Brasilien

Blankoscheck für den Präsidenten

Brasiliens Demokratie steckt in einer tiefen Krise. Nur zehn Prozent der Brasilianer sind mit der Art ihrer Demokratie zufrieden und nur 30 Prozent befürworten überhaupt die Staatsform der Demokratie. Das erklärt, wie Jair Bolsonaro, der die Diktatur von 1964 bis 1985 verherrlicht, im November zume Präsidenten gewählt werden konnte.
Demokratie scheint vielen Anhängern von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nicht wichtig. picture alliance/NurPhoto Demokratie scheint vielen Anhängern von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nicht wichtig.

Die Zahlen stammen aus der neuesten Ausgabe des Latinobarómetro, einer jährlichen Meinungsumfrage in 18 lateinamerikanischen Ländern. Ihr zufolge steckt die Demokratie auch in anderen Ländern Lateinamerikas in der Krise, am wenigsten Zuspruch hat die Staatsform allerdings in Brasilien. Als Gründe dafür nennt der britische Economist zuallererst wirtschaftliche Sorgen, gefolgt von Kriminalität und Korruption.

Brasilien kämpft mit der schwersten Rezession der vergangenen 100 Jahre. Die Arbeitslosenzahl liegt bei etwa 13 Prozent und der reale Bruttoinlandsproduktverlust von 7,2 Prozent im Zeitraum 2015 bis 2016 übertraf den anderer großer Rezessionen.

Viele Experten sehen im Sieg Bolsonaros eine Bedrohung für die Demokratie. Die Ergebnisse des Latinobarómetro lassen aber eher die Schlussfolgerung zu, dass der Ex-Armee-Kapitän zum Präsidenten gewählt worden ist, weil die Demokratie in Brasilien in der Krise steckt.

Bolsonaro wusste im Wahlkampf offensichtlich mit den Ängsten der Bevölkerung gut umzugehen. Seine Kampagne in den sozialen Medien stützte sich auf die drei Hauptgründe der Unzufriedenheit: Wirtschaft, Kriminalität und Korruption. Nun hat Bolsonaro für die Ankurbelung der Wirtschaft und für den Kampf gegen Kriminalität und Korruption „Superminister“ mit erweiterten Befugnissen ernannt: Paulo Guedes und Sérgio Moro (siehe hierzu meinen Beitrag im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Papers 2019/01).

Bolsonaros Sieg war deshalb kein Zufall. Seine Kandidatur hat sich in einem Umfeld entwickelt, in dem Politiker verschiedener Parteien in vielerlei Hinsicht versagt haben: in Bezug auf die Regierungsführung und in Bezug auf eine Reform des Systems, in Bereichen wie Sicherheit oder Wirtschaft. Man spricht von einer „dysfunktionalen Gewaltenteilung“ und einer „Judizialisierung der Politik“.

Ob die neue Regierung tatsächlich fähig ist, die bestehenden Konflikte zu lösen, bleibt abzuwarten. In Hinsicht auf das fehlende Wahlprogramm des Rechtsaußen Bolsonaro sagte Antônio Carlos Magalhães Neto, Bürgermeister von Salvador und Vorsitzender der konservativen Partei DEM: „Bei diesen Wahlen hat Brasilien den größten Blankoscheck seiner Geschichte vergeben. Niemals zuvor hatte ein Präsident einen größeren Blankoscheck bekommen wie Bolsonaro.“

Die Abgeordnetenkammer besteht jetzt aus 513 Abgeordneten aus 30 verschiedenen Parteien. Die oppositionelle Arbeiterpartei (PT) wird 56 Abgeordnete und die PSL (von Bolsonaro) 52 haben. Die Regierungspartei PSL hat dann 10 Prozent der Abgeordnetenkammer inne und nur 5 Prozent des Senats (4 Senatoren). Für wichtige Vorhaben wie die Rentenreform braucht Bolsonaro aber die Unterstützung von drei Fünftel des Senats und der Abgeordnetenkammer. Dies wird auf jeden Fall eine enorme Herausforderung für den neuen Präsidenten sein.

Außerdem gehören dem neuen Regierungskabinett überraschend wenige Vertreter der großen Parteien an. Bolsonaro hat ein Kabinett gegründet, das auf den beiden Institutionen basiert, die immer noch das meiste Vertrauen der Wähler genießen: der Streitkräfte und der Kirchen.

Fast ein Drittel der Brasilianer glauben laut Umfragen, dass das Risiko eines Militärputsches derzeit besonders hoch ist. Dies bestreitet der Oberbefehlshaber der brasilianischen Armee, General Eduardo Villas Bôas: Die Wahl des ehemaligen Kapitäns zum Präsidenten sei „keine Rückkehr des Militärs“.

Vladimir Safatle, Philosoph an der Universität von São Paulo, sieht ein Versagen der linken Kräfte, die sich bei der vergangenen Präsidentschaftswahl gespalten und gegeneinander gekämpft haben, was letztendlich Bolsonaro geholfen hat. Eine Verteidigung der Demokratie hängt folglich auch mit der Fähigkeit zur Reorganisation der progressiven Opposition zusammen.

Bei der Re-Demokratisierung der brasilianischen Gesellschaft wird die Beziehung zwischen Exekutive und Judikative entscheidend sein, meint der Politikwissenschaftler Sérgio Abranches. Es werde auch der entscheidende Test für die Regierung und die Demokratie selbst sein. Abranches schätzt, dass Bolsonaro etwa ein Jahr Zeit bleibt, Führung zu zeigen und die Wirtschaft anzukurbeln. Der erste Test werde Regierungsführung und Stabilität sein. Die Präsidenten, die die Wähler frustriert haben, verloren sofort an Popularität und hatten Probleme im Kongress. Zwei von ihnen (Fernando Collor und Dilma Rousseff) wurden ihrer Ämter enthoben, erinnert der Politikwissenschaftler. Kein leichtes Erbe für Bolsonaro.


Carlos Albuquerque arbeitet für das Brasilien-Programm der Deutschen Welle in Bonn.
carlos.albuquerque@gmx.de

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