Apotheker ohne Grenzen

Unerlässliche Experten

Die Ärzte ohne Grenzen sind weltweit bekannt. Es gibt aber auch das Äquivalent dazu bei den Apothekern. Die Apotheker ohne Grenzen (AoG) arbeiten in der Katas­trophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit Seite an Seite mit Ärzten, Krankenpflegern und Technikern.
Apothekerin Elke Althöfer-Blautzik bei einem Nothilfeeinsatz in Mosambik 2019. AoG Apothekerin Elke Althöfer-Blautzik bei einem Nothilfeeinsatz in Mosambik 2019.

Die Bedeutung von Apothekern wird zuweilen unterschätzt. Mit ihrer Pharmazie-Ausbildung können sie zwar keine Krankheitsdiagnosen stellen und Knochenbrüche operieren, aber die Arzneimitteltherapie gehört zu den wichtigsten Behandlungsmethoden für Patienten. Sie stellen Medikamente wie Antibiotika, Schmerzmittel oder Malariatabletten in Krisen- und Notsituationen nicht nur zuverlässig bereit, sondern geben auch die richtigen Einnahmehinweise an die Patienten. Der Kampf gegen Arzneimittelfälschungen, die Fortbildung von Gesundheitsfachkräften, die Therapieberatung von Ärzten und Kliniken sowie die Optimierung von Beschaffungslogistik und Lagerhaltung gehören zu den weiteren Aufgaben von Apothekern in solchen Einsätzen.

Die Apotheker arbeiten in ihren Einsätzen und Projekten eng mit Ärzten zusammen. Weltweit gibt es aber weniger Apotheker als Ärzte – und sie sind sehr ungleich verteilt: in Deutschland sind es 6,5 Apotheker pro 10 000 Einwohner, in Südafrika 2,7 und in der Demokratischen Republik Kongo 0,1. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO haben zwei Drittel aller Länder weniger als fünf Apotheker pro 10 000 Einwohner. Das führt dazu, dass ein wesentlicher Teil der Gesundheitsversorgung fehlt.


Hochspezialisiertes Wissen

Hilfsorganisationen wie Apotheker helfen (AH) und Apotheker ohne Grenzen (AoG) sind hochspezialisiert, so dass sie ihr pharmazeutisches Wissen umfassend anwenden können und dabei gezielt ärztliche Projekte und Einsätze unterstützen. Apotheker ohne Grenzen bieten dazu mehrtägige Einsatzschulungen für ehrenamtliche Mitglieder an, um sie später je nach Fachgebiet, Auslandserfahrung und Fremdsprachen in mehrwöchige Nothilfeeinsätze oder Entwicklungsprojekte zu schicken. Unterrichtet werden die Prinzipien der humanitären Hilfe ebenso wie Sicherheitsmaßnahmen und der Umgang mit dem Interagency Emergency Health Kit (IEHK). Das IEHK ist eine von Hilfsorganisationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte, standardisierte Zusammenstellung von Medikamenten und zugehöriger Ausrüstung, die bei Katastrophen jeweils 10 000 Menschen für drei Monate versorgen soll.

Auch Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt oder das Deutsche Institut für Ärztliche Mission schicken gezielt Apotheker in Einsatzgebiete, um dort bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Beispiele gibt es im Krankenhaus von Koyom im Tschad, in einer Zentralapotheke in Monrovia in Liberia oder in einer Krebsklinik im tansanischen Moshi.


Traumjob

„Ich habe die Stellenausschreibung gelesen, die sich wie die Synthese meines Lebens liest: Afrika, Französisch und Lehrtätigkeit“, sagt Monika Zimmer, die seit 2018 im Auftrag von Apotheker ohne Grenzen als ehrenamtliche Projektkoordinatorin für die Ecole Polyvalente Carolus Magnus (EPCM) in Bujumbura in Burundi tätig ist. Sie war früher schon nach Westafrika gereist, hatte Französisch in der Schule gelernt und ist jetzt Lehrerin an einer Fachschule. Zwei Mal war Zimmer schon an der einzigen Schule für Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) in Burundi. „Das Hauptproblem war, dass es in dem Labor keine Versorgung mit Chemikalien gab“, sagt Zimmer.

Ob Jodpulver, Kapselhüllen oder Einmalhandschuhe – neue, zuverlässige Beschaffungswege mussten gefunden werden. Weil sich Importe aus der DR Kongo als Fälschungen herausstellten, konnte Zimmer daraus gleich einen Workshop für den Abschlussjahrgang der burundischen Schule machen. „Alle PTAs wurden dort super ausgebildet und haben einen Job bekommen“, resümiert sie.

Bei Interviews mit Absolventen im Februar 2020 ergab sich für Zimmer ein positives Bild: Ange-Dorine gefällt die Arbeit im Großhandel gut, Gloria möchte später eine eigene Apotheke eröffnen, und Syntyche klärt gerne die Patienten über die richtige Anwendung der Arzneimittel auf. Die Ausbildung von PTAs in Burundi ist auch deshalb so wichtig, weil es dort nur sehr wenige Apotheker gibt.


Auf Begebenheiten vor Ort eingehen

Im Nachbarland Tansania unterstützt AoG die Apotheke in der Benediktinerabtei St. Bernard in Hanga. Koordinatorin Martina Gerhardt kam 2008 erstmals dorthin, weil sie für ein Tropeninstitut in Tansania forschte: „Damals war es eine kleine Gesundheitsstation, heute ist es ein Referral Health Center mit einem Operationssaal.“ Neben der finanziellen Unterstützung beim Arzneimitteleinkauf schult Gerhardt das fünfköpfige Apothekenpersonal bei der Lagerhaltung. Mit sogenannten BIN-Cards werden die Arzneimittel je nach Wirkstoff, Darreichungsform und Dosis inventarisiert, um den Bedarf der nachfolgenden Monate für Mittel gegen Malaria, Durchfall oder Wurmbefall zu errechnen. „Wir wollen keine europäischen Maßstäbe einführen, denn eine volldigitale Lagerhaltung würde bei häufigem Stromausfall gar nicht funktionieren“, sagt die ehrenamtliche AoG-Mitarbeiterin.

Wenn Martina Gerhardt nicht vor Ort ist, unterstützt sie die Kollegen per E-Mail und Videokonferenzen. Die halbjährlichen Besuche der Abtei seien dennoch wichtig, betont sie: „Aus der Ferne heißt es meist, dass alles gut läuft. Aber vor Ort können wir Probleme gemeinsam diskutieren und lösen.“ Gerhardt bespricht mit den Ärzten in Hanga auch die Therapien, um gute und preiswerte Medikamente für die Patienten einzusetzen.

Neben Entwicklungshilfeprojekten gehören auch Nothilfeeinsätze für Apotheker ohne Grenzen zum selbst definierten Arbeitsauftrag – wie nach dem Zyklon Idai, der im März 2019 an der Küste Mosambiks nahe Beira riesige Überflutungen verursachte. „Wir fragen uns bei Katastrophen immer zuerst, ob unsere Hilfe gebraucht wird und ob wir sie mit unseren Kapazitäten erbringen können“, sagt Andreas Portugal, der aus Deutschland den zweimonatigen Einsatz mit vier Teams à zwei Personen koordinierte.

„Wir hatten vorher keine Kontakte in Mosambik, haben dann aber sehr schnell einen geeigneten lokalen Partner gefunden“, sagt er. Die Hilfsorganisation Esmabama hatte in Estaquinha schon eine Apotheke, womit in der Zeltstadt Ihanjoou mehr als 2000 Patienten behandelt werden konnten. „Bei solchen Nothilfeeinsätzen stellt der Arzt nur die Diagnose, alles Weitere macht der Apotheker mit seinem Wissen“, sagt Portugal – von der Auswahl und Dosierung des Wirkstoffs bis zur Therapieberatung des Patienten. Nach Ende des Einsatzes wurden die restlichen Arzneimittel an Esmabama übergeben, da lokale Strukturen bestehen geblieben waren und kein eigenes Langzeitprojekt sinnvoll erschien.

Seit Beginn der globalen Corona-Pandemie können die Projekte von Hilfsorganisationen wie Apotheker ohne Grenzen meist nur aus der Ferne begleitet werden – per E-Mail, Video- oder Telefonkonferenz. Die Koordinatoren sagen, dass langjährige Kontakte zu lokalen Partnern helfen, die Projekte sachgerecht und vertrauensvoll weiterzuführen. Dabei müssen sogar oft noch zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um die Gesundheitszentren mit Seife, Desinfektionsmitteln oder Handschuhen auszustatten, damit Covid-19-Infektionen verhindert werden. Je nach staatlicher Information ist das wahre Ausmaß der Pandemie in jedem Land von außen kaum abzuschätzen – auch mit dieser zusätzlichen Unsicherheit müssen viele Projekte von Hilfsorganisationen wie AoG derzeit leben.


Christian Splett ist stellvertretender Pressesprecher des Deutschen Apothekerverbandes und ehrenamtliches Mitglied von Apotheker ohne Grenzen. Hier äußert er seine persönliche Meinung.
c.splett@abda.de

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