Lokalverwaltung

Mehr Freiheit

Viele deutsche Städte haben Partnerschaften in aller Welt, auch mit Kommunen in Nord­afrika. Diese stehen seit den Revolutionen vor völlig neuen Gegebenheiten, was auch die Kooperation verändert – zum Beispiel zwischen Tunis und Köln. Sheila Mysorekar sprach mit Souad Sassi vom Bürgermeisteramt in Tunis und Uwe Korch vom Oberbürgermeisteramt in Köln.

Interview mit Souad Sassi und Uwe Korch

Wann hat die Zusammenarbeit ­zwischen Köln und Tunis begonnen?
Uwe Korch: Partner sind die beiden Städte schon seit 1964, aber nun gibt es ganz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.
Souad Sassi: Früher war die Kooperation auf einige wenige Felder beschränkt. Ende der 1960er Jahre beispielsweise hatte Köln der Stadt Tunis zu einem eigenen Zoo verholfen. Also lautete die Vorgabe für die Städtepartnerschaft schlicht und einfach, dafür zu sorgen, dass der Zoo erweitert wurde, also dass die Stadt Köln uns weitere Tiere beschaffte. Seit der Revolution haben wir natürlich viel mehr Entscheidungsfreiheit und können ganz andere Schwerpunkte setzen. Jetzt wollen wir kommunale Selbstverwaltung, lokale Entwicklung und demokratische Regierungsführung.
UK: Mit lokaler Selbstverwaltung haben die deutschen Kommunen viel Erfahrung, die wir gern weitergeben. Das hat die Zusammenarbeit auf eine andere Ebene gehoben. Früher haben wir eher Kultur- und Schüleraustausche organisiert. Nun arbeiten wir projektbezogen mit einer viel größeren Bandbreite. Fachleute aus der Praxis kommen zusammen, um gemeinsam konkrete Probleme vor Ort zu lösen. Zum Beispiel helfen wir bei der Instandsetzung von Straßenbeleuchtung oder bei der Müll­entsorgung.

Wie genau sieht die Zusammenarbeit bei solchen Infrastruktur­projekten aus?
SS: Wir haben noch erhebliche Probleme mit der Versorgungslage. Die städtischen Einrichtungen funktionieren nicht gut. Wir haben nicht einmal genug Müllwagen.
UK: Hier können die deutschen Kommunen konkrete Hilfe leisten. Die Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) beispielsweise überlegen nun, ausrangierte, aber noch fahrtüchtige Müllwagen der Stadt Tunis zu geben. Außerdem werden wir wahrscheinlich zusammen mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Infokampagne über Müllvermeidung und Mülltrennung planen.
SS: Augenblicklich sieht man noch viele wilde Müllhalden in der Stadt. Die Bürger müssen lernen, aktiv bei der Müllvermeidung mitzumachen, erst dann können wir Sauberkeit garantieren. Wir müssen sie davon überzeugen, die Kommunen zu unterstützen – zum Beispiel mit dieser Infokampagne.

Was macht die Städtepartnerschaft sonst aus?
SS: Es gibt auch noch ganz andere ­Themen auf unserer Agenda, zum Beispiel den Kulturaustausch. Ein Orchester aus Köln wird in Tunis spielen, und im ­Gegenzug wird man die typisch tunesische Malouf-Musik in Köln live hören können. Auch der Tourismus soll ausgebaut werden. Unser Netzwerk ist eine großartige Möglichkeit, dass die Bürger beider Länder mehr über die Kultur der anderen lernen. Ich persönlich hoffe, dass der kulturelle Austausch verstärkt wird, etwa im Bereich Theater. Das wird die Menschen einander annähern.

Wie sieht es mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aus?
UK: Wir unterstützen Kölner Unternehmen, die in Tunis etwas aufbauen wollen. Die Bedingungen in Tunesien und der Zugang zu Arbeitskräften sind günstig für deutsche Unternehmen.
SS: Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem in Tunesien und war schließlich auch einer der Hauptauslöser der Revolution. Es ist daher außerordentlich wichtig für uns, dass ausländische Unternehmen in unser Land investieren.

Ist die enge Zusammenarbeit zwischen Köln und Tunis eine Ausnahme?
UK: Köln ist nicht die einzige deutsche Stadt, die sich im Maghreb engagiert. Ende 2011 haben sich deutsche Städte, die sich für die Entwicklung in Nordafrika einsetzen wollten, zu einem Städtenetz für Nordafrika zusammengeschlossen, unter der Ägide von ENGAGEMENT GLOBAL und dem Deutschen Städtetag.

Sind die tunesischen Kommunen mit den Veränderungen durch die Revolution überfordert?
SS: Niemand will die alten Zeiten zurück. Die Zivilgesellschaft hat enorm mobilisiert. Aber wir stehen vor großen strukturellen Problemen. Wir brauchen bessere Dienstleistungen, eine transparente Verwaltung und kommunale Selbstorganisation. In Tunis ist vor kurzem eine Kommission eingesetzt worden, die die neue tunesische Verfassung ausarbeiten soll. Die Kommunen müssen ihre Situation während des Transitionsprozesses verbessern. Wir müssen in Entscheidungsprozesse eingebunden sein.

Wie beurteilen Sie die Chancen der Stadt Tunis auf echte demokratische Mitbestimmung, auch auf kommu­naler Ebene?
SS: In Tunesien gab es schon vor der Revolution größere Freiheiten als in vielen anderen arabischen Ländern, die mit größeren Problemen kämpfen: mehr Armut, mehr Extremismus, höhere Analphabetenrate, und – was gravierend ist – keine Debattenkultur. Trotzdem herrscht dort große Freude über die neuen Freiheiten. Die Situation in Tunesien ist in mancher Hinsicht anders. Frauen haben dort seit jeher mehr Freiheiten genossen. Das Land hat bessere Voraussetzungen, um eine echte Demokratie aufzubauen. Spätestens im Juni 2013 wird es Kommunalwahlen geben. Schon in den 1970er Jahren hat man in Tunesien eine Interessenvertretung der Städte gesetzlich verankert, aber das Gesetz wurde nicht umgesetzt. Nach der Revolution begannen Angestellte der Stadt­verwaltungen, diesen „Städtetag“ wiederzu­beleben, allerdings ohne dafür zusätzliches Geld zur Verfügung zu haben.

Auch die deutschen Kommunen haben nur begrenzte finanzielle Mittel. Wie viel Geld braucht Köln, um Tunis zu unterstützen?
UK: Dies ist nicht nur eine Sache des Geldes. Die Stadt Köln steht unter ­hohem finanziellem Druck – dieses Jahr müssen wir 30 Millionen Euro ein­sparen. Das tut weh. Wichtiger ist: Der ­politische Rückhalt für die Zusammen­arbeit mit dem Maghreb ist da. Die Außenhandels­kammer unterstützt dies, und wir haben Vereine, die mit uns ­intensiv zusammenarbeiten, wie zum Beispiel Köln-Tunis e.V.. Dieser 1993 gegründete Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Tunis hilft uns unter anderem mit Austausch­programmen. Die Stadt Köln spielt dabei die Rolle des Vermittlers zwischen den Bürgern beider Länder.

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