Bauernrechte in Indien

Wie es immer war

Indiens Gesetze erkennen Bauernrechte an. Landwirte dürfen sogar Saatgut geschützter Sorten aus ihrer Ernte verkaufen – nur nicht unter dem amtlich registrierten Markennamen.


[ Von Suman Sahai ]

Im August 2001 verabschiedete Indiens Parlament ein Gesetz über Sortenschutz und Bauernrechte. Dies ist Indiens Sui-Generis-Rechtssetzung über geistige Eigentumsrechte. Es ist im Einklang mit indischen Normen und kopiert kein Modell von anderswo.

Vor der Verabschiedung des Gesetzes gab es eine lange, hitzige Debatte. Als WTO-Mitglied musste Indien das Abkommen über Trade Related Intellectual Property Rights (TRIPS) erfüllen. Das schließt Sortenschutz mit ein. WTO-Mitglieder müssen geistiges Eigentum mit Patenten, einem eigenen Sui-Generis-System oder einer Kombination von beidem schützen.

Anfangs neigte Indiens Regierung zu Patenten. Sie startete eine große Öffentlichkeitskampagne, die Saatgutpatente als Vorboten des ländlichen Wohlstands feierte. Aber zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Gene Campaign griffen ein. Eine Bauerndemonstration machte in Delhi mit dem Motto „Keine Patente auf Saatgut“ die Stärke der Opposition deutlich. Sie wurde von Gene Campaign und drei Bauernverbänden organisiert.

Letztlich entschied die Regierung, Züchterrechte in einer Sui-Generis-Gesetzgebung zu regeln. Weil die WTO dafür kein Modell anbietet, beschließen viele Entwicklungsländer Sortenschutzgesetze nach dem UPOV-Modell (International Union for the Protection of New Varieties of Plants). Dazu tragen der Druck der Saatgutkonzerne und der Mangel an Alternativen bei.

UPOV gibt Pflanzenzüchtern Rechtsschutz, erkennt aber leider Bauernrechte nicht an. Von Beginn an war die Position der Gene Campaign klar: Wenn Indien Züchterrechte vergibt, muss es auch Bauern Freiheiten einräumen. Die Gene Campaign bestand darauf, dass die Landwirte die Kontrolle über die Produktion und den Einsatz des Saatgutes behalten.

Dafür reicht das Recht, Saatgut von der Ernte in der nächsten Saison wieder auszusäen (plant-back­right), nicht. Es wird zwar oft „Bauernprivileg“ genannt, bildet aber nur eine Ausnahme des Züchterrechts. Es ist in Abstufungen in etlichen UPOV-Mitgliedsstaaten, die vor 1991 beitraten, in Kraft. Aber seit der letzten UPOV-Novellierung von 1991 hängen diese Ausnahmen von der Zustimmung der Züchter ab. Länder, die UPOV seither beigetreten sind, müssen die Standards von 1991 einhalten, während für die, die vorher beitraten, die weniger strenge Version von 1978 gilt.

Bauern als Saatguterzeuger

Gene Campaign forderte von Anfang an,
– dass indisches Recht klare Bauernrechte definiert,
– dass die traditionellen Landsorten nicht von kommerziellen Züchtern genutzt werden dürfen, sofern die Bauern nicht zustimmen und finanziell mitprofitieren, und
– dass Bauern nach Ernteausfällen wegen mangelhaften kommerziellen Saatguts entschädigt werden.
Am wichtigsten ist aber, dass Bauern untereinan der mit Saatgut handeln dürfen, selbst wenn dieses registriertem Sortenschutz unterliegt. Sonst werden Bauern als Saatguterzeuger unwichtig. Kaum überraschend blieb das Recht auf Saatgutverkauf bis zur Gesetzesverabschiedung besonders umstritten.

Die Saatgutbranche bekämpfte diese Freiheit. UPOV-artige Züchterrechte waren der Industrie nach Patenten die liebste Lösung. Führende Manager wirkten auf Vertreter der Regierung, des Landwirtschaftsministeriums und des Indian Council of Agricultural Research ein. Sie wollten Bauern das Aufbewahren, Aussäen, Tauschen und Säen von geschütztem Saatgut gestatten, nicht aber den Verkauf.

Nach sieben Jahren zivilgesellschaftlichen Engagements und zwei Parlamentsausschüssen wurden dann umfassende Bauernrechte festgeschrieben. Indische Bauern dürfen auch geschütztes Saatgut verkaufen, dabei aber nicht den offiziellen Markennamen verwenden. Züchter behalten also die weitgehende Kontrolle über die kommerzielle Vermarktung, aber Bauern dürfen sich untereinander Saatgut verkaufen und so aushelfen, wie sie es auf lokaler Ebene schon immer getan haben.

Grundsätzlich haben Bauernrechte drei zentrale Aspekte:
– Züchterrechte dürfen nicht das traditionelle Recht der Bauern einschränken, alles Saatgut aus eigenem Anbau aufzubewahren, zu tauschen und zu verkaufen.
– Sortenschutz muss auch für die Landsorten gelten, die Bauern züchten, und nicht nur für die Produkte kommerzieller Züchter.
– Bauern müssen für ihren Beitrag zur Bewahrung und Verbesserung des pflanzlichen Erbguts, das kommerzielle Züchter zur Entwicklung neuer Kulturen brauchen, belohnt werden.

In Anerkennung des Beitrags der Bauerngemeinschaften in den Entwicklungsländern für pflanzengenetische Ressourcen floss das Konzept der Bauernrechte 1989 in das „Undertaking on Plant Genetic Ressources“ der FAO ein. Im November 2001 wurde das Internationale Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft („Plant Treaty“) angenommen. Der Plant Treaty erkennt das Recht der Bauern an, Saatgut und keimfähiges Material aufzubewahren, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen. Es gibt aber kein globales Abkommen über die Ausgestaltung und Durchsetzung der Bauernrechte. Die Verantwortung liegt bei den Nationalstaaten.

Indische Perspektive

Indien ist das Ursprungsland von Nutzpflanzen wie Reis, Hirse, Straucherbse, Mattenbohne, Jute, Pfeffer, Kardamom, vielerlei Gemüse und Obst. Über Jahrtausende haben Bauern- und Stammesgemeinschaften Wildpflanzen identifiziert und sie zu Ernährungszwecken gezüchtet. Das Ergebnis sind das Getreide, die Hülsenfrüchte, die Gewürze und Gemüsearten, die wir heute kennen. Die Bauern haben diese Sorten im Lauf der Zeit immer weiter verbessert.

Indiens Sui-generis-Recht versteht Bauern nicht nur als Produzenten, sondern sieht sie auch als Schützer des agrarischen Erbguts und als Züchter verschiedener erfolgreicher Sorten (siehe Kasten). Die Rechte ländlicher Gemeinschaften werden ebenfalls anerkannt.

Um die Bedeutung des Bauernrechts auf Saatgutverkauf in Indien zu verstehen, muss man den Kontext kennen. Die Bauern sind Indiens wichtigste Saatgutproduzenten. Zuletzt haben sie 85 Prozent des Jahresbedarfs in Höhe von sechs Millionen Tonnen aufgebracht. Ihnen das Recht auf Saatgutverkauf zu verwehren hätte große Einkommensausfälle zur Folge gehabt. Zugleich hätten die Bauern die Fähigkeit zur Selbstversorgung verloren und wären von externen Saatgutlieferanten abhängig geworden. In Europa, den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan und teilweise auch in Südkorea und einigen Ländern Lateinamerikas sind die größten Saatgut­hersteller zu „Life-Science“-Konzernen mutierte Agrochemie-Multis.

Diese Industriegiganten haben mittels Firmenaufkäufen den globalen Saatgutmarkt unter sich aufgeteilt. Diese Strategie konnte in Indien nicht funktionieren, da es hier kaum große Saatgutunternehmen gibt und Bauern selbst keine handelbaren Unternehmen sind. Also wären multinationale Konzerne nur dann in der Lage, den indischen Markt zu kontrollieren, wenn man den Bauern das Verkaufsrecht nehmen würde. Deshalb war die Debatte über die Bauernrechte so hitzig. Die Kontrolle über die Saatgutproduktion ist der Schlüssel zur Nahrungsunabhängigkeit eines Landes. Eine Nation, die nicht ihre eigene Saat und Nahrung produziert, ist nicht sicher.

Schutz ländlicher Gemeinschaften

Indiens Sui-generis-Recht erlaubt Bauern nicht nur, geschütztes Saatgut ohne Markennamen zu verkaufen. Es schützt ihre Rechte auch auf andere Weise. Es erkennt die Rolle ländlicher Gemeinden bei der Kultivierung der Landsorten an, welche die Voraussetzung für die Schaffung kommerziell wertvoller Sorten sind. Züchter, die Landrassen zur Zucht von „im Wesentlichen abgeleiteten Sorten“ nutzen wollen, brauchen dafür die Erlaubnis der betroffenen Bauern. Diese Sorten entsprechen prinzipiell der Ursprungssorte, weisen aber bestimmte Veränderungen auf. Meist geht es um genetisch veränderte Sorten. So sind Bt-Baumwolle, Bt-Mais oder anderes Bt-Getreide identisch mit ihren Ursprungssorten – aber ein bakterielles Gen von Bacillus thuringiensis machen sie zu im Wesentlichen abgeleiteten Sorten.

Das indische Recht sieht vor, dass Bauern an den Einnahmen beteiligt werden, wenn neue Sorten auf der Basis traditioneller Nutzpflanzen gezüchtet werden. Ein Teil der Erlöse wird nämlich in den National Gene Fund eingezahlt, der ländliche Gemeinschaften unterstützt. Dafür müssen die Landsorten registriert werden. Damit das Analphabetentum ganzer Dörfer dem nicht im Wege steht, darf laut Gesetz jeder Mensch, jede Behörde und jede Nichtregierungsorganisation den Anspruch einer Gemeinschaft registrieren lassen.

Die Bauernrechte werden auch in den sogenannten „Passdaten“ geschützt, die bei der Beantragung einer Züchterurkunde eingereicht werden müssen. Sie enthalten viele Informationen, darunter die Abstammung der neuen Sorte sowie die Namen und Orte der genutzten Landsorten. Züchterurkunden werden annulliert, wenn die angegebenen Informationen falsch sind.

Bauernrechte verbieten den Züchtern laut indischem Recht auch, Saatgut zu sterilisieren. Züchter müssen eidesstattlich erklären, dass ihre Sorte keine Technologie zur Nutzungsbeschränkung enthält (GURT oder Terminator-Technologie).

Darüber hinaus sind Bauern von Gebühren befreit, wenn sie Dokumente und Papiere mit Bezug auf Züchterrechte einsehen wollen oder Kopien von Regulierungen und Behördenbeschlüssen anfordern. Jeder andere muss dafür zahlen. Letztlich legt das Gesetz fest, dass Bauern nicht für Verstöße belangt werden dürfen, wenn sie vor Gericht beweisen können, dass dies aus Unkenntnis geschah. So sind Bauern etwa vor Strafe geschützt, wenn sie darlegen können, dass sie Saatgut nur versehentlich unter dem Markennamen verkauft haben.

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