Kommentar

Besserwisser unerwünscht

Tunesien und Ägypten müssen sich für neue politische Systeme entscheiden, und der Ruf nach Demokratie ist laut. Deutschland und viele andere Länder möchten dabei helfen. Doch der Westen darf seine Überzeugungen niemandem aufzwingen, sondern kann höchstens Unterstützung anbieten.


Von Hajo Lanz

In der arabischen Welt haben sich zuletzt Veränderungen Bahn gebrochen, die kaum jemand für möglich hielt: Regimestürze in Ägypten, Tunesien und Libyen sowie Quasi-Umstürze in Syrien und im Jemen. Wie in jeder Zeit des Übergangs jedoch ist das Ergebnis dieser Veränderungen noch ungewiss. Der neue Wettstreit der Ideen kann Dinge voranbringen, aber auch Stillstand und Rückschläge verursachen. Jedes Land durchläuft in dieser Hinsicht seinen eigenen Prozess.

Gerade in Ägypten und Tunesien dürfen die Hoffnungen auf mehr Freiheiten, Partizipation und Pluralismus jetzt nicht enttäuscht werden. Für die Menschen muss sich eine Demokratiedividende abzeichnen. Dafür müs­sen die Regierungen in der Region es schaffen, nicht nur die Forderungen der Demonstranten, sondern auch die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen.

Wir Demokraten sollten sie dabei nach Kräften unterstützen. Unserer Überzeugung nach ist die beste Alternative für alle eine freie und gerechte Welt, in der sich der Staat um das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft kümmert. Unsere Ziele decken sich also weitestgehend mit den Forderungen der Demonstranten auf Nordafrikas Straßen.

In Tunesien und Ägypten, wo nun ein Modell arabischer Demokratie von morgen entstehen könnte, dürfen wir die Vorzüge unseres Demokratiesystems preisen. Wir können auf seine Erfolge verweisen und unsere Unterstützung anbieten. Aber aufzwingen können wir es niemandem. Denn mindestens ebenso wichtig wie das Ziel der Demokratie selbst ist, dass auch der Prozess dorthin bereits möglichst partizipativ gestaltet wird. Die umfassende Beteiligung der Bevölkerung muss gewährleistet sein. Hierfür sind die Medien wichtig sowie politische Parteien und Gewerkschaften. Diese Organisationen durchlaufen in Tunesien und Ägypten zurzeit jedoch selbst einen gewaltigen Transformationsprozess.

Außerdem müssen wir westlichen Nationen uns eingestehen, dass wir bei unserem Bestreben, der Region den Weg zu Wohlstand, Gerechtigkeit und Freiheit zu ebnen, bisher kaum Erfolg hatten. Das Abwägen – um nicht zu sagen: Ausspielen – von Wohlstand dort gegenüber dem Schutz unserer eigenen Märkte, von Gerechtigkeit und Freiheit gegen die Unterstützung berechenbarer Autokraten samt ihren morbiden Stabilitätsregimen, von Freizügigkeit gegen Abschottung und Illegalisierung von Migrationsbewegungen – all dies muss sich ändern.

Im Interesse unser aller Glaubwürdigkeit und in Europa für eine vertrauens­volle Nachbarschaft muss unsere Politik ehrlich sein. Erforderlich ist eine Art „Marshallplan für Demokratisierung und Modernisierung im Mittelmeerraum“. Dieser muss Investitionshilfen für ausländische Unternehmen vorsehen, massiv die betriebliche Ausbildung unterstützen und die kleinen und mittleren Unternehmen fördern. Doch solange die Handelshemmnisse nicht abgebaut werden, bleibt auch dies nur Stückwerk. Kurz: Wir brauchen eine euro-mediterrane Freihandelszone.

Dass gerade wir uns nun nicht als Besserwisser aufspielen dürfen, zeigt ein Beispiel aus Ägypten. Die großspurige Ankündigung von US-Seite, etliche Millionen US-Dollar ohne Kontrolle durch die ägyptischen Behörden an lokale NROs zu verteilen, lehnten diese vehement ab. „Der Westen, der gestern das System Mubarak am Leben erhielt, will uns heute doch nur erneut sagen, was wir zu tun haben“, argumentieren nicht nur islamistische und nationalistische (oft linke) Kräfte, sondern auch viele junge demokratische Aktivisten.

Die arabischen Gesellschaften haben sich gerade ihrer Despoten entledigt und ein neues Selbstbewusstsein erkämpft. Sie werden sich von außen weder vorschreiben noch aufzwingen lassen, welchen Weg sie einzuschlagen haben. Wir sollten in aller Bescheidenheit und Zurückhaltung all diejenigen nach Kräften unterstützen, die sich selbst auf den Weg zu einer freieren Gesellschaft gemacht haben.

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