkte, mit denen sie arbeiten, erstklassig bleiben. InWEnt spielt auf diesem Feld eine Vorreiterrolle auch für andere deutsche Institutionen. Auch die GTZ, die KfW Entwicklungsbank, der DED und das Entwicklungsministerium selbst sind an dieser Thematik interessiert und bedienen sich unserer Entwicklungen.

Fragen von Hans Dembowski.

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