Kritiker der Entwicklungshilfe

Mit Herz und Verstand

Dambisa Moyos Buch „Dead Aid“ hat in wohlhabenden Staaten ein riesiges Medien­echo hervorgerufen. Das „Time Magazine“ erklärte sie zu „einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt“. Das Buch wurde Anfang April sogar ein „New York Times“-Bestseller. In Afrika waren die Reaktionen verhaltener. Eine vorläufige Auswertung von Rezensionen, Zeitungsartikeln und Interneteinträgen zeigt, dass viele Afrikaner die Lösung der Armutsprobleme auf ihrem Kontinent im Unternehmertum sehen. Aber man kann keine Abkürzung zu diesem Ziel nehmen, wie Moyo uns glauben machen will.


[ Von Helmut Danner ]

Im Grunde ist Dambisa Moyos Hauptaussage, dass Entwicklungshilfe zu einer Kultur von Korruption und Abhängigkeit führt und daher Armut begründet. Sie schlägt Kredite aus der Privatwirtschaft als Alternative vor und argumentiert, Regierungen könnten keine eigen­nützige Kleptokratie aufbauen, wenn sie von den Kapitalmärkten abhingen.

Ein Blick auf Moyos Website (www.dambisamoyo.com) zeigt, wer ihr Publikum ist. Ende Ok­tober gab es etwa 160 Einträge in der Rubrik „Nachrichten“, darunter acht von Moyo selbst sowie zwölf von afrikanischen Autoren, die aber nicht unbedingt in Afrika leben. Die rund 140 weiteren Reaktionen auf „Dead Aid“ kamen von der Nordhalbkugel.

Das ist natürlich eine grobe Darstellung. Aber man fragt sich, welche Wirkung Moyos Buch auf dem Kontinent hat, von dem sie spricht. Sie ist dort nicht auf viel Interesse gestoßen, jedenfalls nicht so wie in Europa und Nordamerika.

Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte, dass er von Moyo inspiriert sei. Der ruandische Präsident Paul Kagama schloss sich ihrer Meinung an: „,Dead Aid‘ gibt uns eine genaue Analyse der gegenwärtigen Fördermittelkultur.“ Jegliche Entwicklungshilfe innerhalb von fünf Jahren einzustellen sei wohl ein aggressiver Ansatz, die Debatte, „wann und wie man am besten die Entwicklungshilfe beendet“ aber wichtig.

Moyo ist nicht die einzige afrikanische Intellektuelle, die meint, dass Beihilfen die Armut nicht beenden. Viele sind das Mitleid der reichen Länder leid. Was zählt, sagen sie, sind Unternehmergeist und Jobs (siehe Interview mit Andrew Mwenda, Seite 452). Magatte Wade, eine Geschäftsfrau aus dem Senegal, findet allerdings, dass „Dead Aid“ keine echten Lösungswege aufzeigt, da darin nicht wirklich auf Afrikas Unternehmertum und dessen Zwänge eingegangen werde.

Viele Kritiker der Entwick­lungshilfe in Afrika haben differenziertere Ansichten als Moyo. Die in Toronto lebende Innocent Madawo findet, die reichen Staaten sollten nicht nur ein Herz haben, sondern auch Rationalität. Afrikas Potenzial werde ignoriert, sagt sie, und „nötiger als Geld ist Capacity Building“. Das ist jedoch ein heißes Eisen in Geberkreisen.

Einen anderen Simbabwer, Tinashe Murapata, irritiert ­Moyos „China ist unser Freund“-Credo. Der Handel mit China und die Investitionen hätten schließlich auch Vor- und Nachteile.

Viele Afrikaner sagen, ihre Wirtschaft leide unter schlechter und inadäquater Politik. Sie unterstellen großen Gebern, bei schlechter Regierungsführung wegzuschauen. So unterstellt Okello Oculi Institutionen wie der Weltbank, „für ihre eigenen Jobs zu sorgen, indem sie Afrikas Verschuldung wachsen lassen und zugleich Herrscher unterstützen, denen es egal ist, ob Hilfe bei den unterdrückten Menschen ankommt“.

Dennoch findet es Daniel Bradlow aus Südafrika gewagt, kategorisch über Entwicklungshilfe zu urteilen. Jedes Programm müsse seinen Nutzen nachweisen. Er betont, dass Länder wie Taiwan und Botswana ihre Fördermittel gut genutzt haben. Bradlow rät Afrikas Staaten, Moyos Buch zu lesen – als Ansporn, Hilfsangebote genau zu analysieren und das Beste raus­zuziehen. Damit zieht er aber ein ganz anderes Fazit als Moyo selbst.

Die Intervention eines Unternehmers

In Ostafrika haben Nairobis Schwesterzeitungen „The Nation“ und „The East African“ bisher vier Artikel über „Dead Aid“ veröffentlicht. Ihr wichtigster Zitatgeber war Mo Ibrahim, der Unternehmer und Philanthrop sudanesisch-britischer Herkunft, der ein Vermögen in Afrikas Mobilfunkgeschäft machte und dessen Stiftung nun Good Governance in Afrika fördert.

Aus persönlicher Erfahrung heraus lehnt Ibrahim Moyos Vorschlag ab, dass Afrikas Staatsmänner problemlos über Anleihen an Geld kommen sollen. Anleihenmärkte sind nicht verfügbar für Afrika, warnt er, und die Kosten von Staatsanleihen viel höher als die Kapitalbeschaffung etwa von der Weltbank. Die meis­ten Finanzinstitutionen seien nicht an Subsahara-Afrika interessiert, weil sie den Kontinent nicht verstünden. Mo Ibrahims Anmerkungen sind umso relevanter, da die Finanzkrise die Weltfinanzmärkte ausgetrocknet hat.

Ibrahims Ansicht nach ist gutes Regieren der Schlüssel zu Afrikas Erfolg. Das kann nur auf umfassende Weise befördert werden – mit Hilfe von Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Gebern. Diese Meinung vertrat Ibrahim auch im Sommer in der Londoner „Financial Times“ und stieg eher in die europäische als in die afrikanische Debatte über Entwicklungshilfe ein.

„The Nation“ und „The East African“ sind hin- und hergerissen zwischen Lob und Verdammung für Moyo. Rasna Warah betonte in „The Nation“ zuerst, dass das „Geld Afrika nicht geholfen hat, jetzt nicht hilft und niemals helfen wird“. In einem anderen Artikel dagegen schreibt sie, Moyo habe die Debatte nicht weit genug vorangetrieben – wegen ihres „unbeirrbaren Glaubens an freie Märkte als die letzte Lösung und weil sie über soziales und historisches Unrecht schweigt“.

Ich selbst habe Moyo in „The East African“ kritisiert und war überrascht, dass der Redakteur meine Skepsis, allzu viel Hoffnung auf China zu setzen, wie Moyo dies tut, herausgekürzt hat. Andererseits war ich erfreut, dass Autoren dieser Mediengruppe seither meine Argumente aufgreifen, menschliche Beziehungen nicht nur ökonomisch zu betrachten und nicht die merkwürdige Meinung zu vertreten, wenn es keine Gelder mehr gäbe, würden Regierungen nicht mehr eigennützig handeln.

Trotzdem bleibt die Debatte über Moyo relativ ruhig in Kenia. In Nairobis Buchläden liegen zahlreiche Exemplare von „Dead Aid“ aus. Anscheinend verkauft sich das Buch gut, aber die Leser äußern sich nicht. Kenia ist eigentlich für echte Regierungsprobleme und lebhafte öffentliche Debatten bekannt. Scheinbar verbinden die Kenianer schlechtes Regieren nicht mit Entwicklungshilfe.

Anders in Sambia. Im „Zambian Economist“ stand am 6. März 2009 eine hervorragende Rezension von Cho, in der sich die Freude über die internationale Anerkennung Sambias ausdrückte. Zugleich schlussfolgerte sie aber, dass „die ‚Dead Aid‘-Analyse in etlichen Punkten zu kurz greift“, und führte vier Punkte auf:
– Mangel an analytischer Genauigkeit,
– problematische Einschätzung von Entwicklungshilfe als homogene Einheit,
– etliche widersprüchliche Argumente und
– ineffektive Lösungsvorschläge.

Cho wollte anhand von Sambia, Uganda, Kenia und Tansania beweisen, dass sich wirtschaftliche Leis­tungen steigern lassen – und wenn nicht wegen der Entwicklungshilfe, so doch zumindest in deren Beisein. Die Herausforderung liege darin, die Hilfe klüger, besser und nützlicher für die Armen einzusetzen.

In Sambia gab es eine starke Reaktion. Chos Rezension wurde mindestens 56 Mal kommentiert. Dabei wurden Entwicklungsfragen ernsthaft diskutiert, Moyo meist kritisch betrachtet. Einen Bericht der „Lusaka Times“ am 14. Juni 2009 über eine Debatte mit Moyo in Kanada kommentierten 50 Leser.

Für das, was sie zur Bedeutung des privatwirtschaftlichen Wachstums sowie über das schlechte Geschäftsumfeld in den meisten Ländern sagt, findet Moyo in Afrika durchaus Zustimmung. Es ist offensichtlich, dass Entwicklungshilfe dieses Problem nicht gelöst hat und es zuweilen sogar Teil dessen ist. ­Moyos Ansicht, Hilfe sei das Problem schlechthin, teilt man aber nicht überall.

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