Philipp Schwartz-Initiative

Sicherheit und neue Jobs für verfolgte Wissenschaftler

Laut des Academic Freedom Index (AFI) leben 80 Prozent aller Menschen weltweit in Ländern, die Wissenschaftsfreiheit einschränken. Viele Forschende sind deshalb gefährdet und müssen fliehen. Die von der Alexander von Humboldt-Stiftung initiierte Philipp Schwartz-Initiative unterstützt gefährdete Wissenschaftler, um in Deutschland in Sicherheit arbeiten zu können – auch in ganz aktuellen Krisensituationen wie in der Ukraine und Afghanistan.
Die aus dem Jemen stammende Forscherin Ghanya Al-Naqeb. Humboldt-Stiftung/Elisa Vettori Die aus dem Jemen stammende Forscherin Ghanya Al-Naqeb.

„Nach den Protesten beim Arabischen Frühling 2011 wurde die Lage in meiner Heimat zunehmend schwierig für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen“, erinnert sich Ghanya Al-Naqeb. Die promovierte Lebensmittelchemikerin aus dem Jemen lehrte und forschte 2015 an der Universität Saana, als in ihrem Heimatland ein Mehrfrontenkrieg ausbrach. Plötzlich wurde jeder zum Feind, und an der Uni nahm die Schikane zu.

„Mitunter war ich am Arbeitsplatz völlig von Wasser und Elektrizität abgeschnitten. Außerdem erhielt ich zwei Jahre lang keinerlei Gehalt“, sagt sie. „Dann erlebte ich, wie an meiner Fakultät Wissenschaftler verschwanden. Ich hatte wirklich Angst vor dem, was mit mir geschehen könnte, ich fürchtete um mein Leben.“

Al-Naqeb gelang es, auf einer internationalen Konferenz in Washington auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Der emeritierte deutsche Mathematik-Professor Klaus Krickeberg wollte helfen und vermittelte die Jemenitin an Leane Lehmann, Professorin für Lebensmittelchemie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Lehmann war bereit zu helfen und bewarb sich als Mentorin gemeinsam mit Al-Naqeb um die Förderung durch die Philipp Schwartz-Initiative (PSI). „Dass es damals geklappt hat, war ein Geschenk – ein Segen Gottes für mich“, sagt Al-Naqeb.

Fördermittel für Hochschulen

Die Alexander von Humboldt-Stiftung vergibt seit 2016 mit der Philipp Schwartz-Initiative Fördermittel an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland, die gefährdete Forschende für zwei Jahre aufnehmen. Im Rahmen einer Vollfinanzierung erhalten die gastgebenden Einrichtungen Mittel für ein Forschungsstipendium oder eine arbeitsvertragliche Anstellung. Die Humboldt-Stiftung selbst ermöglicht jährlich über 2000 Forscher aus aller Welt einen wissenschaftlichen Aufenthalt in Deutschland. Aktuell hilft die PSI auch gefährdeten Forschenden aus der Ukraine und Afghanistan (siehe Kasten).

Die Initiative ist nach dem deutschen Pathologen Philipp Schwartz benannt, der Professor in Frankfurt war. Er wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 aufgrund seiner jüdischen Wurzeln fristlos aus dem Universitätsdienst entlassen. Schwartz floh in die Schweiz, wo er die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland gründete. Deren Ziel war es, verfolgten Forschenden Arbeitsplätze im Ausland zu vermitteln. Die Organisation half mehreren Hundert vertriebenen Forschenden.

In der Humboldt-Stiftung hatte man sich schon länger mit der Frage nach der Unterstützung verfolgter Forschender befasst – auch aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands. So bestanden Kontakte zu Förderorganisationen wie dem in New York ansässigen Institute of International Education’s Scholar Rescue Fund (IIE-SRF), dem internationalen Netzwerk Scholars at Risk Network (SAR) und zum britischen Council for Assisting Refugee Academics (CARA). Diese Organisationen wurden teilweise als Antwort auf politische Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland gegründet, haben aber ausgerechnet aus Deutschland noch immer keine substanzielle Unterstützung erfahren.

Neues Programm erarbeitet

Als 2015 hundertausende Geflüchtete Deutschland erreichten, darunter auch viele Akademiker und Forschende, gelang es mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes innerhalb weniger Monate ein komplettes Programm anzubieten. Im Juni 2015 verkündete der damalige deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, die Gründung der Philipp Schwartz-Initiative auf der Jahrestagung der Humboldt-Stiftung in Berlin.

Mittlerweile sind in 10 Auswahlrunden 330 Fellows für eine Unterstützung durch die Initiative ausgesucht worden. 97 deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben die Rolle der Gastgeberin übernommen. Ghanya Al-Naqeb musste vier Monate auf ihr Visum warten, bis sie über den Sudan ausreisen und in Würzburg 2017 ihre Arbeit fortsetzen konnte.

„Ich habe einen Deutschkurs besucht und parallel im Labor der Hochschule mit den Pflanzen weitergearbeitet, die ich aus dem Jemen mitgebracht habe“, erklärt sie. Die Sprachbarriere und die Arbeit in einem hoch entwickelten Labor seien eine Herausforderung gewesen. „Gleichzeitig wurde ich gut ins Team aufgenommen und war sehr dankbar für die Möglichkeit, meine eigene Forschung in Deutschland fortsetzen zu können.“

Entscheidend war, dass das Auswärtige Amt und der Deutsche Bundestag die Philipp Schwartz-Initiative im Herbst 2018 in ein dauerhaftes Programm umwandelten. Die Unterstützung im Parlament war parteiübergreifend. Damit war Deutschland zu einem zentralen Anwalt für gefährdete Forschende geworden und leistet nun den zuvor fehlenden nationalen Beitrag zur Unterstützung gefährdeter Forschender.

Berufliche Perspektive

Die Hoffnung, dass vielen Geförderten nach einigen Jahren eine Rückkehr in die Heimat möglich sein wird und sie dort zum Wiederaufbau beitragen könnten, erfüllte sich leider nicht. Deshalb vermittelt die Schwartz-Initiative nun auch dauerhafte Lösungen mit permanenten Arbeitsverträgen.

So haben mehr als 66 Prozent der ehemals Geförderten direkt im Anschluss eine Folgeanstellung gefunden. Die Initiative ist auch zum Referenzpunkt für andere Programme in Europa geworden. So entwickelte das französische Collège de France nach dem Modell der Philipp Schwartz-Initiative sein eigenes Hilfsprogramm für gefährdete Forschende und wurde zu einem engen Partner auch beim EU-Projekt InSPIREurope. In diesem Projekt haben sich zehn Organisationen aus neun europäischen Ländern – darunter die Humboldt-Stiftung – zusammengeschlossen, um sich unter Federführung des neu aufgebauten europäischen Büros von Scholars at Risk für die Belange gefährdeter Wissenschaftler*innen in Europa einzusetzen.

Die Lebensmittelchemikerin Ghanya Al-Naqeb konnte wegen des andauernden Bürgerkriegs nicht in ihre Heimat zurückkehren. Aber dank ihrer Kontakte, die sie während ihrer Zeit in Deutschland knüpfte, war sie mit einer Bewerbung an der Universität Trient in Norditalien erfolgreich, wo sie heute noch forscht und lehrt. 


Link
Philipp Schwartz-Initiative:
https://www.humboldt-foundation.de/bewerben/foerderprogramme/philipp-schwartz-initiative


Mareike Ilsemann ist Pressereferentin bei der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Schwartz-Initiative@avh.de

 

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