Kommentar

Guatemalas Regierung wankt

Ein Korruptionsskandal, in den zahlreiche hochrangige Politiker verstrickt sind, hat in Guatemala Proteste ausgelöst. Woche für Woche werden leitende Beamte festgenommen oder treten zurück. Die Demonstranten wollen so lange auf die Straße gehen, bis
auch der Präsident sein Amt niederlegt.
„Der Fall eines Militärregimes“: Demonstranten in Guatemala-Stadt tragen die Regierung unter Ex-General Otto Pérez Molina symbolisch zu Grabe. AP photo/picture-alliance „Der Fall eines Militärregimes“: Demonstranten in Guatemala-Stadt tragen die Regierung unter Ex-General Otto Pérez Molina symbolisch zu Grabe.

Am 16. April 2015 stürzte Guatemalas Regierung unter Ex-General Otto Pérez Molina in die Krise. An diesem Tag offenbarte die UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) die Praktiken eines Korruptionsnetzwerks, in das hohe Funktionäre der zentralen Steuerbehörde verstrickt waren. An seiner Spitze stand Oscar Monzón, der Privatsekretär der Vizepräsidentin. Die CICIG stellte zudem eine direkte Verbindung zur Vizepräsidentin Roxana Baldetti Elías selbst her.

Die Enthüllungen lösten eine Welle der Empörung aus: Tausende strömten auf die zentralen Plätze des Landes und forderten den Rücktritt Baldettis. Diese legte am 9. Mai ihr Amt nieder. Ende Mai wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet, ihr Sekretär Monzón flüchtete.

Stück für Stück deckt die CICIG seitdem das Ausmaß der Steuerhinterziehung auf. Festgenommen wurden mittlerweile der Zentralbankchef und der Direktor der Sozialversicherungsbehörde, der auch der ehemalige Privatsekretär des Präsidenten ist. Ihnen wird vorgeworfen, dem Pharmaunternehmen Pisa einen unrechtmäßigen Auftrag im Wert von 15 Millionen Dollar erteilt zu haben. Laut der zivilgesellschaftliche Organisation Acción Ciudadana führte Pisa den Auftrag fehlerhaft aus und ist für den Tod von 15 Patienten verantwortlich.

Viele weitere hochrangige Beamte legten ihr Amt nieder, darunter der Geheimdienstchef Ulises Anzueto, die Umweltministerin Michelle Martinez und der Minister für Energie und Bergbau, Erick Archila. Archilas Nachfolger, Edwin Rhodes, trat nach wenigen Tagen ebenfalls wegen Korruptionsvorwürfen zurück.

Wütend reagierten Demonstranten, als Innenminister Mauricio López Bonilla sich druch Rücktritt aus der Verantwortung stahl. Er hatte es nicht geschafft, die Sicherheitslage im Land, wie im Wahlkampf versprochen, zu verbessern. Der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) zufolge gehört Guatemala zu den 14 gewalttätigsten Ländern der Welt. Hinzu kamen zuletzt Angriffe auf die Meinungsfreiheit und die Kriminalisierung von Menschenrechtlern. Die aktuelle Krise ist das Ergebnis ­einer unheiligen Allianz zwischen Wirtschaftseliten, Militär, der organisierten Kriminalität und dem ­Drogenhandel. Involviert ist die Zentral­regierung ebenso wie Kommunalverwaltungen. Die zugrundeliegenden Netzwerke entstanden im 36-jährigen Bürgerkrieg (1960 –1996). Präsident Otto Pérez Molina, ein ehemaliger General, gehört zu der machtbewussten Elite, die sich so organisiert hat.

Seit Ende April sind in Guatemala rund 60 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Vielfalt der Akteure zeigt, dass die Korruption überall im Land zu spüren ist. Sie beginnt an lokalen Gesundheitsstationen oder Schulen, an denen Gelder veruntreut werden. Sie reicht bis zu Millionenverträgen, die unrechtmäßig vergeben werden; Geldern für Sozialleistungen, mit denen Wahlkampagnen finanziert werden; Richtern, deren Berufung sich die Leute mit Nepotismus erklären; sowie Stimmenkauf, um Gesetze durchzusetzen.

Die Demonstranten haben die Angst vor Repression überwunden. Sie verlangen den Rücktritt des Präsidenten, strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen, die Rückzahlung der hinterzogenen Steuergelder sowie strukturelle Reformen:

  • eine Reform des Wahl- und Parteiengesetzes, um die Wiederwahl von Abgeordneten und Bürgermeistern zu verbieten,  
  • die gleiche Anzahl von Männern und Frauen sowie angemessene Vertretung von Indigenen in öffentlichen Ämtern und auf Wahllisten sowie
  • eine Umstrukturierung des Steuersystems.

Einige verlangen auch eine verfassunggebende Versammlung, die ein neues Grundgesetz beschließen soll. Die für September geplanten Präsidentschaftswahlen sollen dagegen ausgesetzt werden. Massenhaft haben die Bürger Guatemalas ihr Schweigen beendet. „Wir kommen für Gerechtigkeit“, heißt es nun in den sozialen Netzwerken und auf den Straßen. Diese Geschichte hat gerade erst begonnen – und ihr Ende ist offen.
 
Patricia Galicia ist Journalistin und Radioredakteurin aus Guatemala-Stadt, Guatemala.
pati.galicia40@gmail.com

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