Asiatische Volkswirtschaften

Neue grenzüberschreitende Wettbewerbspolitik

Zunehmend beherrschen die Plattformen einiger weniger multinationaler Konzerne das Internet. Um effektiven Wettbewerb zu schaffen, sind internationale Standards nötig, wie zwei leitende Ökonomen der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank – ADB) erläutern.
Google-Suche in einem thailändischen Internetcafé. Julio Etchart/Lineair Google-Suche in einem thailändischen Internetcafé.

Was bedeuten die FAANGs – Unternehmen wie Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google – für Asien?
Sawada: 2017 hat die ADB zusammen mit dem Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum – WEF) einen Bericht vorgelegt, der bestätigte, dass bestimmte Plattformen den Weltmarkt dominieren. Google kommt auf 90 Prozent der Suchmaschinenanfragen, Facebook kontrolliert 77 Prozent der sozialen Medien und über Amazon laufen 75 Prozent des Online-Handels. Eine Handvoll Großkonzerne hat also fast Monopolstellungen, und das wirkt sich in der Tat auf Asien aus – mit Vor- und Nachteilen. Am wichtigsten ist, dass die Plattformen kleinen und mittleren Unternehmen (small and mid-sized enterprises – SMEs) wertvolle neue Chancen verschaffen. Sie haben jetzt zu geringen Kosten Zugang zum Weltmarkt. Selbst ein pazifischer Inselstaat wie Fidschi ist in diesem Sinn nicht mehr abgelegen. Das ist sehr gut. Es fördert Wachstum, wenn kleine Privatunternehmen florieren und Skalenerträge erzielen. Andererseits besteht das Risiko, dass Monopole ausgenutzt werden. Ob die FAANGs das tun, ist schwer zu sagen und letztlich eine empirische Frage.

VWL ist aber eine Modellwissenschaft, und eine Kernthese besagt, dass Marktakteure ihren Nutzen maximieren. Theoretisch steht fest, dass Monopole irgendwann ausgenutzt werden.
Sawada: Deshalb brauchen wir eine neue Art von grenzüberschreitender Wettbewerbspolitik. Es ist vielfach empirisch belegt, dass Wettbewerb infolge niedriger Eintrittsschwellen die Produktivität in Branchen antreibt, was wiederum das Wachstum beschleunigt. Die internationale Gemeinschaft braucht einen Rechtsrahmen, um private Daten und intellektuelles Eigentum zu schützen. Das ist für fairen Wettbewerb nötig. Bislang haben wir das nicht – weder in Asien noch weltweit.

Park: Wichtig ist auch, ob asiatische Volkswirtschaften ihre eigenen Plattformfirmen hervorbringen können. Die SMEs profitieren von den bestehenden Möglichkeiten, aber ihre Vorteile wären vielleicht noch größer, wenn zwischen Plattformen mehr Wettbewerb herrschen würde. China und Indien haben jeweils mehr als eine Milliarde Menschen, und dort entstehen heimische Plattformen. Diese Länder können vielleicht auch den nötigen Rechtsrahmen definieren, was für kleinere Volkswirtschaften in Asien vermutlich nicht gilt. In China und Indien wachsen Internetplattformen sogar recht schnell, was unter anderem an Sprachvorteilen liegen dürfte. Aber schützen sie auch die Privatsphäre und das intellektuelle Eigentum ihrer Nutzer? Internationale Standards wären nützlich, um wirkungsvollen Wettbewerb zu schaffen, und zwar sowohl auf den Plattformen als auch zwischen ihnen. Die Regeln sollten obendrein zu Innovation ermuntern.

Was ist mit Steuern? Die Internetriesen zahlen bislang kaum Steuern.
Park: Ja, die Weltgemeinschaft braucht auch Steuerregeln. Interessanterweise hat Indien nun erklärt, Internettransaktionen, an denen Nutzer in Indien beteiligt sind, fänden in Indien statt. Implizit heißt das, sie können in Indien besteuert werden. Auch hat die indische Wettbewerbsbehörde Google eine Strafe in Höhe von 21 Millionen Dollar auferlegt. Zu bedenken ist auch, dass Plattformen wie Uber oder AirBnB, die günstige Fahrten und Übernachtungen vermitteln, in gewisser Weise die Schattenwirtschaft sichtbar machen. Das erweitert die Steuerbasis, denn auf formalisierte Zahlungen lassen sich Steuern erheben. Es geht aber nicht nur um Staatseinnahmen, sondern auch darum, die richtigen Anreize zu schaffen. Internetplattformen werden bislang nicht einheitlich besteuert, also wählen sie Standorte nach Steuerkriterien. Um Schlupflöcher zu schließen, brauchen wir internationale Regeln für multinationale Plattformen.

Wer ist für internationale Regeln zuständig?
Sawada: Die OECD – die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kümmert sich um Steuerfragen. Die Welthandelsorganisation (WTO) arbeitet an Regeln für den Online-Handel. Die UN können auch eine Rolle spielen. Die G20 sind ein offensichtliches Forum für internationale Fragen, und sie haben bereits einschlägige Fragen diskutiert. All das hat aber noch nicht zu wirksamen Regeln geführt.

In Europa setzt die EU Internetregeln durch. Wie sieht es in Asien aus?
Sawada: Die ADB befürwortet regionale Integration, bei der Nationen größere Märkte schaffen und Interessen gemeinsam verfolgen. Am weitesten vorangekommen ist bislang vermutlich ASEAN, und bei dem „ASEAN+3“-Format sind sogar China, Südkorea und Japan noch mit dabei. ASEAN+3 hat aber bislang weder die Geschlossenheit noch die Macht der EU. Es wurde allerdings kürzlich ein asiatisches Forum der Wettbewerbsbehörden geschaffen. Das ist vielversprechend. Das Thema bekommt wachsende Aufmerksamkeit. Die junge Wettbewerbsbehörde der Philippinen wurde erst vor zwei Jahren gegründet.

Amazon und Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, sind auch führende Unternehmen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (artificial intelligence – AI). Machen Sie sich Sorgen, dass Automatisierung die jungen Industriebranchen in Asien beeinträchtigt und Arbeitskräfte massenhaft überflüssig macht?
Sawada: Nicht alles, was technisch möglich ist, rechnet sich auch betriebswirtschaftlich. Es stimmt sicherlich, dass Roboter immer besser werden, aber bislang ersetzen sie noch keine Näherinnen in Bangladesch. Niedrige Lohnkosten bleiben ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Langfristig kommt der Wandel selbstverständlich. AI-Fortschritte können nicht nur in der Industrie, sondern auch bei Unternehmensdienstleistungen wie etwa Callcentern Beschäftigung zunichtemachen. Zugleich dürften aber andere Branchen stärker werden. Wenn wegen AI die Produktivität steigt, wachsen Einkommen und Märkte expandieren. Netto ist das Ergebnis des technischen Fortschritts positiv, aber wir müssen sicherlich die Friktionen minimieren. Die große Frage ist, ob Wandel zu mehr Gleichheit oder mehr Ungleichheit führt. Letztlich wird Umverteilung nötig sein. Staaten müssen in die Qualifikation der Menschen investieren.

Park: Zweifellos ist kluge Steuer-, Sozial- und Umverteilungspolitik nötig – und zwar auf nationaler und internationaler Ebene. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es auf Fairness und Chancengleichheit ankommt – und deshalb ist es vordringlich, die Inves­titionen in die Infrastruktur deutlich zu erhöhen. Entwicklungsländer brauchen eine bessere digitale Infrastruktur, und die multinationalen Konzerne, die davon profitieren, sollten dazu einen Beitrag leisten. Es ist richtig, sich Gedanken über die Schattenseiten aktueller Trends zu machen, aber es ist wichtiger, dafür zu sorgen, dass alle an den Vorteilen teilhaben.

Facebook bietet unter dem Schlagwort „Free Basics“ an, armen Menschen in abgelegenen Regionen Zugang zu einer begrenzten Anzahl von Websites gratis zu verschaffen. Führt das in die richtige Richtung?
Park: Wie mittlerweile alle begriffen haben, gibt es im Internet nichts gratis. Was nicht mit Geld bezahlt wird, wird mit Daten bezahlt – und Daten wegzugeben bedeutet Chancen wegzugeben. Die großen Plattformanbieter sind daran interessiert, in die Infrastruktur zu investieren, weil sie dann auch mehr Nutzer mit riesigen Netzwerkeffekten erreichen können. Weil Geld- und Datenströme erfasst werden müssen, ist es aber sehr schwierig, eine faire Lastenverteilung festzulegen. Sicherlich steht Menschen im ländlichen Raum auch voller Internetzugang zu. Internetzugang kann als öffentliches Gut verstanden werden, und für die Versorgung mit öffentlichen Gütern sind kluge Politik und kompetente Regulierung nötig. Gutes Staatshandeln erfordert wiederum solides Wissen. Das Problem ist, dass der Wandel sehr schnell stattfindet.

Sawada: Heute weiß niemand, wohin die Entwicklung geht. Wir müssen unser Bestes tun, um die Trends zu verstehen und die aktuelle technologische Revolution optimal zu nutzen. Die ADB hat deshalb eine neue Abteilung für Digitalisierung eingerichtet. Derweil steht aber fest, dass Asien massive Infrastrukturinvestitionen braucht, damit das Wachstum anhält und globale Klimaziele erreicht werden. Laut ADB-Schätzungen sind jährlich 1 700 Milliarden Dollar nötig. Multilaterale Entwicklungsbanken wie die ADB können dazu nur ein paar Prozent beitragen. In dieser Lage hat die ADB mit der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) in Peking Zusammenarbeit vereinbart. Einige kofinanzierte Projekte laufen bereits. Wir müssen mit unseren begrenzten Mitteln so viel wie irgend möglich bewirken.


Yasuyuki Sawada ist der Chefvolkswirt der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank – ADB).
ysawada@adb.org

Cyn-Young Park leitet die ADB-Abteilung für regionale Kooperation und Integration.
cypark@adb.org


Link
ADB und WEF, 2017: ASEAN 4.0.
https://www.adb.org/sites/default/files/publication/379401/asean-fourth-industrial-revolution-rci.pdf
 

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