Kommentar

Mehr Schein als Sein

Der Kimberley Prozess zur Kontrolle des Diamantenhandels gilt als Vorbild für die Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Doch nun droht eine der drei Parteien wegzubrechen: Die Zivilgesellschaft verabschiedet sich aus Protest, da der vielgelobte Prozess Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Wirtschaft nicht ahndet.


Von Anne Jung und Marie Müller

Es geht um ein weltweites Geschäft, und so reisten ganze 75 Ländervertretungen zum Treffen des Kimberley Prozess (KP) im Juni 2011 in die DR Kongo, außerdem Vertreter der Industrie und der Zivilgesellschaft. Gemeinsam haben sie vor über zehn Jahren eines der wichtigsten Zertifizierungssysteme gegen den Handel mit Konfliktressourcen eingeführt. Doch nun droht die Allianz zu zerbrechen: Zivilgesellschaftliche Organisationen haben das Treffen in Kinshasa frühzeitig verlassen. Mit diesem drastischen Schritt möchten die Teilnehmer aus Afrika, Europa und Nordamerika ihrer Forderung nach einer Kehrtwende im Diamantenkontrollregime Nachdruck verleihen.

Der KP entstand im Jahr 2000 auf Druck der UN und verschiedener Nichtregierungsorganisationen hin. Sie wollten der Diamantenindustrie Einhalt gebieten, die seit den späten 1990er Jahren gute ­Geschäfte in afrikanischen Kriegsgebieten machte, und den Rebellen, die mit Diamantengewinnen Kriegszüge finanzierten. Der KP führte deshalb ein internationales Zertifizierungssystem ein, das den konfliktfreien Ursprung eines Diamanten beglaubigt. Die Öffentlichkeit geht oft fälschlicherweise davon aus, dass der KP allgemein Menschenrechtsverbrechen im Diamantenhandel ahndet. Doch nach der offiziellen Definition des KP werden nur die Geschäfte von Rebellengruppen erfasst – Gewalt, die vom Staat ausgeht, wird nach diesem Verständnis genauso ausgeblendet wie die teils menschenrechtswidrigen Produktionsbedingungen.

Zuletzt trat dieses Dilemma deutlich zutage, als staatlich geförderte Gewalt und Schmuggel auf Simbabwes Diamantenfeldern ausuferten. Ende 2008 wurden Tausende Menschen aus der diamantenreichen Region Marange vertrieben, Hunderte starben bei der militärischen Operation. Bis heute zwingen stationierte Soldaten Arbeiter für sie Diamanten zu schürfen. Doch der auf dem KP-Treffen ­in Kinshasa präsentierte Vertragsentwurf für Simbabwe ist zu vage, um die Arbeiter auf den Diamantenfeldern zu schützen. Er enthält keine Kontrollmechanismen, die verhindern, dass illegale Diamanten in die globale Versorgungskette gelangen. Zudem macht der KP keine Vorschläge für den Schutz der lokalen Menschenrechtler, die über Schmuggel und Gewalt von Sicherheitsbeamten berichten. Damit ist eine unabhängige Kontrolle des KP in Simbabwe nicht möglich.

Ein weiteres Problem des KP ist, dass das Zertifizierungssystem kein rechtlich verbindliches Abkommen ist, sondern auf Selbstverpflichtung beruht. Dies birgt das Risiko, dass Industrieunternehmen es nur zur Imageaufbesserung nutzen. Auch das Aufsichtssystem ist unverbindlich: Die Mitglieder statten sich zwar wechselseitig Delegationsbesuche ab, doch ihre Berichte werden nicht von unabhängiger Seite kontrolliert. Zudem ist das Aufsichtsgremium beispielsweise nicht bereit, Mitglieder, die wiederholt gegen die Regeln verstoßen, zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Vertreter der Zivilgesellschaft im KP repräsentieren Gemeinschaften, die unter von Diamanten geschürten Konflikten gelitten haben. Sie empfinden es als unhaltbar, weiterhin Teil des KP zu sein, solange er diese Menschen nicht schützt. Gerade weil Regierungen in aller Welt – zuletzt die Bundesregierung in ihrer Rohstoffinitiative – den KP als positives Vorbild für weitere Zertifizierungssysteme nennen, müssen die notwendigen Reformen öffentlich eingefordert werden. Dazu gehören Rechtsverbindlichkeit und die Überwachung der Standards durch eine dritte Instanz, damit die Wirkung des KP nicht mehr nur vom politischen Willen des jeweiligen Landes abhängig ist. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen zudem als gleichberechtigter Teil der Dreiparteienstruktur anerkannt werden, sonst droht das gesamte Konzept zur Farce zu werden.

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