Entwicklung und
Zusammenarbeit

Investigative Recherche

Das lukrative Geschäft mit Klimadesinformation

In einer Welt, in der extreme Wetterereignisse immer häufiger und heftiger auftreten, wirkt es zunehmend unglaubwürdig, die Erderwärmung geradeheraus zu leugnen. Wer Klimaschutz ausbremsen will, hat seine Strategie daher angepasst. Klimadesinformation besteht heutzutage aus einem komplexen Zusammenspiel von unter anderem Falschbehauptungen, gezielter Belästigung und KI-gestütztem Greenwashing. Diese gefährliche Mischung erschwert effektiven Klimaschutz und öffentliche Aufklärung massiv.
Verdächtige X-Konten, die im Umfeld der Weltklimakonferenz in Baku 2024 aktiv wurden. Global Witness
Verdächtige X-Konten, die im Umfeld der Weltklimakonferenz in Baku 2024 aktiv wurden.

Die meisten denken bei Klimadesinformation als Erstes an die komplette Leugnung, dass der Klimawandel existiert oder Menschen ihn verursacht haben. Das gibt es zwar so auch noch, doch ist das Phänomen mittlerweile wesentlich vielschichtiger, wie Recherchen der investigativ arbeitenden Menschenrechtsorganisation Global Witness zeigen.

Unser Team „Digital Threats to Democracy“ untersucht, wie Social-Media-Unternehmen mit Desinformation, Hassrede und anderen problematischen Entwicklungen umgehen. Global Witness setzt dabei auf unterschiedliche Methoden – von verdeckten und datenbasierten Recherchen über klassische Follow-the-Money-Ansätze bis hin zu digitalen Analysen. Im vergangenen Jahr haben wir eine eigene Abteilung eingerichtet, die sich gezielt mit Klimadesinformation auf großen Social-Media-Plattformen wie TikTok, YouTube, Facebook, Instagram und X beschäftigt. Unsere Erkenntnis: Neue Formen der Desinformation gehen weit über die klassische Leugnung hinaus und reichen von KI-gestütztem Greenwashing großer Unternehmen bis hin zu gezielter Hetze gegen Klimaschützer*innen.

Klimadesinformation hat viele Gesichter

Moderne Klimadesinformation tritt häufig in Form von Ablenkungs- und Verzögerungstaktiken auf. Sie gesteht zwar ein, dass der Klimawandel real ist, behauptet jedoch, andere Probleme seien vordringlicher. Ein gängiges Argument: Klimaneutralität sei schlicht zu teuer.

Greenwashing ist ein zentrales Element solcher Strategien. Unternehmen aus dem fossilen Sektor und andere große Umweltverschmutzer stellen gezielt kleine, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Geschäftsbereiche in den Vordergrund, verschleiern aber ökologische Schäden, die ihre Haupttätigkeit verursacht.

Besonders beunruhigend ist eine vielleicht weniger offensichtliche Form der Desinformation: Auf Social Media beobachten wir gezielte Belästigungen und Hasspostings gegen Klimawissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Umweltschützer*innen. Sie sollen mundtot gemacht werden – dabei sind es gerade ihre Stimmen, die wir dringend brauchen.

Die komplexe Rolle von KI bei Klimadesinformation

Viele Tech-Plattformen integrieren vermehrt generative künstliche Intelligenz (KI) in Suchfunktionen und Messaging-Dienste. Diese Tools breiten sich immer mehr aus und beeinflussen den Zugang zu Informationen über den Klimawandel. Unsere Recherchen zeigen: KI spielt schon heute eine Rolle bei der Verbreitung von Klimadesinformation – wenn auch anders, als zunächst angenommen.

Unsere „Climate Disinformation Unit“ hat untersucht, wie vier große Chatbots – ChatGPT von OpenAI, Grok von X, Gemini von Google und Meta AI – auf klimabezogene Fragen reagieren. Keiner der Chatbots leugnete den Klimawandel direkt. Doch manche verbreiteten Greenwashing, besonders, wenn wir sie gezielt nach spezifischen Öl- und Gasunternehmen fragten. Sie zitierten häufig direkt von den Webseiten und aus den Pressemitteilungen dieser Firmen und verliehen der Firmenkommunikation so einen scheinbar neutralen und vertrauenswürdigen Anstrich.

So bezeichnete Meta AI die „Verpflichtung gegenüber Nachhaltigkeit“ des französischen Konzerns TotalEnergies als „evident“. In einem anderen Fall erklärte die KI, BP sei „auf dem Weg, der Welt zu helfen, Netto-Null zu erreichen“. Dagegen zeigte sich Grok von X im „Fun“-Modus kritisch: Die Rolle von Shell auf Klimakonferenzen sei „ein bisschen so, als würde man Dracula zu einer Blutspende einladen“.

Da diese Systeme immer größere Teile der Online-Welt filtern, ist es entscheidend, sicherzustellen, dass generative KI-Tools Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen bieten. Investigative Recherchen sind ein wichtiges Mittel, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.

Klimaleugnung als profitables Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell großer Tech-Plattformen führt dazu, dass man mit Klimadesinformation gutes Geld verdienen kann. Es basiert auf Engagement: Klicks, Likes, Kommentare und Views sind die harte Währung des Internets. Je länger Menschen online bleiben, desto mehr Werbung kann ihnen angezeigt werden – davon profitieren Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram und TikTok. Gleichzeitig beteiligen sie Influencer*innen an den Werbeeinnahmen, um noch mehr Inhalte und Engagement zu erzielen. Untersuchungen zeigen: Inhalte, die Wut oder Empörung hervorrufen, erzielen das meiste Engagement. Und Desinformation sowie Verschwörungserzählungen triggern solche emotionalen Reaktionen sehr effektiv.

Unsere Recherchen zeigen, dass eine bekannte Quelle von Desinformation dieses System ausnutzte und damit sich selbst und den Plattformen enorme Gewinne bescherte: Die Epoch Times, gegründet als alternatives Medium von Anhänger*innen der religiösen Bewegung Falun Gong, bietet seit der Jahrtausendwende Klimawandelleugner*innen und rechtsextremen Ansichten eine Plattform. Die New York Times bezeichnete die Plattform einmal als „globale Falschinformationsmaschine“. Trotzdem profitiert die Organisation weiterhin vom digitalen Werbemarkt.

Laut unseren Schätzungen erzielten allein Google-Anzeigen auf den Webseiten der Epoch Times innerhalb nur eines Jahres etwa 960.000 Dollar für die Epoch Times und 450.000 Dollar für Google selbst. Tech-Plattformen schaffen also finanzielle Anreize, um emotionale Inhalte zu verbreiten – und nicht informative. Klimavorschriften stoßen zunehmend auf Widerstand, während Faktencheck-Programme zurückgefahren werden. In dieser Gemengelage ist damit zu rechnen, dass Desinformation künftig weiter zunehmen wird.

Klimaschützer*innen werden zur Zielscheibe

Zunehmend richtet sich Klimadesinformation direkt gegen jene, die sich für Umwelt- und Klimaschutz engagieren. Eine unserer Umfragen in Zusammenarbeit mit YouGov ergab: Rund die Hälfte der Wissenschaftler*innen, die mehr als zehn Veröffentlichungen zu Klimathemen publiziert hatten, wurde online angefeindet. Die Angriffe enthalten teils Gewaltdrohungen, sind oft genderbezogen und haben gravierende Folgen für die psychische Gesundheit. Letztendlich entmutigen sie die Forschenden, sich zu ihrer Arbeit und zum Klimaschutz zu äußern. Das erleichtert es Interessengruppen, dringend nötige Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern.

Vor der Weltklimakonferenz COP29 im vergangenen November deckte unsere „Climate Disinformation Unit“ einen weiteren Ansatz auf, um Kritik zu übertönen. Im Vorfeld der jährlichen Klimakonferenz beobachtete unser Team die offiziellen COP29-Hashtags auf X. Die Konferenz fand in Baku in Aserbaidschan statt, einem Ölstaat mit schrecklicher Menschenrechtslage. Anfangs gab es viel Skepsis und Kritik – zu Recht: Nur wenige Tage vor Beginn der Konferenz wurde der COP29-Präsident im Rahmen einer weiteren investigativen Recherche unserer Kampagne gegen fossile Brennstoffe dabei gefilmt, wie er Unterstützung beim Aushandeln von Geschäften mit fossilen Brennstoffen anbot.

Als die Konferenz näher rückte, bemerkte unser Team eine Veränderung im Diskurs – das Gastgeberland, der Ölstaat, gewann plötzlich Sympathien. Die offiziellen Botschaften Aserbaidschans wurden umfassend verbreitet. Letztlich deckten wir ein Netzwerk von 71 verdächtigen Konten auf, die fast ausschließlich offizielle COP29-Beiträge reposteten. So entstand der künstliche Eindruck, dass der umstrittene Gastgeber breite Unterstützung erhalte. Obwohl dieser Fall leicht zu durchschauen war – alle Konten hatten ähnliche Bilder von Natur und Blumen in ihren Profilen –, sind die Methoden solcher Netzwerke häufig viel ausgefeilter und für unabhängige Forschende nur schwer zu entlarven.

Die nächste Weltklimakonferenz (COP30) ist in Brasilien geplant – ein Land, das regelmäßig zu den gefährlichsten für Umweltschützer*innen zählt. Das gibt Anlass zu ernster Sorge, dass die Einschüchterungskampagnen und Angriffe auf unsere Informationsökosysteme eskalieren könnten.

Was jetzt nötig ist

Klimadesinformation untergräbt gezielt das Vertrauen der Öffentlichkeit und ist deshalb eine grundlegende Herausforderung für den Klimaschutz. Dieser oft künstlich gezogene Graben erschwert die Arbeit derjenigen, die sich an vorderster Front für den Klimaschutz einsetzen, und lähmt kollektives Handeln.

Reaktivierung von Klimamaßnahmen

Die eine Sache, die uns alle betrifft

Die Entwicklung von der offenen Leugnung hin zu Irreführungs-, Belästigungs- und Verwirrungskampagnen zeigt, was bei der Klimadebatte auf dem Spiel steht. Während sich die Klimakrise weiter verschärft, müssen auch die Bemühungen verstärkt werden, jene Akteure zu identifizieren, zu verstehen und zu bekämpfen, die gezielt falsche Informationen verbreiten und so versuchen, den Klimaschutz zu untergraben.

Links

Global Witness, 2024: Greenwashing and bothsidesism in AI chatbot answers about fossil fuels’ role in climate change.

Global Witness, 2024: Scores of suspicious accounts on X promote the Azerbaijan government’s messages on COP.

Global Witness, 2024: Disinformation dollars: How Google earns money from and funds articles that promote climate denial.

Global Witness, 2023: Global Hating: How online abuse of climate scientists harms climate action.

Ava Lee leitet bei Global Witness ein Team für investigative Recherche, Kampagnenarbeit und Kommunikation, das sich schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen von Technologie auf den Klimawandel und die Menschenrechte beschäftigt.
digitalthreats@globalwitness.org 

Dieser Beitrag ist Teil des „89 Percent Project“, einer Initiative der globalen Journalismus-Kooperation „Covering Climate Now“.

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