Finanzmärkte

Rating-Macht

Seit dem globalen Finanzcrash, und erst recht seit der Euro­krise, wird die Kritik an der Macht von Ratingagenturen immer lauter. Dabei geht es fast ausschließlich um die Rolle der Agenturen in Nordamerika und Europa. Doch die Ratings haben auch auf Entwicklungsländer großen Einfluss, weil sie internationale Kapitalströme steuern.

Von Karl Heinz Bächstädt, Markus Henn und Franziska Richter

Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit eines Schuldners: Sie prüfen, ob er fähig und willens ist, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Schuldner sind dabei nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten. Die Agenturen drücken ihre Meinung durch Noten (Ratings) aus. Je besser ­diese ausfallen, umso attraktiver sind Staaten und Unternehmen für Investoren und umso günstiger werden die Finanzierungskonditionen. Wenn sich die ­finanzielle Lage eines Schuldners ändert, schwanken auch die Ratingnoten: Verschlechtern sie sich, wird es für die Schuldner teurer und oft auch schwieriger, neues Geld zu leihen.

Ratingagenturen bewerten außerdem komplexe Finanzprodukte. Ihr krasses ­Versagen beim Rating dieser Produkte hat die globale Finanzkrise entscheidend mit verursacht. Die drei weltweit tätigen privaten Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch beherrschen mit einem Anteil von rund 90 Prozent den Markt.

Entwicklungsländer im Nachteil

Entwicklungsländer und dort ansässige Unternehmen haben bisher häufig kein Rating von den großen Agenturen erhalten. Das erschwert ihnen den Zugang zu internationalen Kapitalmärkten und verhindert ausländische Direktinvestitionen. Der Grund dafür sind zunächst die hohen Kosten, denn der Emittent einer Anleihe – in diesem Fall also die Regierung des Landes – muss selbst für das Rating zahlen („issuer pays“-System).

Um hier Abhilfe zu schaffen, startete 2003 das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zusammen mit der Ratingagentur Standard & Poor’s eine „Rating Initiative“. Insgesamt 16 Ratings, darunter sieben für Subsahara-Länder, wurden von der UNDP und dem US-Außenministerium gesponsert. Doch die Ratingagenturen setzen weiterhin zu wenig Personal und Expertise für Entwicklungsländer ein. Anstatt umfangreiche Analysen zu machen, stützen sie sich bei ihrer Bewertung auf wenige Faktoren wie ­Verschuldung, Bruttosozialprodukt und Wachstum.

Zudem fallen die Bewertungen von Entwicklungsländern oft pauschal schlechter aus, weil der Weltregion ein zu hohes Gewicht beigemessen wird. Ist die Region, in der das Land liegt, wirtschaftlich nicht so stark, fällt auch die Note für den Staat schlechter aus – unabhängig von der eigenen Wirtschaftsleistung. Dies ist umso gravierender, als die Landesnote zugleich als Obergrenze für die Ratings von Unternehmen („sovereign ceiling“) gilt. So werden selbst stabile Unternehmen in Entwicklungsländern teils ungerechtfertigt niedrig eingestuft.

Mehr Ratings durchzuführen kann also nicht die alleinige Lösung sein, um Entwicklungsländern den Zugang zu Krediten zu erleichtern. Hinzu kommt, dass die mächtigen Ratingagenturen der Entwicklung dieser Länder durchaus auch schaden können:
– Ratingagenturen vertreten eine liberale Wirtschaftspolitik und werten zum Beispiel Staatseingriffe in die Wirtschaft als negativ. Die immer drohende Herabstufung des Länderratings bringt Regierungen dazu, eher investorenfreundliche, kurzfristig orientierte Wirtschaftspolitik umzusetzen – und beispielsweise die Staatsverschuldung gering zu halten. Das steht an langfristiger Entwicklung orientierten Strategien oft im Weg.
– Aus politischer Sicht erfreuliche Entwicklungen, wie die Demokratisierung der arabischen Staaten, könnten von Ratingagenturen als Rückzahlungsrisiko gewertet werden, so dass sie die Länder abwerten. Dies kann im äußersten Fall zum Scheitern der neuen Regierung beitragen.

Die Ratingagenturen haben gegenüber Regierungen wegen ihrer zentralen Stellung im Finanzsystem und ihrem Einfluss auf Kapitalströme eine außerordentliche Machtposition. Das ist nicht gerechtfertigt, zumal die Agenturen über keinerlei demokratische Legitimation verfügen.

Brandbeschleuniger

Obendrein spielen Ratings auch eine Schlüsselrolle bei Finanzkrisen, da sie Konjunkturzyklen verstärken. Häufig bewerten sie Länder und Unternehmen in Boomphasen zu positiv und korrigieren sich dann in Rezessionsphasen zu spät und zu heftig. Das liegt unter anderem daran, dass sie nur wenige volkswirtschaftliche Faktoren wie Wirtschaftswachstum und Inflation bewerten, sodass sie Instabilität auf den Finanzmärkten kaum vorhersehen können.

Gerade in Entwicklungsländern, deren Wirtschaft ohnehin häufig instabil ist, beeinflussen sie die Kapitalflüsse enorm: Bei einem Aufschwung mit entsprechend positiven Ratingnoten strömt massenhaft spekulatives Kapital („hot money“) in das Land und befeuert den Boom. Eine spätere Abwertung bewirkt dann oft eine massive Kapitalflucht ausländischer Investoren. Das beschädigt die Wirtschaft des betroffenen Landes zusätzlich schwer. Besonders institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Versicherungen ziehen bei der Herabstufung einer Anleihe schnell ihr Kapital ab, da sie nur gut und sehr gut bewertete Wertpapiere halten dürfen. Die auf diese Weise befeuerten Krisen in Mexiko 1994/95 sowie Asien 1997/98 lösten massive Kritik an den Ratingagenturen aus.

Trotz der vielen kritischen Punkte wurden die Ratingagenturen in den vergangen Jahren jedoch weiter gestärkt, insbesondere durch die Basel-Richtlinien zur Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen von Banken (Basel II). Danach müssen Banken für jeden vergebenen Kredit und jede erworbene Anleihe einen bestimmten Anteil ihres Eigenkapitals „reservieren“, um das Risiko des Ausfalls abzudecken. Dessen Höhe hängt von der Ratingnote ab – für schlechter bewertete Anleihen muss also mehr Eigenkapital gehalten werden.

Zwar sind diese internationalen Richtlinien formell nur Empfehlungen, tatsächlich stehen aber Schwellen- und Entwicklungsländer unter enormem Druck, sie umzusetzen. Transnationale Investoren legen nämlich Wert auf weltweit einheitliche Regeln und Standards.

Dennoch bleiben viele Staaten Basel II gegenüber vorsichtig. Oft fehlen ihnen zur Implementierung inländische Ratingagenturen und Aufsichtsbehörden. Außerdem können die Richtlinien den Ländern auch schaden: Wird beispielsweise die Note eines Entwicklungslands heruntergestuft, sinken im nächsten Schritt die Ratings (fast) aller Anleihen dieses Staates. Damit müssen die inländischen Banken, die Gläubiger dieser Wertpapiere sind, mehr Eigenkapital halten. Das Land hat also nicht nur weniger Zugang zu internationalem Kapital, sondern auch die heimischen Banken müssen ihre Kreditvergabe einschränken – und die Rezession verschärft sich. Noch dazu kommt, dass bei einem schlechten Länderrating auch die Privatunternehmen herabgestuft werden.

Einige Länder, wie Brasilien zum Beispiel, verzichten daher bei den Eigenkapitalvorschriften für ihre Banken völlig auf externe Ratings. Dennoch sind sie von Basel II betroffen, wenn internationale Banken auf ihren Märkten aktiv sind. Denn diese Banken werden in ihren Ursprungsländern, beispielsweise der EU, auf Grundlage von Ratings reguliert. Finanzkrisen, die unter anderem auf falschen und irreführenden Ratings beruhen, können Grenzen überspringen.

Neue Agenturen

In zahlreichen Entwicklungsländern existieren bereits oder entstehen derzeit eigene Ratingagenturen. Die Eigentümerstrukturen sind recht unterschiedlich. So hat sich beispielsweise die südafrikanische Firma Global Credit Rating auf den afrikanischen Markt spezialisiert und stellt dort rund 60 Prozent aller Ratings aus. Zunächst als Zweigstelle der inzwischen von Fitch übernommenen Agentur Duff & Phelps gestartet, wird die Global Credit Rating heute von europäischen Entwicklungsbanken gefördert. Die KfW Bankengruppe ist ihr größter Anteilseigner.

Die indische Credit Analysis & Research (CARE Rating) wurde 1993 auf Initiative mehrerer, zum größten Teil öffentlicher Banken gegründet. Bis heute sind die größten Anteilseigner von CARE zwei staatliche Banken sowie die Zentralbank Indiens. Die Ratings der Agentur sind bei der indischen Börsen- und Wertpapieraufsicht, der Zentralbank und anderen öffentlichen Institutionen anerkannt und werden zu Regulierungszwecken, darunter auch für Basel II, genutzt.

Auch im Bereich der verstärkt in die Kritik geratenen Mikrokredite haben sich inzwischen Ratingagenturen etabliert. Die bekannteste ist die 2002 gegründete NGO Microfinance Information Exchange (MIX) mit Sitz in Washington DC. Sie bewertet Mikrokreditinstitutionen (MFIs) vor allem anhand finanzieller Größen wie der Rückzahlungsquoten und des Volumens der Kredite. Hauptziele von MFIs wie Armutsbekämpfung oder Nachhaltigkeit stehen dagegen nicht an erster Stelle der Bewertung. MIX wird deshalb wohl kaum dazu beitragen, die Entwicklungsbilanz der MFIs zu verbessern.

Stimmige Steuerpolitik

Letztlich sind Ratingagenturen jedoch nur dort mächtig, wo Staaten und Unternehmen sich hauptsächlich über Kapitalmärkte finanzieren. Staaten, die sich statt auf Steuern auf Anleihen und Kredite stützen, unterwerfen sich dem Urteil der Banken, Kapitalmärkte und Ratingagenturen. Angesichts der aktuellen Finanzkrise sollten sich Entwicklungsländer gut überlegen, ob sie das wirklich wollen. Eine sinnvolle Steuerpolitik, die auch verhindert, dass Kapital in Steueroasen abfließt, ist in den meisten Fällen viel wichtiger.

Die EU überarbeitet zurzeit ihre Gesetzgebung für Ratingagenturen. Dabei sollte sie deren Wirkung auf Entwicklungsländer stärker beachten. Finanzinstitutionen und Politik müssen unabhängiger von den ­Ratingagenturen werden, die Banken­aufsicht sollte Interessen von Entwicklungsländern stärker berücksichtigen und Bewertungen sollten mehr Faktoren einbeziehen. Internationale Vereinbarungen wie die Basel-Richtlinien sollten die nationalen Regulierungsmöglichkeiten der Entwicklungsländer bewahren. Außerdem müssten Ratings auch die Nachhaltigkeit von Anleihen beachten sowie soziale und ökologische Faktoren berücksichtigen.

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