Wahlen

Blockierte Demokratie

Etliche Wochen nach den Wahlen am 29. März 2008 herrscht in Simbabwe noch größere Unsicherheit darüber, wer künftig regieren wird. Die ohnehin schon tiefe, chronische und vielschichtige Krise, in der das Land seit dem Jahr 2000 steckt, wuurde dadurch weiter verschärft.

[ Von Eldred V. Masunungure ]

Schon bald nach den Wahlen hatten viele Simbabwer das Gefühl: „Jetzt haben wir endlich gewonnen“. Die an den rund 9.000 Wahlstationen angeschlagenen Ergebnisse konnten ja nicht täuschen. Die Simbabwer glaubten, den politischen Wandel an der Wahlurne erreicht zu haben – nicht durch Massenaufstände oder Gewalt. Aber kaum eine Woche später verschwant die Euphorie. Statt dessen machte sich Verzweiflung und Hilflosigkeit breit. Als dann 334 Tage nach der Wahl endlich die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl verkündet wurden, erkannten viele, dass die Demokratie blockiert worden war. Als dieser Artikel im Mai geschrieben wurde, hing Simbabwe politisch in der Schwebe.

Die Entwertung der Wahlen

Die Gründung der Oppositionsbewegung Movement for Democratic Change (MDC) im September 1999 erweckte bei vielen Menschen die Hoffnung, dass die damals einsetzende Wirtschaftskrise durch politischen Wandel gestoppt werden könnte. Das geschah, als die Regierung an einem neuen Verfassungsentwurf arbeitete, den sie im Jahr 2000 in einem Referendum zur Abstimmung vorlegte. 55 Prozent der Wähler lehnten den Entwurf dabei ab. Das war die erste Niederlage, die Präsident Mugabe und seine regierende Partei Zanu-PF einstecken mussten.

Dieses Referendum – und damit auch die Niederlage der Regierung – sorgte dafür, dass die Menschen wieder Vertrauen in Wahlen fassten. Sie bekamen das Gefühl, dass ihre Stimmen tatsächlich etwas zählte. Bei den Parlamentswahlen im Juni desselben Jahres gingen die Wähler deshalb mit dem Glauben an die Urne, dass sie durch ihre Wahl den politischen Wandel erwirken könnten. Sie wurden enttäuscht, weil die MDC der Zanu-PF mit 47 zu 49 % knapp unterlag. Dennoch hofften viele, dass die Präsidentschaftswahl im März 2002 Mugabe „erledigen“ würde. Diese Hoffnung trieb wohl auch 55 % der insgesamt 5,6 Millionen registrierten Wähler an die Wahlurne. Als es dann hieß, dass Robert Mugabe 56 %, Tsvangirai dagegen nur 42 % der Stimmen erhalten habe, war die Verzweiflung entsprechend groß.

Das Referendum von 2000 weckte bei den Menschen also Erwartungen an einen politischen Wandel durch Wahlen. Die Präsidentschaftswahlen von 2002 waren dann aber wieder der Wendepunkt, an dem diese Hoffnungen zu bröckeln begannen. Danach zogen sich die Leute wie eine erschreckte Schildkröte in ihren Panzer zurück. Viele wandten sich vom Staat und von der Politik ab. Wahlmüdigkeit setzte ein. Im März 2005 lag die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen deshalb bei nur 48 %. Der Stimmenanteil für die MDC ging daher deutlich auf 40 % zurück, während der von der Zanu-PF auf fast 60 % stieg.

Es gibt viele Gründe, warum die Simbabwer mit Apathie reagierten. Einer davon – und vielleicht der wichtigste – ist aber, dass die Wähler den Glauben und das Vertrauen in den Wahlprozess verloren haben. Sie waren zunehmend davon überzeugt, dass die Wahlbehörden das demokratische Urteil des Volkes zugunsten der amtierenden Regierung beeinflussten. Seither gehören Ausdrücke wie „Manipulation“, „vorbestimmtes Ergebnis“ und „festgelegte Stimmen“ in Simbabwe zum politischen Wortschatz.

Nach den Präsidentschaftswahlen von 2002 glaubten also nicht mehr viele daran, dass Wahlen politische Veränderung bringen könnten. Das zeigte auch eine Studie des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Mass Public Opinion Institute (MPOI) in Harare. Eine junge Frau aus der Hauptstadt sagte dabei: „Wahlen sind wichtig und zwischen 2002 und 2005 wurden in Simbabwe auch Wahlen abgehalten. Aber für mich haben sie keine Bedeutung, denn sie reflektieren nicht den Willen des Volkes.“ Ein junger Mann aus der Provinz Mashonaland Central sagte: „Die Wahlen werden nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, weil die Wahlen manipuliert werden. Es ist besser für uns, zuhause bei unseren Familien zu bleiben als wählen zu gehen.“ Und ein alter Mann aus Masvingo beklagte:“ Selbst wenn wir wählen gehen, das Ergebnis ist ja doch festgelegt. Es wäre reine Zeitverschwendung.“

Dennoch ist es paradox: Eine nationale Umfrage, die das MPOI im Mai 2007 durchführte, zeigte, dass 74 % der Simbabwer Wahlen für wichtig halten. Landbewohner waren mit 77 % noch stärker dieser Ansicht als Stadtbewohner (69 %). Diese Studie ließ ein immer wieder kehrendes Thema erkennen: Die nachdrückliche Forderung nach einem politischen Wandel, der andere Veränderungen nach sich ziehen würde.

Insgesamt zeigte diese MPOI-Umfrage, dass bis zu einem Drittel der Wähler zur Urne gehen, um Veränderung zu erzielen – bleibt nur ein Problem, wie ein junger Mann aus Harare im Rahmen der Studie bemerkte: „Alle brauchen Wandel. Die Frage ist nur, wie er erreicht werden soll.“

Während einige Simbabwer immer noch das Vertrauen in Wahlen behielten, fragten sich andere, ob Wahlen in ihrem Land jemals frei und fair sein und die wahre Stimme des Volkes reflektieren könnten. Die jüngeren Wähler plädierten dafür, den notwendigen Wandel mit Gewalt zu erzwingen. Die religiösen Wähler meinten, ihre einzige Hoffnung sei göttliches Eingreifen: „Veränderungen sind unvermeidlich, aber nicht durch Wahlen. Wir warten jetzt auf Gottes Urteil“, hörte man zunehmend als typische Antwort der Desillusionierten.

Viele Simbabwer sind dabei vor allem über das Wahlgeheimnis besorgt. Sie sehen die Freiheit und Fairness der Wahlen in Gefahr, befürchten Wahlmanipulationen und politisch motivierte Gewalt. Es sind nicht die Wahlen an sich, aber die Art und die Weise, wie Wahlen in ihrem Land durchgeführt werden, die die Simbabwer an diesem Prozess zweifeln lassen.

Am 29. März gingen rund 2,5 Millionen Simbabwer zur Wahl. Die Zeit davor war eine der friedlichsten seit dem Beginn der Krise im Jahr 2000. Unparteiische Simbabwer und ausländische Beobachter beurteilten die Wahlen selbst als große Verbesserung im Vergleich zu früheren und als relativ frei und fair. Das war allerdings, bevor die Wahlkommission, die Zimbabwe Electoral Commission (ZEC), Anlass zu Besorgnis gab. Durch ihr Verhalten provozierte sie Frustration und Wut und ließ Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen.

Die ZEC brauchte eine ganze Woche, um die Wahlergebnisse für den Senat und das Unterhaus zu melden. Dann ging sie für über einen Monat in eine Art Winterschlaf. Erst dann verkündete sie das Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Morgan Tsvangirai führte dabei mit 48 % vor Robert Mugabe mit 43 % der Stimmen. Der frühere Zanu-PF-Funktionär Simba Makoni wurde mit acht % Dritter. Nach dem Gesetz muss die Stichwahl zwischen den beiden Top-Kandidaten innerhalb von drei Wochen nach der „letzten Wahl“ angesetzt werden, aber zwei Wochen nach der Verkündung der Ergebnisse gab es noch keine Anzeichen dafür, wann die zweite Runde stattfinden soll.

Unterdessen ist in Simbabwe die Hölle ausgebrochen. Aus allen Landesteilen wird von politisch motivierter Gewalt berichtet, insbesondere aus den ländlichen Gebieten, die früher Zanu-PF-Hochburgen waren.

Der sozioökonomische Kontext

Als Simbabwe am 29. März zur Wahl ging, war das Land von einem nie da gewesenen ökonomischen Niedergang gebeutelt. Im Januar diesen Jahres wurde mit 100.000 Prozent die höchste Inflationsrate der Welt gemessen. m die Dimension zu erläutern: Die nächst niedrigere Inflationsrate gibt es mit 53 % im kriegsgebeutelten Irak.

Die Kaufkraft des Durchschnitts-Simbabwers ist auf ein Niveau gefallen, wie zuletzt Anfang der 1950er Jahre. Nach Ansicht von Ökonomen ist das Bruttoinlandsprodukt des Landes zwischen 2000 und 2007 um 43 % gesunken. Die Landwirtschaft ist zusammengebrochen – hauptsächlich wegen der Landreform, die im Jahr 2000 überhastet eingeführt wurde und die kommerzielle Landwirtschaft zerstört hat. Der Manufaktursektor schrumpfte von 1998 bis 2006 um mehr als 47 %. Die heutige Produktion ist so hoch wie 1972.

Im Juni 2007 verkündete die Regierung die populistische Operation „Preise Reduzieren“, die den Einzelhandel zwang, die Preise um 50 % zu senken. In den folgenden sechs Monaten fiel die Produktion um mehr als 50 % und einige Firmen mussten schließen. 2006 sank Simbabwes Kohleproduktion auf den niedrigsten Stand seit 1946. Viele ausländische Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Simbabwe eingestellt. Die Zahl der Touristen ist damit dramatisch gesunken. Die Einnahmen aus dem Tourismus lagen 2006 bei nur einem Zehntel von dem von 1996.

Die informelle Wirtschaft blühte deshalb auf, wo früher die formale Wirtschaft war. 1980 machte die informelle Wirtschaft weniger als 10 % der Arbeitsplätze aus. Der Anteil wuchs 1986 auf 20 % und auf geschätzte 40 % im Jahr 2004. Heute muss er noch höher sein. Im Juni 2005 verdienten fast drei Millionen Simbabwer ihren Lebensunterhalt im informellen Sektor, während im formellen Sektor nur 1,3 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz hatten.

Viele haben sich deshalb für die Auswanderung entschieden. Man geht von einer Diaspora von rund drei Millionen Simbabwern aus – die meisten von ihnen sind gut ausgebildete Fachkräfte. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 80 %; genau wie die Armutsquote, die sich im Vergleich zur Mitte der 90er Jahre verdoppelt hat. Die Lebenserwartung liegt bei 37 Jahren für Männer und 34 Jahren für Frauen; damit liegt die Lebenserwartungen mit am niedrigsten weltweit.

Die soziale und ökonomische Situation in der Zeit vor den Wahlen war also mehr als düster. In keinem anderen demokratischen System würde die amtierende Regierung erwarten können, die anstehenden Wahlen zu gewinnen. In Simbabwe aber ging Mugabe sogar von einem „haushohen“, einem „gewaltigen“ Wahlsieg aus. Das trat nicht ein. Anschließend weigerte sich die Regierung, das Urteil des Volkes zu akzeptieren. Satt dessen beschloss sie Zeit zu gewinnen, indem sie eine Stichwahl ankündigte.

Rolle des Militärs und der Sicherheitskräfte

Bei alldem wurde Mugabe vom militärischen Establishment unterstützt. Von vielen als „Sekurokraten“ bezeichnet, sind es höchst mächtige, wenn nicht die entscheidenden Kräfte in Simbabwe. Das ist ein Erbe des Befreiungskampfes, der von einer engen Verbindung zwischen Politik und Militär gekennzeichnet war. Kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident und Chefkommandeur der ZANU und ihrer bewaffneten Kräfte, der ZANLA, formulierte Robert Mugabe schon seine Vorstellung einer Demokratie: „Unsere Wahlstimmen müssen mit unseren Waffen einhergehen; schließlich wird jede Stimme, die wir erhalten, das Ergebnis von Waffengewalt sein. Die Stimmen des Volkes und die Waffen des Volkes sind immer untrennbare Zwillinge.“ Das ist der Schlüssel, wenn man Simbabwes Version eines gewählten autoritären Regierungssystems verstehen will.

Vor der Präsidentschaftswahl von 2002 wandten sich deshalb Führer von Militär und Sicherheitskräften – darunter die Kommandeure der Zimbabwe Defence Forces, der Polizei, des Nachrichtendienstes und der Gefängnisdienste, angeführt von General Bitalis Zvinavashe – mit einer Fernsehbotschaft an die Nation. Darin sagten sie, dass sie niemals einen Führer akzeptieren oder ihm Ehrerbietung erweisen würden, der nicht am Befreiungskrieg teilgenommen hat. Das war eine Anspielung auf MDC-Führer Tsvangirai. Die Sekurokraten kündigten an, dass sie ein Veto gegen das Urteil des Volkes einlegen würden, wenn jemand anderes als Mugabe gewählt werden würde. De facto drohten sie also mit einem Putsch.

Einige Monate vor den Wahlen im März 2008 wiederholte Brigade-General David Sigauke diese Drohungen. Er sagte, jede Regierung, die nicht von Mugabe und der Zanu-PF angeführt würde, würde gestürzt werden. Die Arme würde die Souveränität des Landes verteidigen: „Als Soldaten haben wir das Privileg, diese Aufgabe an zwei Fronten verteidigen zu können – an der Wahlurne und mit der Waffe, falls es zum Schlimmsten kommt.“ Dann riet er seinen Mitbürgern, ihr Wahlrecht weise zu nutzen, und erinnerte daran, dass „Simbabwe nie wieder eine Kolonie sein“ dürfe.

Einen Monat vor der Wahl wies der Leiter von Simbabwes Gefängniswesen, Major General Paradzai Zimondi, seine Mitarbeiter an, wen sie wählen sollten: „Stimmen Sie für Präsident Mugabe. Ich werde nur eine Führung unter Präsident Mugabe unterstützen.“ Danach warnte der Chef der simbabwischen Armee, General Constantine Chiwenga, dass er die verfassungsrechtlich Ordnung stürzen würde, sollte Mugabe verlieren: „Die Armee wird keinen Verräter und Agenten des Westen unterstützen oder vor ihm salutieren – weder vor, während, noch nach der Wahl.“ Auch der Chef der Polizei, Augustine Chihuri, hatte ähnliche antidemokratische Äußerungen von sich gegeben. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erklärte Mugabe, Oberster Befehlshaber der Zimbabwe Defence Chiefs, dass die Opposition MDC die Wahlen niemals gewinnen würde. Eine Woche vor der Wahl sagte er: „Zanu-PF wird bei dieser Wahl siegen und zwar mit großem Abstand…. Die MDC wird dieses Land niemals regieren. Es ist unmöglich.“

Ganz offensichtlich spielen Denken und Verhaltensweisen aus dem Befreiungskrieg auch im Nachkriegssimbabwe noch eine entscheidende Rolle. Zanu-PF verhält sich noch immer wie eine Befreiungskriegsbewegung und die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte agieren weiter, als seien sie Anhängsel der Zanu-PF. Das ist die Tragik der simbabwischen Wahlpolitik und in diesem Sinne sind Demokratie und Demokratisierung in Simbabwe blockiert worden.

Fazit

Soweit der sozioökonomische und politische Kontext der Wahlen vom 29. März: Es kann nicht gesagt werden, dass die Machthaber in Simbabwe bereit waren, bei dieser Wahl zu verlieren. Stattdessen sind sie überzeugt, dass ihre Macht nicht vom Volk, sondern ihrer Waffengewalt ausgeht. Nach dieser Logik bestimmen diejenigen, die die Waffen kontrollieren, den König – und nicht die Wähler. Dies zeigte der letzte Urnengang auch deutlich: Die Uniformierten sitzen in Simbabwe am längeren Hebel. Nach den unorthodoxen, düsteren und absurden Geschehnissen um die jüngste Wahl haben nicht mehr allzu viele Simbabwer Vertrauen in Wahlen als Instrument, um einen politischen Wandel zu erwirken. Nach der für Ende Juni angekündigten Stichwahl wird dieses Gefühl nur noch stärker werden.

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