Bildung

Um jeden Preis

In Indien haben staatliche Schulen wie in vielen anderen Ländern keinen guten Ruf. Deshalb gibt es eine Vielzahl unterschied­licher Privatschulen. Viele Eltern sparen sich dafür das Geld vom Mund ab, in der Hoffnung ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
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Rahul besucht eine Privatschule in einem wohlhabenden Vorort von Kolkata. Sein Vater ist Hilfsarbeiter in einem kleinen Laden im Norden Kolkatas und seine Mutter kocht im Haus anderer Leute. Sie kämpfen darum, über die Runden zu kommen. Dennoch haben sie sich, als Rahul noch jung war, für eine Privatschule entschieden, die Englisch unterrichtet.

Heute geht Rahul in die 5. KIasse, und sein Vater musste einen Bankkredit aufnehmen, damit Rahul auf der Schule bleiben kann. Die Eltern bezahlen ihm außerdem private Nachhilfestunden, damit Rahul mit seinen Klassenkameraden, die einen besseren finanziellen Hintergrund haben, mithalten kann.

Roopa arbeitet als Köchin in fünf Haushalten in Nord-Delhi. Ihre drei Kinder haben staatliche Schulen besucht. Ihre älteste Tochter Gauri hat zwei Kinder und schickt sie an Privatschulen, wo sie 1400 Rupien im Monat zahlen muss. Das entspricht 200 Euro. Dabei lag das durchschnittliche Jahreseinkommen in Indien 2013 bei umgerechnet 1100 Euro. Gauri muss von der Hand in den Mund leben, um die Schulgebühren zu bezahlen. Aber ihrer Ansicht nach ist es das wert, „wenn ihre Kinder dadurch eine bessere Zukunft bekommen“.

Dies sind keine Einzelfälle. Seitdem Indiens Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten expandiert, legen immer mehr arme Eltern Geld zur Seite, um ihre Kinder in Privatschulen zu schicken. Sie hoffen, dass diese dadurch bessere Berufsaussichten bekommen und der Armut entfliehen können. Viele Leute, deren Kinder staatliche Schulen besuchen, bezahlen für zusätzlichen Privatunterricht. Das Verständnis, dass Bildung im Leben wichtig ist, setzt sich immer mehr durch.

Laut Indiens Verfassung ist der Schulbesuch verpflichtend und kostenlos für alle Kinder zwischen sechs und 14 Jahren. Schulische Bildung wird sowohl vom staatlichen als auch vom Privatsektor bereitgestellt. Der Ruf staatlicher Schulen ist jedoch schlecht. Die Gründe dafür sind viele Fehlzeiten der Lehrer, eine unzureichende Infrastruktur und der Schwerpunkt auf lokalen indischen Sprachen.

„Kenntnisse der Landessprachen sind wichtig, aber um einen guten Job in Indien zu finden, muss man fließend Englisch sprechen,“ erklärt Mayuresh Banerjee, ein IT-Spezialist, der selbst eine staatliche Schule besuchte, der seine Kinder aber auf eine Missionarsschule schickt. Es gibt eine Vielzahl von Privatschulen – einige sind nicht sehr teuer, andere verlangen saftige Gebühren.

Deepan Biswas ist Manager in einer IT-Firma. Seine Tochter ist drei Jahre alt und er hat bereits Stunden damit zugebracht, eine Schule für sie in Kolkata zu finden. Er sagt: „Die Abgänger von Privatschulen schneiden besser ab als die staatlicher Schulen.“ Er findet es gut, dass Privatschulen innovative Methoden anwenden, ärgert sich aber dar­über, dass sie immer wieder versuchen, den Eltern mit der einen oder anderen Veranstaltung Geld aus der Tasche zu ziehen“.

Leute in abgelegenen Regionen haben oft keine andere Wahl außer staatliche Schulen. Rajender Prasad ist Bauer im ländlichen Uttar Pradesh. Er wünscht sich, dass seine Kinder eine Schulbildung erhalten, die es ihnen ermöglicht, in die Stadt zu ziehen und gut zu verdienen. Er sagt, dass er die Qualität der lokalen Schule nicht einschätzen kann, es aber ohnehin keine Alternative gibt. Allerdings gibt es einen jungen Mann am Ort, der bezahlten Privatunterricht anbietet.

Prasun Bandyopadhyay ist Lehrer an einer staatlichen Schule. In seinen Augen ist die Kritik am staatlichen Schulsystem übertrieben. Der staatliche Lehrplan ist sinnvoll, sagt er, und die umfassenden Inhalte lassen wenig Spielraum für Aktivitäten außerhalb des Lehrplans. Er gibt aber zu, dass für Zusatzangebote wie etwa Computer mehr Geld vonnöten wäre. Viele Eltern denken deshalb, dass staatliche Schulen nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Dennoch halten nicht alle Privatschulen für notwendig. Der Autorikscha-Fahrer Surendar Kumar aus Delhi sagt: „Ich konnte mir nur die staatliche Schule leisten, aber ich finde, meine Kinder haben das gut hingekriegt. Ich gebe zu, dass ich ihnen einige Privatstunden bezahlt habe, aber ich glaube, dass ein Kind in jeder Umgebung lernen kann, wenn es das wirklich will.“


Roli Mahajan ist Journalistin in Neu-Delhi.
roli.mahajan@gmail.com

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