Mikrofinanzwesen
Aufstrebender Sektor
[ Von Syed Abdul Hamid und Jinnat Ara ]
Mikroversicherungen gewinnen in Bangladesch zunehmend an Bedeutung. Die konventionellen Mikrokreditprogramme zum Schutz der Armen vor Risiken jeglicher Art haben klare Beschränkungen. Obwohl Mikrokredite sich positiv auswirken, zeigt sich immer wieder, dass sie armen Menschen nicht in allen Bereichen nutzen. Daher ist es sinnvoll, Mikrokredite durch zusätzliche Dienste zu ergänzen.
Menschen mit gravierenden Gesundheitsproblemen beispielsweise haben keinen Nutzen von Mikrokrediten. Krankheiten und Unfälle mindern ihre Arbeitsfähigkeit und kosten sie zugleich Geld. Mikrokrankenversicherungen (MHIs) können Menschen helfen, wenn alle anderen Strategien versagen. Weil Mikrokreditsysteme die Armen erreichen, sind Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) angemessene Vertriebswege. In Bangladesch gibt es bisher keine staatliche Krankenversicherung für die Armen. Die Regierung kommt der Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen – insbesondere auf dem Land – nicht nach.
Die staatlichen Gesundheitsdienste haben viele Mängel, auch aufgrund von Versorgungsengpässen. Die Arbeitsbedingungen in Upazilla-Gesundheitszentren (UHC – Upazilla ist eine niedrige Verwaltungsebene) sind schlecht und es gibt nicht genügend Anreize, für Ärzte, dort zu bleiben. Durch die allgemeine Unterversorgung an Ressourcen gibt es auch zu wenige Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen. Das UHC-Personal ist meist unfreundlich und unzugänglich, weshalb sich viele Menschen nicht trauen, sich an sie zu wenden. Außerdem fordern sie oft inoffizielle Gebühren (Bestechungsgelder).
Folglich werden die UHCs zu wenig genutzt. Die meisten Patienten wenden sich an private – meist informelle – Anbieter von Gesundheitsdiensten, die oft nicht wissenschaftlich medizinisch qualifiziert sind (BBS, 2006). Es gibt in Bangladesch, selbst im formalen Sektor, keine staatliche Krankenversicherung.
Schwere Krankheiten
Eine Krankenversicherung ist der beste Weg, große Gesundheitsrisiken abzusichern. Arme Menschen können die unvorhersehbaren Kosten, die Krankheit mit sich bringt, oft schlicht nicht bezahlen. Je ärmer die Menschen sind, desto unerschwinglicher sind für sie Behandlungskosten – und umso wichtiger sind Versicherungen.
Weil es keine Krankenversicherungen gibt, entwickeln Betroffene diverse Coping-Strategien. Sie verbrauchen ihr Erspartes, leihen sich Geld und verkaufen Besitz und Vieh. All das ist am Ende teurer, als es eine Krankenversicherung wäre. Studien zufolge (Hamid et al., 2009) erkranken Menschen in den ländlichen Gebieten Banglasdeschs häufiger schwer, was die Betroffenen vor enorme ökonomische Bürden stellt. Die Studie besagt auch, dass vor allem arme Haushalte betroffen waren. Oft reichen reguläres Einkommen und Erspartes nicht aus, um die Kosten zu decken.
Wer Zugang zu Krankenversicherungen hat, bedarf solcher Strategien nicht. Gesundheitsrisiken lassen sich diesen Fällen durch regelmäßige kleine Prämienzahlungen managen. Die Versicherung kommt dann für krankheitsverursachte Kosten auf.
Im ländlichen Bangladesch arbeiten aber praktisch keine konventionellen Verischerungsunternehmen. Tatsächlich bringt es für sie Nachteile, in vernachlässigten Gebieten aktiv zu werden. Dazu gehören
– hohe Verwaltungskosten,
– Probleme mit der Vertragsdurchsetzung,
– unvorteilhafte Selbst-Selektion (Menschen mit hohem Risiko wollen beitreten, Besserverdienende und solche mit geringerem Risiko hingegen nicht, sodass die Versicherung nicht Risiken vieler Menschen poolen kann), und
– moralische Risiken: Im Voraus wollen die Menschen kein Geld für Präventionsmaßnahmen ausgeben, aber wenn sie einmal eine Versicherung haben, nutzen sie die Gesundheitsdienstleistungen ausgiebig.
Die Landbevölkerung weiß oft gar nicht, wie Versicherungen funktionieren und Risiken auf viele Menschen verteilen. Aus diversen Gründen ist ihr Bedarf an formaler Gesundheitsversorgung eher gering. Das heißt aber auch, dass sie für konventionelle Versicherungsgesellschaften schwierige Kunden sind (Desmet et al., 1999).
Verschiedene Modelle
Es gibt mehrere Möglichkeiten, MHI für arme Menschen verfügbar zu machen:
– Das Partner-Agent-Modell: Der Partner (die Versicherungsgesellschaft) ist verantwortlich für versicherungstechnische, finanzielle und Anspruchsbewertungsdienste. Der Agent (die MFI) hat die Aufgabe, das Versicherungsprodukt zu verkaufen.
– Das Komplett-Modell: Darin trägt die MFI alle Verantwortung, von der Produktentwicklung, über Marketing und Kundendienst zur Anspruchsbewertung. MFIs in Bangladesch neigen dazu, Gesundheitsdienste über ihre eigenen Einrichtungen anzubieten.
– Das Basis-Gemeinschafts-Modell: Darin sind freiwillige, von den Versicherten gewählte Verwalter verantwortlich für Design, Entwicklung, Kundendienst und Verkauf des Produktes. Der Verwalter muss sich auch um externe Anbieter von Gesundheitsdiensten kümmern.
– Das Anbieter-Modell: Hier bieten die Versicherer Gesundheitsdienste an (Krankenhäuser, Kliniken,
Ärztegemeinschaften).
Allgemein sagt man, das Partner-Agent-Modell sei für alle am besten. Der Partner (die Versicherungsgesellschaft) kann sein Geschäft dank des Netzwerks des Agenten (der MFIs) ausbauen. Die MFIs ihrerseits erhalten Kommissionen. Die Lebensqualität der Klienten steigt. Am wichtigsten aber ist: Das Partner-Agent-Modell kostet die Klienten weniger, hat aber zugleich mehr Vorteile als das Komplett-Modell (Brown, 2001).
Allerdings kann es für MFIs schwierig sein, einen passenden Partner zu finden. „Augenscheinlich neigen die meisten bestehenden Partner-Agent-Konstellationen dazu, die einfachsten Versicherungsformen anzubieten: schlichte Lebensversicherungen“ (Brown, 2001:17). Krankenversicherungen sind aber ihrer Natur nach komplexer. Auch ist das Partner-Agent-Modell nur effektiv, wenn der Agent Verhandlungsmacht über den Partner hat.
Auch das Komplett-Modell hat Vorteile. Marketing- und Verwaltungskosten bleiben dank einer bereits bestehenden Marketing-Infrastruktur niedrig. Daher ist es einfach, Versicherungen an Kreditgruppen zu verkaufen. Auch können MFIs besonders armen Zielgruppen Konzessionen machen. Nicht zuletzt lässt sich das Komplett-Modell flexibel an die Gegebenheiten anpassen.
Im Wesentlichen sind alle MHI-Systeme in Bangladesch – mit Ausnahme des gemeinschaftsbasierten Dhaka Community Hospital (DCH) – Komplett-Modelle (siehe Kasten). Sie bieten Gesundheitsversorgung über eigene Gesundheitszentren, Hospitale oder Miniklinken an. Die Vorteile sind:
– Der Versicherte hat sofortigen Versicherungsschutz. Er muss diesen nicht erst beantragen.
– Auch Nichtversicherte können sich in diesen Einrichtungen behandeln lassen, was hilft, dieses System zu finanzieren.
Zusatzzahlungen nötig
Finanzielle Nachhaltigkeit ist die größte Herausforderung für die derzeit bestehenden Systeme in Bangladesch. Diese Systeme passen nicht in das dreigliedrige Standard-Modell der Gesundheitsversorgung mit Versicherungen, Versicherten und Gesundheitsdienstleistern. Folglich decken sie nur eine begrenzte Bandbreite an Leistungen – typischerweise die Grundversorgung – ab. Kosten, die durch schwerere Krankheiten verursacht werden, übernehmen sie jedoch nicht. Dass Versicherte Zusatzzahlungen leisten müssen, ist ein Nachteil dieses Systems.
Eine weitere große Herausforderung ist institutionelle Nachhaltigkeit. MHI-Systeme in Bangladesch werden weitgehend von MFIs geführt. Das bringt hohe Investitionskosten mit sich: für den Aufbau von Kapazitäten, Arbeitskräfte, Abläufe und Praktiken und die Gesundheitsversorgung selbst. Die Probleme werden dadurch vertieft, dass es bisher keine formale regulierende Einrichtung gibt.
Die MFIs in Bangladesch haben in den vergangenen zehn Jahren Fortschritte hinsichtlich der MHIs gemacht. Allerdings scheinen sie bei der Grundversorgung, die sie über eigene Dienste anbieten, stehen geblieben zu sein. In Bangladeschs aufstrebendem Mikrofinanzsektor dominiert, was Krankenversicherungen angeht, das Komplett-Modell. Es ist allerdings nicht so leistungsfähig wie das in reichen Nationen übliche Modell mit den drei Komponenten Versicherungen, Versicherten und Gesundheitsdienstleistern.