Editorial

Europäischer Erfolg

Wer verstehen will, was für ein riesiger Erfolg die Europäische Union ist, muss ein paar Jahrzehnte zurückblicken. Über Generationen hinweg prägten diesen Kontinent militärische Auseinandersetzungen – bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Mit schwerfälligen und schwer verständlichen Verfahren wirkt der EU-Alltag bürokratisch. Tatsächlich ist staatenübergreifende Politik mühsam. Leider wird darüber häufig übersehen, in welch ungeheurem Maße die EU die Friedensintention ihrer Gründer erfüllt. Dieser Erfolg ist so selbstverständlich geworden, dass er kaum noch wahrgenommen wird. Auch dass nach dem Kalten Krieg die Transformation Mittel- und Osteuropas friedlich gelang, ist ein Verdienst der EU. Die Integration in die im Westen schon etablierte gemeinsame Ordnung hat den Wandel erleichtert.

Nur im ehemaligen Jugoslawien war ethnischer Chauvinismus stärker als der Wunsch, sich der EU anzuschließen – mit blutigen Folgen. Vielleicht fühlten sich die Menschen dort dem Westen näher, weil sie nie hinter dem Eisernen Vorhang weggesperrt waren. Das vereinigte Jugoslawien hätte Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft gehabt. Nach den verheerenden Bürgerkriegen ist der Weg dorthin für die Nachfolgestaaten schwieriger.

Der Beitritt ist keine leichte Sache. Alle Neumitglieder müssen ihre Gesetze den Normen der Union anpassen. Der Spielraum für nationale Einzelgänge wird eng, denn der Erfolg der EU beruht ja gerade darauf, dass staatliche Souveränität an die Gemeinschaft übertragen wird. Die EU wurde in mehreren Beitritts­wellen erweitert. Der volkswirtschaftliche Erfolg hat den Befürwortern in den neu hinzugekommenen Ländern durchweg Recht gegeben. Dabei haben Transferzahlungen aus Brüssel bestimmt eine Rolle gespielt. Wichtiger war aber, dass
– der große gemeinsame Binnenmarkt enorme Chancen bietet,
– die Regelwerke der EU dynamische Marktwirtschaft fördern und
– Investoren in die Stabilität dieser Regelwerke vertrauen.

Volkswirtschaftlicher Erfolg bedeutet indessen nicht, dass alles rosig wäre. Die eng verflochtenen Ökonomien des kleinen Kontinents sind kein krisenfreier Raum. Die EU ist ein wichtiger Teil des Weltmarkts und globalen Schocks ausgeliefert. Auch der Euro-Raum, der die regionale Integration mit einer Währungsunion noch weiter vorangetrieben hat, ist keine heile Welt. Das beweisen aktuell die Finanznöte Griechenlands. In der Summe überwiegen aber die Vorteile. Das gilt auch für Deutschland, und zwar selbst dann, wenn – wie manche fürchten – die griechische Krise noch erhebliche Hilfszahlungen erforderlich macht. In jedem Fall aber hätte die globale Finanzkrise, verbunden mit einer stark aufgewerteten D-Mark, die bundesdeutsche Ökonomie noch schlimmer gebeutelt, als wir es jetzt erleben. Zugleich hat der Euro deutsche Stabilitätserwartungen bislang gut erfüllt.

Andere Regionen können sich an Europa orientieren: Regionale Integration funktioniert. Die EU verfolgt diese Strategie im Rahmen der Economic Partnership Agreements mit regionalen Staatengemeinschaften in Afrika, der Karibik und dem Pazifik. Sie betont dabei aber vermutlich etwas zu sehr die eigenen Interessen und überfordert die Regierungen ärmerer und schwächerer Länder mit komplexen Themen. Entwicklungspolitisch haben die EU und ihre Mitglieder allerdings nirgends so viel erreicht wie durch die Expansion nach Osten. Überbieten können sie das noch – zum Beispiel, wenn die Türkei Mitglied wird.

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