Kleinbauern

Bessere Ernte

Mit Hilfe von Mobiltelefon-Apps könnten Landwirte ihre Erträge steigern. Ein Probelauf in Südindien zeigte, dass Smartphones dafür nützlich sein können – und dass Analphabetismus kein großes Hindernis darstellt. Die echte Herausforderung liegt darin, dass risikoscheue Kleinbauern sich das richtige Wissen aneignen und sich über die Möglichkeiten zur Produktionssteigerung austauschen.
Display eines Smartphones mit relevanten Informationen zur Landwirtschaft. Knoche Display eines Smartphones mit relevanten Informationen zur Landwirtschaft.

Die meisten Menschen ernähren sich von Lebensmitteln, die mit Regenwasser bewässert wurden. Die Produktivität dieser Kleinbetriebe könnte enorm gesteigert werden – weit mehr als die industriell geführter Betriebe. Dazu müssen Kleinbauern aber ihr Land anders bewirtschaften und mit Wasser versorgen als vorher.

Die meisten Kleinbauern haben kaum genug zum Leben. Sie sind schlecht informiert und neuen Methoden gegenüber skeptisch. Dass es Möglichkeiten zur Steigerung ihrer Erträge gibt, erfahren sie kaum und erhalten selten Rat von Experten. Oft tauschen sie sich nicht einmal untereinander aus. Zudem können viele Bauern nicht schreiben und lesen, so dass sie sich nicht weiterbilden können.

Viele der für die Bauern hilfreichen Informationen sind ortsspezifisch (wächst diese Sorte Mango in unserer Gegend genauso gut wie 500 Kilometer weiter nördlich?) und lassen sich nicht einfach aus wissenschaftlichen Quellen ziehen. Viele Kleinbauern scheuen zudem das Risiko und halten lieber ihre Verluste klein, als ihre Gewinne zu vergrößern. Die meisten vertrauen auf die traditionelle Anbaumethode sowie auf andere Kleinbauern und sind externen Experten gegenüber skeptisch.

Mobiltelefone verbreiten sich zunehmend in Entwicklungsländern und die Nutzungspreise sinken. So verändert die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) vieles – auch auf dem Land. Selbst Analphabeten benutzen inzwischen ICT-Anwendungen. Es wäre sinnvoll, diese Entwicklung zu nutzen, um Wissen über bewährte landwirtschaftliche Praktiken zu vermitteln.

 

Unser Projekt

Um herauszufinden, inwieweit digitales, soziales Netzwerken genutzt werden kann, haben wir „Coli" entwickelt. Das ist ein multi-modales soziales Netzwerk, das im indischen Bundesstaat Karnataka über Smartphones Informationen zu landwirtschaftlichen Fragen bereit stellt. An unserem Versuch, der über drei Jahre lief, nahmen 15 Bauern in einem kleinen Dorf teil. Sieben von ihnen waren Analphabeten, sieben waren in der Lage die regionale Sprache, Kannada, zu lesen und nur zwei konnten Englisch. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt auf verschiedene Weise – als Tagelöhner, Bauern, Hirten oder Händler – lebten aber alle in Haushalten, in denen bereits mindestens ein Handy genutzt wurde.

In dem Dorf leben 200 Familien. Zudem ist eine kleine NGO namens CKT dort tätig. CKT engagiert sich in verschiedenen Basisaktivitäten und wird von einem Agrarwissenschaftler geleitet, der eine eigene Farm im Dorf besitzt. Er unterstützte unser Projekt, das vom Swiss Development Council finanziert und von Forschern der École Polytechnique Fédérale Lausanne und des Indian Institute of Sciences in Bangalore geleitet wurde. Vier Planer und Wissenschaftler verbrachten insgesamt sechs Monate mit Feldforschung, Tests und Planung vor Ort. Diskussionen mit Zielgruppen und Einzelinterviews halfen uns, die Bedürfnisse der Farmer einzuschätzen und wir konnten so ihre Probleme besser angehen.

Ziel war es, über die Aktivitäten anderer Farmer bezüglich Aussaat (Sorten, Mengen und Methoden), Dünger (Art und Menge) und Bewässerung zu informieren. Auch das Auftreten und die Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten wurden einbezogen. Wir wollten, dass die Bauern über ihre Methoden Auskunft geben und darüber welche Ernteerträge und Einkünfte sie erwirtschafteten. Die ICT-App gab Tipps zu allen relevanten Themen. Es informierte auch über die aktuellen Marktpreise in der Umgebung und beim nächsten Produktionszentrum sowie über frühere Ernteerträge. Auch Wetterprognosen konnten abgerufen werden. Alle Informationen waren in Form von Text, Zahlen, Bildern und Icons zusammen mit Audionachrichten abrufbar.

Durch das Berühren eines Items auf dem Bildschirm für ein oder zwei Sekunden („long tap") konnten Analphabeten ein Audio-Programm starten und sich die Informationen vorlesen lassen. Die Ansagen und Symbole wie etwa ein Fragezeichen erleichterten die Navigation. Fehlten bei der Eingabe nötige Informationen, erhielten die Nutzer einen akustischen Hinweis.

Für dieses Projekt verteilte CKT einfache Android Smartphones mit ICT-Apps. Zwei Bauern wurden anfangs unterrichtet, wie das System funktioniert. Sie gaben das Gelernte dann an die anderen Teilnehmer weiter. An diese beiden Ansprechpartner konnten sich die anderen dann immer mit Problemen oder Fragen wenden. Die Ansprechpartner zeigten den anderen auch, wie sie die Smartphones nutzen und aufladen konnten. Mobiles Internet stand nicht zur Verfügung. Alle Informationen, die die Bauern eingaben, wurden per SMS an einen Server geschickt und von dort auf die Apps der andern Smartphones weitergeleitet.

 

Haltung der Bauern

Die Teilnehmer freundeten sich ziemlich schnell mit ihren Smartphones an. Sie nutzten sie täglich für Telefonate und insbesondere zur Unterhaltung – etwa zum Musikhören, Video-Schauen oder Fotografieren. Deshalb waren ihre Akkus oft schon vor dem Abend leer. Die Aktiveren unter den Teilnehmern nutzten die Agrar-App durchschnittlich alle zehn Tage. Die anderen nutzten sie etwa alle sechs Wochen. Meist informierten sie sich über das Wetter, interessierten sich aber auch für die Aktivitäten ihrer Kollegen, für Tipps und Marktpreise. Alle Farmer nutzten die Audio-Funktion, um Zahlen zu überprüfen oder sicher zu gehen, alles richtig verstanden zu haben.

Keiner unserer Teilnehmer äußerte Bedenken darüber, dass andere Einblick in ihre Entscheidungen gewinnen und sie nachahmen könnten. Die Hälfe von ihnen zeigte jedoch auch keine große Motivation Informationen einzugeben. Der am wenigsten interessierte Farmer meinte, er könne sich nicht vorstellen, warum jemand sich für das interessieren sollte, was er tut. Jeder bewirtschafte sein Land so, wie er es für richtig hielte und wie er es seit Jahren mache. Er hatte offensichtlich keine Vorstellung davon, dass man durch Lernen Dinge verbessern kann.

Die Bauern, die sich aktiver beteiligten, waren meist auch die wohlhabenderen. Alle fanden es aber hilfreich, Informationen ihrer Kollegen aus erster Hand zu erhalten, zum Beispiel, was die Wirksamkeit bestimmter Pestizide anging. Sie bevorzugten diese lokalen Erfahrungen gegenüber allgemeinen Experten-Tipps ( wie „gegen Unkraut Y muss X gesprüht werden"). Fast keinem Bauern war jedoch anfangs bewusst, dass ihm Informationen von Kollegen nutzen könnten. Diese einfache Tatsache musste ihnen erst klar gemacht werden.

Ursprünglich war das ICT-System Coli entwickelt worden, um Expertenwissen zu bestimmten Themen zu vermitteln. Aber dieses Angebot wurde nicht genutzt. Es wurde aber deutlich, dass die Bauern – besonders die ärmeren – gerne verständliche Schritt für Schritt-Hilfe wollten wie sie es von den Verkäufern landwirtschaftlicher Waren (Saatgut, Dünger und Pestizide) gewohnt sind. „Coli sollte mir sagen, was ich aussäen soll, und wann, und wieviel Dünger ich verwenden muss", sagte ein Bauer. Der Bauer, der die App am meisten nutzte, wollte mehr wissen: „Wenn ich ein Problem melde, soll mir Coli sagen, wie es dazu kam, und was ich tun muss".

Es fiel den Bauern nicht schwer, die App zu nutzen. Auch dass sie nicht lesen und schreiben konnten, war nicht schlimm. Problematisch war vielmehr mangelnde technische Kompetenz. Die Farmer kannten beispielweise keinen Touchscreen und taten sich schwer damit, kurze und lange Taps zu machen. Aber auch diese technischen Schwierigkeiten waren zweitrangig, denn beim Telefonieren oder bei Unterhaltungsaktivitäten beklagte sich keiner darüber.

Unserer Geberagentur, dem Swiss Development Council, ging es darum, eine App zu entwickeln, um die Produktivität kleiner Farmen zu erhöhen. Unser Versuch zeigte, dass das möglich ist. In dieser ersten App-Version fehlten noch die Anreize für die Bauern, ihre Daten zu teilen und sich ernsthaft mit den Erkenntnissen ihrer Kollegen auseinander zu setzen.

Vor allem wohlhabendere und pro-aktivere Bauern fühlten sich von der App angesprochen. Aber das hat wohl weniger mit der Anwendung zu tun als mit der allgemeinen Risikoangst ärmerer Bauern. Ihr Hauptziel ist eher Schaden zu verhindern als ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Für die fortschrittlicheren Bauern war es deshalb nicht so attraktiv sich mit den ärmeren Kollegen auszutauschen. „Mich interessiert nicht, was die meisten Bauern machen, sie sind zu konservativ", sagte einer unserer Teilnehmer. „Ich kann nichts Neues von ihnen lernen".

Bei künftigen Studien sollte man sich also mehr auf die erfolgreichen und ehrgeizigen Bauern konzentrieren. Außerdem sollte geprüft werden, ob die eingehenden Informationen stimmen. Denn etwa ein Drittel der Infos war falsch oder wurde mehrfach eingegeben, wenn Bauern anderen vorführten, wie das System funktioniert.

Die digitale Revolution ist in vollem Gange. Dorfbewohnern in Indien fällt es nicht schwer, Mobiltelefone zu nutzen. Es ist also technisch möglich, ihnen landwirtschaftliche Informationen zu übermitteln. Analphabetismus ist auch kein Problem. Die Herausforderung ist also, das passende Wissen zu vermitteln und das Interesse der Bauern zu wecken, sich auszutauschen.

 

Hendrik Knoche ist Assistent Professor am Institut für Architektur, Design & Medien-Technologie an der Aalborg Universität in Dänemark. Zuvor arbeitete er als Post-Doktorant an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne in der Schweiz.
hk@create.aau.dk

HS Jamadagni ist Professor at IISc Bangalore’s Department of Electronic Systems Engineering in Indien.

PR Sheshagiri Rao Rao ist Wissenschaftler und Bauer in CKPura, Pavagada in Indien.

 

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