Klimawandel

Vater Staat für Mutter Erde

Brasilien arbeitet an einer nationalen Gesetzgebung, um ausländischen Investoren die Teilhabe an lokalen Maßnahmen zum Regenwaldschutz zu ermöglichen. Die Forstpolitik ist in hohem Maße klimarelevant. Beim Gipfel in Cancún will Brasilien das Konzept der Weltöffentlichkeit präsentieren.


[ Von Juliana Radler de Aquino ]

„Low Carbon Brazil“ heißt eine aktuelle Studie der Weltbank. Ihr zufolge kann Brasilien den Ausstoß an Treibhausgasen zwischen 2010 und 2030 um bis zu 37 Prozent verringern – ohne dass die Regierung auf ihre Wachstumsziele verzichten müsste. Um Emissionen zu verringern, müssten vor allem Wälder geschützt werden, sagt Christophe de Gouvello, der Koordinator der Weltbankstudie. Rund 40 Prozent aller im Land entstehenden Treibhausgase gingen auf Abholzung zurück: „Die Waldvernichtung zu bremsen, ist für Brasilien mit Abstand die beste Möglichkeit, Emissionen zu reduzieren.“

Die Sache hat einen Haken: So schädlich es ökologisch ist, Bäume zu fällen – finanziell lohnt es sich. Wälder zu schützen, bringt Menschen kaum ökonomischen Gewinn. Dabei ist klar, dass Forstschutz wegen der globalen Erhitzung dringend nötig ist. Die Forschung hat gezeigt, dass Ökosysteme wie der Regenwald das Klima wesentlich beeinflussen. Deshalb ist Forstschutz eine internationale, ja globale Aufgabe. Waldreiche Länder verdienen Unterstützung bei entsprechenden Maßnahmen.

REDD ist das gängige Kürzel von Klimaunterhändlern für Ausgleichszahlungen reicher Länder zum Schutz von Wäldern in Entwicklungsländern. Die vier Buchstaben stehen für „Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation“. REDD-Verhandlungen laufen schon lange im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Noch gibt es keinen weltweit verbindlichen Rechtsrahmen, um die Naturdienstleistungen von Wäldern finanziell zu bewerten. Zu diesen Naturdienstleistungen gehört die Generierung von Regen und das Speichern von Treibhausgasen.

Die Grundidee von REDD ist, Forstschutz ökonomisch attraktiv zu machen. Natürlich tauchen dabei viele Fragen auf, einschließlich ethischer Probleme. Wie soll Forstschutz effektiv verankert werden? Die drängendsten Fragen sind praktischer Natur:
– Wer zahlt für welche Leistung wie viel Geld?
– Wem steht welcher Anteil aus den Zahlungen zu?
– Worin besteht die Aufgabe der Empfänger?
– Wie wird ihre Leistung gemessen – und wer tut das?

Die Fragen sind umso schwieriger, als Urwälder naturgemäß in abgelegenen Räumen liegen, wo die Regierungen der Entwicklungsländer nur recht wenig Autorität ausüben können.

Im Rahmen der UNFCCC steht REDD seit langem auf der Tagesordnung. Fachleute hoffen, dass der Cancún-Gipfel den Durchbruch bringt. „Brasiliens REDD-Politik wird nur Bestand haben, wenn sie mit dem künftigen Weltklimarecht übereinstimmt“, meint die Direktorin von Brasiliens staatlicher Forstverwaltung, Thais Juvenal.

Selbstverständlich müssen REDD-Maßnahmen UNFCCC-kompatibel sein, um ausländische Investoren zu überzeugen. Brasiliens Politiker müssen also diese Regeln antizipieren. Zugleich haben sie die Chance, die internationale Debatte und damit auch die Regeln zu beeinflussen, wenn sie in Cancún ein überzeugendes REDD-Konzept vorlegen. „Brasilien braucht den Rechtsrahmen für REDD rechtzeitig“, sagt Juvenal.

Brasiliens Erfolgsaussichten

Brasilien dürfte der weltweit größte Empfänger von REDD-Zahlungen werden. Fast zwei Drittel seiner Landesfläche sind bewaldet. Am beeindruckendsten ist das Amazonasgebiet. Brasiliens Umweltministerium weiß von rund 20 laufenden oder geplanten REDD-Vorhaben. Drei Viertel dieser Maßnahmen betreffen Amazonien. Insgesamt geht es um rund 46 Millionen Hektar Wald – staatliche und private Forstgebiete sowie Urwälder.

Die Vorhaben belegen die Bereitschaft weiter Teile der Gesellschaft – einschließlich indigener Völker – durch REDD-Maßnahmen den Naturschutz mit sozialem und wirtschaftlichem Wachstum zu verbinden. Trotzdem zweifeln viele Menschen, ob das Konzept trägt. Brasiliens Geschichte der Miss- und Vetternwirtschaft gibt Anlass zu Kritik und Zweifel. Entwicklung ging hier bislang immer auf Kosten der Natur. Besondere Aufmerksamkeit verdienen bei REDD-Projekten deshalb Fragen der Amts- und Regierungsführung (Governance). „Bei unseren Strategieberatungen haben wir viele Interessensgruppen einbezogen. Der nötige Rechtsrahmen soll in demokratischer Mitsprache entstehen“, sagt die Forstbeamtin Juvenal. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Regierung, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft erhielt den Auftrag, die nationale REDD-Strategie festzulegen und zu koordinieren.

Das nationale Konzept wird alle Ökosysteme erfassen: Amazonien, die Regenwälder am Atlantik, die Cerrado-Savannen und das Caatinga-Buschland. „REDD hat für uns nationale Dimension“, sagt Juvenal. Dieser Ansatz ist international umstritten. Länder wie Kolumbien pochen auf subnationale Regelungen. Da paramilitärische Kämpfer der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) abgelegene Landstriche kontrollieren, hat Kolumbiens Regierung keine Hoheit über alle Wälder des Staatsgebiets.

Brasilien setzt dennoch auf ein kohärentes, nationales REDD-Konzept um das Vertrauen in den Staat zu fördern und die Umsetzung vor Ort zu erleichtern. Ohne kohärenten Rechtsrahmen würde jede Initiative die Klimafolgen ihrer Arbeit auf ihre Weise abschätzen. Nötig ist aber ein für alle Initiativen verbindlicher Maßstab.

Kritiker und Zweifler

Umweltschützer und zivilgesellschaftliche Organisationen verfolgen die REDD-Debatte mit großer Skepsis. REDD könne zur Privatisierung oder gar illegalen Besitznahme von Waldgebieten missbraucht werden, warnen manche Kritiker. Andere befürchten, REDD werde sich als Instrument gegen die Interessen der Indios entpuppen, die im Urwald leben, von ihm abhängen und seit Jahrhunderten zu seinem Erhalt beitragen.

Auf einer internationalen Konferenz im bolivianischen Cochabamba im April sprachen sich die meisten Teilnehmer gegen REDD aus. „Das läuft auf Geschäfte mit dem Tod unseres Planeten hinaus“, warnte beispielsweise der Schriftsteller Hernando Rojas aus Ecuador. Und der französische Philosoph und Umweltschützer Jean Pierre Leroy, der sich seit den 70er Jahren mit Amazonien beschäftigt, sagt: „REDD sollte eine ehrliche Politik mit Betroffenen vor Ort sein, aber kein Projekt, das ausländische Firmen einem Land aufpfropfen.“ Alles andere wäre eine Fassade, die nur dazu diene, „eine ausbeuterische und zerstörerische Finanz-, Handels- und Wirtschaftsordnung zu bemänteln“.

Brasiliens Regierung hat diese Art von Kritik zur Kenntnis genommen. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagt Juvenal. „REDD könnte in der Tat riskant werden, wenn es uns nicht gelingt, einen soliden Rechtsrahmen mit strenger öffentlicher Kontrolle aufzubauen."

Carlos Rittl hält das für machbar. Der WWF-Koordinator für Klimawandel und Energie in Brasilien sieht REDD in positivem Licht: „REDD könnte der Menschheit helfen, zentrale Probleme wie den Verlust der Artenvielfalt zu lösen.“ Ohne demokratische Teilhabe und Mitsprache der Menschen, die in Wäldern leben, auf nationalstaatlicher Ebene kann er sich wirtschaftlich wirkungsvollen Forstschutz allerdings auch nicht vorstellen.

Rittl sieht REDD als „langfristigen Prozess, der ein stabiles und nachvollziehbares System von Strategien, Maßnahmen und Aktionen erzeugt“. Eines der in seinen Augen spannendsten REDD-Projekte läuft derzeit im brasilianischen Bundesland Acre. Aus dieser Amazonasregion stammt die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Marina Silva. Auch Chico Mends, der berühmte Kautschukgewerkschafter, den Viehzüchter wegen seines Widerstands gegen Urwaldrodungen ermordeten, stammte aus Acre.

REDD in Acre

Die Landesregierung von Acre erprobt ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell. Seit Jahren wird hier versucht, dem Ökosystem Wald wirtschaftlichen Mehrwert zu übertragen. Ziel der Politik ist es, vor Ort binnen 15 Jahren rund 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid zu sparen, und dafür bis zu 250 Millionen Dollar an REDD-Einnahmen im internationalen Emissionshandel und aus freiwilligen Spenden zu generieren.

„Für uns besteht REDD nicht bloß darin, einen Ausgleich für den Verzicht auf Rodungen zu zahlen“, betont Monica de Los Rios. Die Leiterin des CO2-Programms der Landesregierung versteht REDD „vor allem als Fortsetzung und Ergänzung unserer Umweltpolitik“. Dabei stünden soziale und ökologische Aspekte im Vordergrund. Am wichtigsten sei es, der gesamten Bevölkerung Anreize für den Naturschutz zu geben. „Derzeit sind bereits 7500 Familien registriert, um vom Verkauf von Emissionsrechten zu profitieren, sobald der Staat sein Ziel erreicht, den Schwund des Regenwalds zu bremsen“, ergänzt de Los Rios. Betroffene Familien wurden für Leistungen qualifiziert, weil ihre traditionelle Lebensweise um Naturschutz beiträgt. Die indigene Bevölkerung aber auch andere Kleinbauern oponieren gegen destruktive Agrarpraktiken wie Monokulturen oder großflächiger Rinderzucht.

Für Brasilien ist es eine gewaltige Aufgabe, den landesweiten Forstschutz mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Entwicklung zu vereinbaren. REDD könnte dabei in Zukunft entscheidend helfen. Makhtar Diop, der Weltbank-Direktor für Braslien urteilt: „Natürlich ist es sowohl finanziell wie organisatorisch eine enorme Herausforderung, das System für Emissionseinsparungen zu schaffen.“ Der Volkswirtschaft werde es aber nutzen: „Im Ergebnis werden das BIP und die Beschäftigung steigen.“

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