Frieden

Der schwierige Weg zur Versöhnung

Eine Auseinandersetzung zwischen Südsudans politischen Schwergewichten hat sich zu einem blutigen landesweiten Konflikt entwickelt. Der Gewaltausbruch hat mehrere Gründe – nicht nur ethnische Rivalität.
Einwohnerin von Bor in der südsudanesischen Provinz Jonglei. Sheila Mysorekar Einwohnerin von Bor in der südsudanesischen Provinz Jonglei.

Nur alte Leute erinnern sich an eine Zeit ohne Krieg im Südsudan, der früher der südliche Teil des Sudans war – die vernachlässigte, arme, unterentwickelte Zone des Landes. Seit 1956 leben die Menschen dort praktisch in einem permanenten Konflikt. Nachdem sie die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht errungen hatten, brach im Sudan ein blutiger Bürgerkrieg aus, der bis 1972 andauerte. Nach einer Pause von elf Jahren begann 1983 ein weiterer Krieg, der erst 2005 beendet wurde.

Bis dahin hatten drei Jahrzehnte Krieg rund 2,5 Millionen Opfer gefordert, die meisten von ihnen Zivilisten. Tausende Flüchtlinge verbrachten den Großteil ihres Lebens in Flüchtlingslagern in Uganda oder Kenia. Ungefähr eine halbe Million Menschen wurde im Land vertrieben und ihres gewohnten Lebens beraubt.

2011 schienen jedoch bessere Zeiten anzubrechen. Nach einem Referendum spaltete sich der Südsudan vom Sudan ab und wurde ein unabhängiger Staat mit ungefähr 11 Millionen Einwohnern. Davon sind 73 Prozent Analphabeten, und mehr als die Hälfte leben unter der Armutsgrenze. Es gibt kaum Infrastruktur außerhalb der Hauptstadt Juba. Dennoch gab es Grund zur Hoffnung. Der Südsudan hat fruchtbare Böden, ausreichend Wasser und riesige Rohölreserven – sowie eine junge, arbeitsfähige Bevölkerung.

Aber selbst nach der Unabhängigkeit blieb es unruhig. Im Bundesstaat Jonglei beispielsweise gibt es in entlegenen Gegenden häufig Zusammenstöße zwischen verschiedenen Stämmen. Menschenrechtsgruppen haben immer wieder auf die wachsende ethnische Gewalt hingewiesen, die sich häufig gegen das Nomadenvolk der Murle richtet.

Wann immer Sicherheitskräfte in solche Konflikte eingreifen, schlagen sie sich den Berichten zufolge auf eine Seite, anstatt die Kämpfe beizulegen. Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Stämmen wegen Vieh oder Land prägen das Leben in den Provinzen.

Aber der jüngste Gewaltausbruch hat einen anderen Hintergrund. Im Zuge eines Machtkampfes in der Regierungspartei Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) entließ Präsident Salva Kiir Mayardit Mitte Juli 2013 den Vizepräsidenten und das gesamte Kabinett. Der geschasste Vizepräsident, Riek Machar, ist ein alter Rivale des Präsidenten; beide haben früher als Rebellen gegen den Sudan gekämpft. Ende letzten Jahres mobilisierte Machar Teile der Armee, die ihm gegenüber loyal waren. In den aufflammenden Kämpfen eskalierte der Konflikt schnell entlang ethnischer Linien.

„Nun rächt sich, dass es in acht Jahren nicht gelungen ist, das Militär im Südsudan zu reformieren", sagt Wolf-Christian Paes vom Bonn International Center for Conversion (BICC). Seiner Meinung nach hätte dies schon 2005 geschehen sollen, direkt nach der Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) mit dem Sudan. Das CPA sah die Demobili­sierung der unterschiedlichen Milizen und den Aufbau einer neuen integrierten ­Armee vor. „Statt der angestrebten 90 000 Soldaten sind zwischen 2009 und 2011 gerade einmal 12 000 überwiegend ältere Kämpfer von der UN-Friedenstruppe demobilisiert worden", erklärt Paes.

Dieses Scheitern hat eine wirtschaft­liche Dimension. Die Wirtschaft ist schwach, und es gibt wenig Einkommensquellen. Der Armeedienst ist jedoch ein sicherer Job. „Der Sicherheitsapparat ist vor allem ein Patronagesystem", meint der BICC-Experte. „Es dient dem Machterhalt und der Bereicherung politischer Eliten."

Der Südsudan gibt etwa 10 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für sein Militär aus. Das ist die höchste Quote weltweit und passt zu einer alten Beobachtung des Oxford-Professors Paul Collier: „Eine große Armee ist nicht nur ein Verteidigungsmittel, sondern eine Interessensgruppe." Ein Grund für die fehlende Demobilisierung sind aber auch andauernde Grenzstreitigkeiten mit dem Sudan in der Provinz Abyei, so dass immer die Androhung eines größeren Konfliktes über dem Land schwebt.

In den jüngsten Auseinandersetzungen standen sich nun Lager der Armee gegenüber. Kiir gehört zu dem Volk der Dinka, und Machar ist Nuer. Beide mobilisierten Truppen, die aus persönlicher Loyalität zu ihnen stehen. Entsprechend entstand der Eindruck eines Stammeskonflikts. Tatsächlich ist die Lage jedoch nicht so simpel. Lokale Anführer manipulierten und instrumentalisierten Stammesloyalitäten für ihre Zwecke. Deshalb haben Dinka und Nuer Grausamkeiten gegeneinander verübt. In den vergangenen Wochen waren Tausende Opfer zu beklagen.

 

Öl und andere Reichtümer

Südsudans Konflikte drehen sich oft um Ressourcen. Für die Nomaden geht es um Zugang zu Wasser und Weideflächen, aber andere Ressourcen sind noch wichtiger: In den 1970er Jahren entdeckten die Ölkonzerne Chevron und Shell riesige Rohölfelder in der südlichen Region des damaligen Sudans. Ölprofite wurden jedoch praktisch ausschließlich im Norden des Landes investiert, obwohl die Ölquellen im Süden lagen. Dort wuchs die Frustration. Die ungleiche Verteilung des Ölreichtums war einer der Konfliktherde, der jahrzehntelang den Krieg schürte.

Heute kontrollieren chinesische Firmen einen Großteil des Ölgeschäfts im Südsudan. Ölerlöse machen 98 Prozent der Staatseinnahmen aus. Da der Südsudan keinen Zugang zum Meer hat, braucht er für Ölexporte jedoch die sudanesische Pipeline zum Roten Meer. Wegen eines Streits mit dem Sudan über Nutzungsgebühren wurde 2012 der Öltransport gestoppt, was dazu führte, dass Südsudans BIP auf die Hälfte schrumpfte.

 

Ausländische Hilfe und ausländische Interessen

Öl ist gewiss einer der Gründe, warum die Rebellen, die gegen den Sudan kämpften, internationale Unterstützung bekamen. Religiöse Differenzen zwischen dem mehrheitlich muslimischen Sudan und dem überwiegend christlichen Südsudan wurden betont, um Loyalitäten zu schaffen. Zum Beispiel unterstützten konservative christliche Gruppen in den USA die Unabhängigkeitsbewegung im Süden.

Seit seiner Unabhängigkeit ist der Südsudan auf ausländische Hilfe angewiesen. Die wichtigste internationale Präsenz im Lande ist die UN Mission in South Sudan (UNMISS) mit 7000 Soldaten, 900 Polizisten und vielen zivilen Mitarbeitern. In den vergangenen Wochen flohen Tausende von verzweifelten Menschen auf der Suche nach Schutz auf die UNMISS-Gelände. Sicherheit gab es nur in deren Lagern, denn außerhalb fehlt UNMISS trotz der oft erwähnten Schutzverantwortung („responsibility to protect", R2P) das Mandat, das Morden zu stoppen.

Collier wies schon vor Jahren darauf hin, dass „Post-Konflikt-Situationen fragil sind und es in der Regel keine simple politische Lösung gibt.  Friedenssicherung, die in eine längerfristige Garantie übergeht, scheint der Schlüssel für Frieden nach einem Konflikt zu sein." Entsprechend sollte nun die UNMISS-Präsenz verstärkt werden. Sie braucht auch den Auftrag, Kämpfe zu stoppen, um friedlichen Aufbau und Staatsbildung zu ermöglichen.

„Schutzverantwortung sollte mehr als Rhetorik auf dem internationalen Parkett sein". urteilt Peter Schumann, der ehemalige Koordinator der UN-Friedensoperation im Südsudan. Er möchte das Mandat der Mission erweitert sehen, damit die aktive Verhinderung von Gewalt mit einbezogen wird. Darüber hinaus rät er, die Zivilgesellschaft in Friedensgespräche einzubeziehen: „Es muss ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen allen Gruppen verhandelt werden." Sonst, sagt er, sei kein stabiler Frieden möglich.

In den vergangenen Wochen gab es hektische internationale Bemühungen um einen Waffenstillstand. Der UN-Sicherheitsrat ordnete an, UN-Truppen aus anderen afrikanischen Staaten in den Südsudan zu verlegen. Die Afrikanische Union entsandte unmittelbar nach dem Ausbruch der Gewalt ein Vermittlungsteam. Die benachbarten ostafrikanischen Staaten bemühen sich ihrerseits um ein Friedensabkommen zwischen den verfeindeten Gegnern.

Uganda hat Truppen in den Südsudan entsandt. Laut der Regierung in Kampala dienen die Soldaten vor Ort nur der Evakuierung von ugandischen Staatsangehörigen. Zugleich sollen sie aber stationiert bleiben, bis sich der Südsudan stabilisiert hat. Weil Ugandas Wirtschaft vom Export in den Südsudan abhängt, braucht die Regierung Frieden im Nachbarland.

Am 23. Januar wurde dank der Vermittlung der ostafrikanischen Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development) ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Internationale Friedensvermittler müssen also nicht immer von weither kommen. Leider gab es bis zum Redaktionsschluss Ende Januar trotzdem noch Berichte von Kampfhandlungen. Zu hoffen ist, dass der jüngste souveräne Staat der Welt mit Hilfe seiner Nachbarländer wieder den Weg zum Frieden findet.

 

Sheila Mysorekar gehört zum Redaktionsteam von E+Z/D+C. Sie war 2013 im Südsudan.
shmysore@aol.com

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.