Soziale Inklusion

Fähigkeiten voll entfalten

Behinderungen sind oft Folge von Armut – und sie verschlimmern Armut. Wenn nächstes Jahr die Sustainable Development Goals multilateral vereinbart werden, sollten die Anliegen der betroffenen Menschen berücksichtigt werden. Diese Chance wurde verpasst, als die UN-Millenniumsziele vor 15 Jahren definiert wurden.
Menschen mit Behinderungen gehören dazu: kirchliches Versöhnungszentrum in Ruanda. Jörg Böthling/Photography Menschen mit Behinderungen gehören dazu: kirchliches Versöhnungszentrum in Ruanda.

Donatilla Kanimba Mukandera weiß, wie hart die Lage für Menschen mit Behinderungen südlich der Sahara ist. Sie ist die Geschäftsführerin der Rwanda Union of the Blind (RUB) und berichtet, in ihrem Land gebe es weder eine offizielle Zeichensprache noch ein einheitliches Blindenschriftsystem. Viele Eltern seien für ihre Kinder auf Wohnheime angewiesen. Dort bekämen die Kinder aber keine Schulbildung. Sie könnten aber auch nicht zwei oder drei Kilometer zur nächsten Schule laufen. „Wenn man von Bildung für alle spricht, dann soll sie auch für alle gewährleistet sein“, fordert Mukandera. Sie selbst verlor im Alter von fünf Jahren wegen einer Krankheit ihr Augenlicht.

Inklusion sei kein neues Thema, aber Ruandas Regierung verfolge noch keine stringente Politik, um die Lage von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, sagt Mukandera. Inklusion werde in ­vielen Regierungskonzepten erwähnt, es mangele aber an konkreten Plänen für die Umsetzung. Die finanzielle Unterstützung, die der ruandische Staat leiste, reiche nicht, um Menschen mit Behinderungen zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Behinderungen sind oft die Folge von Armut. Sie entstehen zum Beispiel, wenn die Gesundheitsversorgung zu schlecht ist, um Krankheiten oder Verletzungen kompetent zu heilen. Behinderungen verschlimmern andererseits oft Armut, weil Menschen von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen bleiben und von Angehörigen versorgt werden müssen. Diese Aufgabe übernehmen dann meist Frauen.

Mukandera will, dass sich das kollektive Bewusstsein der ruandischen Gesellschaft ändert, demzufolge Menschen mit Behinderungen eine Last sind. Damit das geschieht, müssen die betroffenen Menschen in die Lage versetzt werden, ihre individuellen Fähigkeiten optimal zu entfalten und zu nutzen. Deshalb ist Bildung ein Schlüssel zur Inklusion.


Falsche Haltung

Mentale Hürden kennt Olaf Guttzeit auch aus Deutschland. Er arbeitet für den Pharmahersteller Boehringer Ingelheim und entwickelt branchenübergreifend mit anderen Unternehmen Strategien, um Menschen mit Behinderungen in das Arbeitsleben zu integrieren. Er beklagt den „Defizitansatz“, dabei bringe es mehr, die besonderen Kapazitäten wahrzunehmen, die Menschen mit Behinderungen auch haben.

Rainer Brockhaus von der Christoffel Blindenmission (CBM) beanstandet, dass der aktuelle Entwurf für die Sustainable Development Goals (SDGs), die die UN im Anschluss an die Millenniumsziele anstreben wollen, die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht erwähnt (siehe Beitrag nächste Seite). Er fordert, Entwicklungsziele müssten die besonderen Bedürfnisse dieser Bevölkerungs­gruppe bezüglich Bildung, Gesundheit und Katastrophenvorsorge berücksichtigen, sowie „klare Indikatoren“, „um Fortschritte besser messbar zu machen“. Eine repräsentative Umfrage zeige, dass 88 Prozent der Deutschen wollten, dass die Entwicklungspolitik gezielt Menschen mit Behinderungen fördert.

Das will auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Parlamentarische Staatsekretär Hans-Joachim Fuchtel sagt, das BMZ bemühe sich „mit Kraft und Nachdruck“. Inklusion stehe momentan bei 56 BMZ-Auslandsreferenten auf der Tagesordnung. Die Zukunftscharta, an der sich das BMZ künftig orientieren will, spricht sich für die Aufnahme des Themas Behinderung in die SDGs aus. Das entspricht durchaus auch Oppositionsvorstellungen. Der Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen sagt, es sei ein „konzeptioneller Fehler“, dass bisher nicht alle Vorhaben der deutschen Entwicklungspolitik systematisch auf Inklu­sion ausgerichtet seien.

Aktives Engagement wünscht sich auch Donatilla Kanimba Mukandera von Ländern wie Deutschland. Es komme darauf an, Inklusion als Querschnittsthema der Politik der ruandischen Regierung zu festigen und gemeinsam Strategien für die Umsetzung auf lokaler Ebene auszu­arbeiten. Nötig seien Mechanismen, die Menschen mit Behinderungen befähig­ten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Weltweit sieht sie die Politik in der Pflicht:  „Zum einen muss sie die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, zum anderen auch für die Umsetzung der Gesetze sorgen.“

Theresa Krinninger

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