Literaturrezension

Aufarbeitung eines Traumas

Indonesische Literatur wird zunehmend auch in Europa wahrgenommen und dieses Jahr besonders in Deutschland, weil Indonesien Gastland der bedeutenden Frankfurter Buchmesse war. In der aktuellen Belletristik bleibt die Suharto-Diktatur das große Trauma, an dem sich viele indonesische Autorinnen und Autoren abarbeiten.
Gedenken an den Sturz Suhartos 2008 in Yogyakarta. Primanto/Majority World/Lineair Gedenken an den Sturz Suhartos 2008 in Yogyakarta.

Es war eine Umbruchzeit: 1998, als General Suharto stürzte und mit ihm die Diktatur der „Neuen Ordnung“ in Indonesien zu Ende ging. Anschließend brach sich vieles Bahn, was vorher unterdrückt worden war. Dies lässt sich sehr gut an Ayu Utamis Romanen „Saman“ und „Larung“ ablesen, die in dieser politischen Übergangszeit erschienen. Utami fasst darin etliche heiße Eisen an: Wie internationale Konzerne indonesische Kleinbauern terrorisieren und wie katholische Geistliche im Untergrund dagegen agitieren, wie junge Frauen ein freies Sexualleben erproben und wie Aktivisten unter Suharto verfolgt und liquidiert werden. Ein kritisches und dabei unbändiges, reichhaltiges Porträt der späten 90er Jahre.

Außerdem spart Utami das Thema „1965“ nicht aus, das bis heute viele Autoren beschäftigt. Auch der Vater ihrer Hauptfigur Larung kam bei den Massakern ums Leben, die den Anfang der Suharto-Diktatur markieren: „Sie schleppten alle, die sie für Feinde hielten, heran, lebendig oder tot, Frauen wie Männer, die einen mit Kopf, die anderen ohne, oder überhaupt bloß den Kopf, und warfen sie im Südosten in ein Erdloch.“

Der Roman „Saman“ liegt bereits seit ein paar Jahren auf Deutsch vor; die Übersetzung von „Larung“ ist frisch hinzugekommen. Die beiden Romane spielen auf verschiedenen Zeitebenen und werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Deshalb meint die Autorin Ayu Utami: „Stilistisch gesehen sind ,Saman‘ und ,Larung‘ relativ chaotisch und anarchisch geworden. Ich habe diese beiden Bücher in einer Zeit geschrieben, in der die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir gelebt haben, sehr restriktiv waren. Wir wurden damals stark gegängelt.“


Prosa als Mittel der Erinnerung

Seither sind viele Details über die Suharto-Zeit ans Licht gekommen. Davon profitieren neuere Bücher. Zum Beispiel der Roman „Alle Farben rot“ von Laksmi Pamuntjak. Darin erzählt Pamuntjak von Amba und Bhisma, die sich 1965 ineinander verlieben. Die beiden tragen Namen aus dem indischen Mahabharata-Epos, und so wiederholt sich an ihnen das Schicksal der beiden mythologischen Figuren: Sie werden für immer voneinander getrennt. Der linksgerichtete Bhisma wird verhaftet, interniert und auf die berüchtigte Gefangeneninsel Buru gebracht: „Amba, während ich hier schreibe, leuchten über mir die Sterne. Bevor ich mir es nicht klargemacht habe, hätte ich kaum gedacht, dass ich jetzt schon zwei Jahre hier lebe, in der Unit XVI Indrakarya, einem von zweiundzwanzig Lagern.“

Laksmi Pamuntjak hat eine herzzerreißende, an den Mythos rückgebundene und dadurch noch größer wirkende Liebesgeschichte geschrieben. Die historischen und politischen Umstände hat sie intensiv recherchiert. Aufklärung ist nötig, sagt Pamuntjak, und Belletristik ist dafür die geeignete Form: „Je weiter wir uns vom Jahr 1965 entfernen, desto mehr Prosa brauchen wir darüber. Warum Prosa? Einfach weil es mehr Spaß macht, Geschichten zu lesen, als dicke historische Abhandlungen. Prosa ist für viele Leute einfach zugänglicher.“


Exilanten-Perspektive

Leicht lesbar ist auch der Roman „Pulang“ von Leila Chudori, der realistisch verfasst ist und Mythologisches meidet. Er beleuchtet die Suharto-Zeit aus der Exilanten-Perspektive. Die Hauptfigur Dimas muss nach Suhartos Putsch fliehen und geht nach Paris ins Exil. Dort eröffnet er zusammen mit anderen Exilanten ein indonesisches Restaurant. Deshalb offeriert der Roman auch viele sinnliche Beschreibungen indonesischer Gerichte.

Dimas wird nie wieder nach Indonesien zurückkehren dürfen. Seine Tochter Lintang aber reist 1998 nach Jakarta, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Sie hat „ ... eine Liste mit Namen ehemaliger politischer Gefangener und ihrer Familien. Mit ihnen wollte sie die Interviews machen. Auf den ersten Blick las ich etliche Namen von Personen, die sehr bekannt waren, aber auch einige, die man kaum in den Medien fand. Das war eine ausgewogene Auswahl“, berichtet die Autorin Leila Chudori.

Sie erzählt weiter: „Am Anfang scheint es so, als stünde die Geschichte der politischen Exilanten zentral. Aber eigentlich erzählt mein Roman die Geschichte der zweiten Generation, der jungen Leute, die für ein besseres Indonesien kämpfen wollen. Sie sind 1998 aktiv, als Suharto stürzt. Diesen Bogen wollte ich von Anfang schlagen: von 1965 bis 1998.“

Die Suharto-Zeit ist und bleibt das große Trauma, an dem sich viele indonesische Autorinnen und Autoren abarbeiten. Und man merkt: Mit den Jahren fließen immer detailliertere Informationen in ihre Romane ein; die Aufarbeitung der Diktatur schreitet voran.

Andere Themen stehen literarisch ein wenig dahinter zurück, obwohl sie ebenfalls unter den Nägeln brennen: Seno Gumira Ajidarma etwa schreibt über den blutigen Konflikt in Ost-Timor und Linda Christanty über die von Tsunami und Islamismus heimgesuchte Provinz Aceh. Unter den Neuerscheinungen dominiert jedoch die Aufarbeitung der Massaker von 1965 und der sich anschließenden Suharto-Diktatur.


Katharina Borchardt ist Literaturkritikerin.
euz.editor@fs-medien.de

 

Literatur:
Utami, A., 2015: Saman. Horlemann@Unionsverlag.
Utami, A., 2015: Larung. Horlemann@Unionsverlag.
Pamuntjak, L., 2015: Alle Farben Rot. Ullstein 2015.
Chudori, L., 2015: Pulang (Heimkehr nach Jakarta). Weidle Verlag. (No english edition available yet)