Hausangestellte

Arbeiten im rechtsfreien Raum

Im Libanon arbeiten ungefähr 250 000 meist weibliche Hausangestellte. Sie kommen aus Äthiopien, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, den Philippinen oder Madagaskar. Im Libanon gibt es eine lange Tradition, Dienstmädchen in privaten Haushalten zu beschäftigen. In der Vergangenheit wurden Frauen und Mädchen aus ländlichen Gebieten oder aus sozial schwachen Schichten angeheuert. Heute kommen die Hausangestellten aus afrikanischen und asiatischen Ländern.
Äthiopische Hausangestellte in Beirut. Kassab/picture-alliance/AP Images Äthiopische Hausangestellte in Beirut.

Den höchsten Anteil bilden Frauen aus Äthiopien und Bangladesch. Elssy Karaoghlanian von der libanesischen zivilgesellschaftlichen Organisation Kafa (arabisch für: „Es reicht!“) erklärt, je ärmer das Land, desto höher sei die Nachfrage nach Hausangestellten von dort: Libanesische Arbeitgeber gingen davon aus, dass Frauen aus ärmeren Verhältnissen gehorsamer und billiger seien. Der Durchschnittsmonatslohn für Hausangestellte aus Bangladesch, Äthiopien und Nepal beträgt 120 Dollar. Dienstmädchen aus Madagaskar und den Philippinen verdienen 250 bis 300 Dollar pro Monat.

Seit 19 Jahren arbeitet Evelyne A. (Name auf Wunsch geändert) im Libanon. Sie entschloss sich, ihre Heimat Madagaskar zu verlassen, um Geld zu verdienen und ihre Familie zu unterstützen. In Madagaskar liegt das Monatsdurchschnittseinkommen bei 125 Dollar, und sie hatte keine Möglichkeit, einen Job zu finden. Evelyne A. arbeitet in der Nähe von Beirut als Haushaltshilfe. Sie putzt, wäscht, geht einkaufen und kocht. Auch wenn diese Arbeit getan ist, muss sie weiter zur Verfügung stehen: „Ich darf mich nicht einfach ausruhen; nur nachts darf ich in mein Zimmer zurück.“ Ihr Monatslohn liegt mit 400 Dollar über dem Üblichen. Evelyne A. wohnt mietfrei bei ihrem Arbeitgeber. Eine Altersversorgung hat sie nicht.

Trotz der harten Arbeitsbedingungen kann sich Evelyne A. glücklich schätzen. Sie bekommt pünktlich ihr Gehalt und wird nicht misshandelt – anders als viele andere Frauen. Nach einer Umfrage, die die NGO Kafa unter Dienstmädchen aus Bangladesch und Nepal durchgeführt hat, arbeiten 77 Prozent der Befragten mehr als 14 Stunden am Tag, oft ohne Pause. Die Mehrzahl darf die Wohnung ihrer Arbeitgeber nicht verlassen; ungefähr die Hälfte bekommt ihr Gehalt nicht regelmäßig ausgezahlt.

Immer wieder kommt es zu Todesfällen, die von libanesischen Behörden nicht weiter verfolgt werden. Genaue Angaben über die Zahl der umgekommenen Frauen gibt es nicht. Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vermutet, dass ein Teil der Frauen bei dem Versuch, vor ihren Arbeitsgebern zu fliehen, sterben: Sie klettern über Balkone und stürzen ab.


Der Hausherr hat die Macht

Die Arbeit der Hausangestellten im Libanon fällt nicht unter das Arbeitsgesetz. Das Sponsoren- oder Kafala-System, wie es auf Arabisch heißt, regelt das Leben, die Arbeitsbedingungen und den rechtlichen Status der Hausangestellten.

Der Arbeitgeber beantragt die Aufenthaltserlaubnis und ist somit der Ansprechpartner für die libanesischen Behörden. Der Arbeitgeber und die Angestellte unterzeichnen einen Standardvertrag, der vom libanesischen Arbeitsministerium vorgegeben wird. Darin heißt es zum Beispiel, dass das Hausmädchen Anrecht auf einen sauberen, sicheren und gesunden Wohnplatz hat, wo sie sich ausruhen kann und Privatsphäre hat. Auch hat sie das Recht auf einen freien Tag pro Woche. Wie dies durchgesetzt werden kann, bleibt jedoch offen. Auch ein Mindestlohn ist nicht vorgegeben. Wenn es zu Streitigkeiten kommt, wird empfohlen, sich an das Arbeitsministerium zu wenden.

Die Hausangestellte kann den Vertrag nur kündigen, wenn es zu körperlichen oder sexuellen Übergriffen kommt, die durch einen ärztlichen Bericht bestätigt werden. Die Nichtauszahlung des Lohnes drei Monate hintereinander ist ebenfalls ein Grund. Aber diese Vorkommnisse sind im Libanon für eine ausländische Hausangestellte ohne Arabischkenntnisse und oft ohne Bewegungsfreiheit nur schwer nachzuweisen.

Karaoghlanian von Kafa beschreibt die Folgen des Sponsorensystems: „Der Arbeitgeber bestimmt alles im Leben der Hausangestellten – was sie isst, wo sie schläft, einfach alles. Die Machtverhältnisse sind klar: Die Macht liegt beim Arbeitgeber. Die schwächere Seite hat keine Ahnung von den Gesetzen, die im Land herrschen. Sie weiß nicht, wohin sie sich wenden soll, wenn es Probleme gibt.“

Ende 2015 veröffentlichten Hausangestellte aus verschiedenen Ländern offene Briefe, die sie an libanesische Behörden geschrieben hatten. Sie schilderten darin ihre prekäre Situation: „Auch wenn wir ausgebeutet und misshandelt werden, können wir unsere Arbeitsstelle nicht verlassen. Die Hausangestellte hat nur wenige Handlungsmöglichkeiten: Entweder leidet sie stumm und arbeitet weiter, oder sie flieht. Die Flucht birgt die Gefahr, dass sie verhaftet und abgeschoben wird. Theoretisch hat sie noch eine dritte Möglichkeit – eine Beschwerde bei staatlichen Stellen vorzubringen. Aber diese letzte Möglichkeit wird sie nicht ergreifen, da sie von der Parteilichkeit der libanesischen Behörden gegen sie weiß und die gesellschaftlichen Vorurteile gegen sie kennt.“


Staatlich legitimierte Ausbeutung

Die Ausbeutung der Hausangestellten beginnt schon mit dem Anwerbeprozess im Heimatland. Die Frauen werden von den Arbeitsagenturen im Unklaren über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen im Libanon gelassen. Auch erfahren sie nichts über den eingeschränkten Zugang zu Rechtsschutz.

Einige Länder haben in den letzten Jahren Entsendungssperren für den Libanon erlassen, darunter Äthiopien, die Philippinen und Nepal. Der Grund ist mangelnder Schutz. Ein Vertreter der nepalesischen Community in Beirut begründete diesen Schritt mit den zahlreichen „ungeklärten Sterbefällen von Nepalesinnen, die von der libanesischen Polizei nicht verfolgt“ wurden.

Weder die Arbeitsagenturen noch offizielle Stellen im Libanon respektieren diese Sperren. Für sie sind diese Maßnahmen rechtlich nicht bindend, das heißt, es kommen weiterhin Frauen aus diesen Ländern in den Libanon, um dort als Hausangestellte zu arbeiten.


Kampf um Schutz und eigene Rechte

Einige NGOs im Libanon engagieren sich für die Rechte und für den Schutz der Hausangestellten. Die Organisation Kafa, die gegen Gewalt gegen Frauen kämpft, hat eine Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr besetzt ist. Jeder kann dort anrufen und eine Misshandlung melden, sagt Karaoghlanian: „Auch Libanesen melden sich bei uns, wenn sie beobachten, dass ihre Nachbarn oder Verwandte ihre Angestellte misshandeln. Für Frauen, die von ihren Arbeitgebern misshandelt werden, ist es sehr schwierig, zu uns zu kommen.“ Karaoghlanian weist darauf hin, dass mehr als 80 Prozent der Hausangestellten keinen Kontakt zur Außenwelt haben.

Wenn ein Anruf bei Kafa eingeht, setzt sich die NGO mit der zuständigen Polizeistation in Verbindung, die eine Streife vorbeischickt: „Hausangestellte und Arbeitgeber werden zur Polizeistation gebracht. Dann kommen wir dazu. Ich bin bei der Befragung dabei. Wenn die Befragung zu Ende ist, begleiten wir die Angestellte in unsere Unterkunft.“ Karaoghlanian berichtetet von körperlicher Gewalt, Verbrennungen und Rippenbrüchen. Bei der Befragung stellt sich oft heraus, dass die Angestellte seit Monaten kein Gehalt bekommen hat.

In den letzten Jahren hat der libanesische Staat auf den Druck zahlreicher NGOs reagiert. Das Arbeitsministerium hat für Hausangestellte eine Hotline eingerichtet, die allerdings nicht das Vertrauen der Frauen genießt und deswegen nicht genutzt wird.

2015 gingen Hausangestellte an die Öffentlichkeit und gaben die Gründung einer Gewerkschaft bekannt, die „Domestic Workers Union in Lebanon“. Diese Gewerkschaft wird von der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und von der lokalen FENASOL (Federation Nationale Des Syndicats des Ouvriers et Employes au Liban) unterstützt. Das libanesische Arbeitsministerium verweigert aber die Anerkennung der Gewerkschaft und hält sie für illegal.

Evelyne A. und ihre Kollegin Rana B. (Name auf Wunsch geändert) sind Mitglieder der Gewerkschaft. Da sie keinen offiziellen Status hat, läuft die Hilfe, die sie den Hausangestellten anbieten, über FENASOL. Die beiden Aktivistinnen fordern von den libanesischen Behörden, dass sie die Gewerkschaft anerkennen und das Kafala-System abschaffen. „Wir sind erwachsene Menschen. Wir sind hierher gekommen, um zu arbeiten, haben aber keinerlei Rechte“, sagt Rana B. Die beiden Frauen fordern außerdem die Ratifizierung der ILO-Konvention 189: Diese Konvention setzt internationale Standards für Hausangestellte weltweit; sie garantiert Arbeits- und Rechtsschutz. Rana B., die seit 20 Jahren im Libanon arbeitet, sagt, sie habe „zum ersten Mal Hoffnung, dass sich für uns etwas zum Positiven verändern“ könne.


Mona Naggar ist Journalistin und Trainerin. Sie lebt in Beirut, Libanon.
mona.naggar@googlemail.com

 

Links

International Labour Organization’s (ILO) Convention No. 189 on Decent Work for Domestic Workers:
http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/documents/genericdocument/wcms_208561.pdf

NGOs, die sich im Libanon für die Rechte der Hausangestellten einsetzen:
Kafa: http://www.kafa.org.lb/
Amel: http://amel.org/
INSAN: http://www.insanassociation.org/en/
Caritas: http://english.caritasmigrant.org.lb/

Gewerkschaft der Hausangestellten im Libanon:
https://www.facebook.com/Domestic-Workers-Union-In-Lebanon-founding-Committee-553197294739276/

 

 

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