Internationale Organisationen

„Die Grundprinzipien von Compliance“

Im Sport wird Fairplay betont – aber in der Praxis gibt es Doping, Manipulation und Korruption. Um diese Schattenseiten einzudämmen, ist systematisches Vorgehen nötig, wie Sylvia Schenk von Transparency International Deutschland im Interview Hans Dembowski erklärt hat.
"Sport ist sehr kompetitiv":Fußballturnier in der Favela Guararapes in Rio de Janeiro. Kopp/Lineair "Sport ist sehr kompetitiv":Fußballturnier in der Favela Guararapes in Rio de Janeiro.

Gibt es eine korruptionsfreie Sportart?
Nein, kein gesellschaftlicher Bereich ist korruptionsfrei, also auch keine Sportart.

Warum ist speziell Korruption im Sport zu einem großen Thema geworden?
Das hat damit zu tun, dass Sport sehr kompetitiv ist. Menschen suchen mit allen Mitteln – auch unlauteren – den Erfolg. Also gibt es Doping oder auch Spielmanipulationen aus sportlichen Gründen. Mit dem Internet kamen dann Spielmanipulationen zum Zweck des Wettbetrugs, also aus anderer Motivation, hinzu, was ebenfalls inakzeptabel ist. Wenn Sie dann an die Führungsebene denken, dort geht es um viel Macht, Einfluss und Publicity. Der Präsident selbst eines Drittliga-Fußballvereins ist in seiner Stadt ein angesehener Mann. Das geht bis hin zur Vergabe von Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften. Der Wettbewerbsdruck ist hoch, es steht viel Geld und Prestige auf dem Spiel, das steigert das Korruptionsrisiko. Dass in vielen Ländern Korruption auch in Politik und Wirtschaft verbreitet ist, trägt zu den Problemen bei.

Deuten Sie gerade an, dass es beispielsweise im italienischen Fußball mehr Korruption gibt als im deutschen?
Ja, das ist so. Wir hatten auch in Deutschland Skandale, zum Beispiel um Robert Hoyzer, einen Schiedsrichter in der Zweiten Bundesliga, oder um den Stürmer René Schnitzler. Aber aus der A- und B-Liga in Italien sind viel mehr Fälle bekannt, in denen Spiele manipuliert wurden – entweder aus sportlichen Gründen, um beispielsweise den Abstieg zu verhindern, oder aus Gründen des Wettbetrugs.
Mir behagen solche Vergleiche nicht, weil wir in Deutschland uns gern über andere Länder empören, aber Korruption im eigenen Land für ein geringeres Problem halten, als es tatsächlich ist.

Ja, auch wir dürfen uns nicht ausruhen, sondern müssen wachsam bleiben. Deshalb ist es gut, dass jetzt die unklaren Zahlungen rund um die Weltmeisterschaft von 2006, dem Sommermärchen, so weit wie möglich aufgeklärt werden.
Oder dass Fußball-Manager Uli Hoeneß, der frühere Nationalspieler, wegen Steuerbetrugs verurteilt und inhaftiert wurde, was aber nicht direkt mit Sport zu tun hat. Was kann denn gegen Korruption im Sport getan werden – es gibt doch auch keinen Fußball ohne Fouls?
Das ist ein gutes Stichwort, denn für Foulspiel gibt es klare Regeln, und es gibt ein System, um sie zu überwachen und durchzusetzen. Der Schiedsrichter bestraft Regelverstöße, und wenn er das nicht von Anfang an konsequent tut, bekommt er das Spiel nicht mehr in den Griff. Mit Korruption ist es im Prinzip genauso. Nötig sind Regeln, die überprüft und durchgesetzt werden, und Sanktionen für diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten. Das sind die Grundprinzipien von Compliance – und sie gelten überall, nicht nur im Sport, auch in Unternehmen und Politik.

Wer ist denn außerhalb des Spielfelds der Schiedsrichter?
Nötig ist ein ganzes Compliance-System mit klaren Regeln und Vorgaben, Kontrolleuren, Hinweisgebern und Sanktionen. Das Strafgesetzbuch reicht nicht aus, Integrität geht darüber hinaus. Wir brauchen zum Beispiel auch Regeln dafür, welche Geschenke und Einladungen angenommen werden dürfen, welches Verhalten bei Interessenkonflikten angemessen ist und wie viel Transparenz jeweils geschaffen werden muss. Im Sport wie in anderen Lebensbereichen sind die Risiken nicht überall gleich, sondern abgestuft. In einem Unternehmen wird die Sekretärin, die nur Briefe schreibt, weniger streng überwacht werden müssen als ein Einkäufer, der Kontakt zu vielen Zulieferern hat. Im Eiskunstlauf kann Doping vorkommen, aber in Kraft- und Ausdauersportarten wie Gewichtheben oder Radfahren ist die Wahrscheinlichkeit, dass das geschieht, viel größer, weil sich hier die Leistung pharmazeutisch viel stärker steigern lässt. Das Dopingrisiko ist auch nicht zu allen Zeiten gleich. Vor wichtigen Wettkämpfen ist es höher, und nach Verletzungen ebenfalls. Das muss beachtet werden.

Ist es nicht wichtiger, Korruption in anderen Lebensbereichen als im Sport einzudämmen?
Man kann natürlich sagen, es gibt wichtigere Probleme als Korruption im Sport. Sport interessiert aber sehr viele Menschen, und Fehlverhalten in diesem Bereich beschäftigt massenhaft die Fans. Diese hohe Aufmerksamkeit müssen wir nutzen, um unsere Botschaft zu verbreiten. Zudem ist im Sport ständig von Fairplay die Rede. Wenn die Menschen sich daran gewöhnen, dass selbst hier Korruption stattfindet, sogar normal ist und nichts dagegen getan werden kann, dann brauchen wir auch anderswo Korruption nicht mehr zu bekämpfen. Von Erfolgen im Kampf gegen Korruption im Sportkontext gehen Signale aus. Allerdings darf man auch nicht zu viel versprechen – ganz sauber werden wir den Sport nicht bekommen.

Warum nicht?
Weil das nirgends geht und der Sport global aufgestellt ist. Organisationen wie der Weltfußballverband FIFA oder der Weltschwimmverband haben Mitgliedsverbände in bis zu 200 Ländern, und wer den Corruption Perception Index von Transparency kennt, weiß, dass viele davon hochkorrupt sind. Wer wird denn in solch einem Land Chef des Leichtathletikverbandes? Doch nicht eine der wenigen integeren Personen, die es dort zum Glück auch gibt. Nein, an die Spitze kommen meist Leute, die wissen, wie man sich in ihrem Land durchsetzt. Und diese Leute sind dann auch im Weltverband dabei. Das ist wie bei den UN, wo man auch mit allen Staaten klarkommen muss, egal, welche Herrschaftsform sie haben.

Heißt das, die Weltverbände sind wegen der vielen Entwicklungsländer, die im Transparency-Index in der unteren Hälfte stehen, korrupt?
Das erhöht das Risiko. Im Übrigen gehören zur Korruption immer zwei, Geber und Nehmer. Die FBI-Ermittlungen mit den spektakulären Verhaftungen sind durch US-Unternehmen ins Rollen gekommen. Sie hatten unter anderem Sportfunktionäre in Lateinamerika bestochen, um Fernsehrechte zu bekommen. Das hatte mit der FIFA erst mal nichts zu tun, aber die Ermittlungen erhöhten den Druck auf die FIFA – und das führte dann zum Sturz von Blatter. Josef Blatter, der ehemalige Präsident der FIFA, ist im Übrigen kein Asiate, sondern Schweizer, und Michel Platini, der sein Nachfolger werden sollte, kein Afrikaner, sondern Franzose. Beide sind wegen dubioser Zahlungen von der FIFA mittlerweile gesperrt.

Gianni Infantino, der aktuelle FIFA-Präsident, wird im Zusammenhang mit den Panama Papers genannt. Heißt das, es geht mit ihm genauso weiter wie vorher unter Blatter?
Mit solchen Urteilen muss man sehr vorsichtig sein. Nach dem, was ich bisher gesehen habe, ist ihm wegen der Panama Papers nicht wirklich etwas vorzuwerfen. Er war als Leiter der Rechtsabteilung des europäischen Fußballverbandes UEFA für alle Verträge zuständig. Bei einigen ging es um Hunderte Millionen von Euro. Wer sich um solche Verträge kümmert, verhandelt nicht 100 000-Euro-Verträge. Das ist nicht seine Aufgabe. Und es ist auch klar, dass ein europäischer Verband in einem fernen Land wie Ecuador die Fernsehrechte sinnvollerweise nicht selbst vermarktet, sondern ortskundige Fachleute damit beauftragt. Das geschah damals nach einer Ausschreibung beziehungsweise Auktion. Das beste Angebot wurde genommen. Daraus lässt sich schwer ein Vorwurf herleiten. Wenn wir Korruption bekämpfen wollen, brauchen wir klare Regeln und ein System zur Durchsetzung. Sich über jeden Verdacht zu empören, ohne ihn gründlich zu prüfen, ist kontraproduktiv.

Korruption ist ein ständiges Thema der Entwicklungspolitik, aber gilt das auch für Korruption im Sport?
Man muss in allen gesellschaftlichen Bereichen aufpassen, also auch bei Vorhaben, bei denen Sport oder Sportveranstaltungen gefördert werden. Sie müssen sicherstellen, dass das Geld korrekt verwendet wird und nicht die Frau eines Verbandspräsidenten damit shoppen geht.

Die Vergabe von Großveranstaltungen scheint besonders problematisch zu sein. Wäre es nicht klüger, die Austragung von Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften einfach zu versteigern? Dann käme ohne Schwarzgeld das Land zum Zug, das am meisten zahlt.
Ja, das ginge auch, aber dafür hat man sich nicht entschieden, und dafür gibt es gute Gründe. Die großen Wettkämpfe sollen nun mal nicht nur in den Ländern stattfinden, die am meisten zahlen. Sie sollen fair über die Kontinente und Länder verteilt werden, um Interesse am Sport zu wecken und zu fördern. Als 2007 und 2009 entschieden wurde, die Fußball-WM und die Olympischen Spiele an Brasilien zu vergeben, wurde das weltweit begrüßt und auch im Land selber bejubelt. Damals war das Land im Aufschwung, und Südamerika war einfach dran. Olympische Spiele hatte es in Mexiko gegeben, aber noch nie in Südamerika. Heute steckt Brasilien in einer Wirtschaftskrise und die Stimmung ist völlig anders. Dabei wurde dort einiges getan, um Transparenz zu fördern. Wegen mancher Gesetze, die dort gelten, würde die deutsche Wirtschaft aufheulen. Die Alltagskorruption, auch in der Politik, lebt in Brasilien aber offensichtlich fort, und deshalb ist die Lage jetzt so explosiv.

Sylvia Schenk leitet die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland.
sschenk@transparency.de
 

 

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