Kommentar

Most wanted

Osama Bin Ladens Tod hat eine Welle der Begeisterung in den USA ausgelöst, zugleich aber die ohnehin wackeligen Beziehungen mit Pakistan geschwächt. Diese Zweckehe, der schon seit längerem Vertrauen fehlt, ist noch schwieriger geworden.


Von Mohammad Ali Khan

Die Tötung Bin Ladens hat ganz Pakistan schockiert. Das Land trägt als Frontstaat schwer am „Krieg gegen den Terror“, den die USA im Nachbarland Afghanistan führen. Dass sich der meist gesuchte Mann der Welt in Abbottabad, einer Garnisonsstadt 61 Kilometer nördlich von Islamabad, verstecken könnte, hätte niemand für möglich gehalten.

Den USA zufolge lebte Bin Laden dort mehr als fünf Jahre lang in einer festungsähnlichen Anlage. Sein Heim lag nahe der pakistanischen Militärakademie, wo Pakis­tans Offiziere ausgebildet werden.

Laut CIA-Chef Leon Panetta, der bald Verteidigungsminister wird, haben die USA die pakistanische Regierung nicht zuvor über den Angriff amerikanischer Soldaten in den Morgenstunden des 2. Mai informiert. Ihm zufolge wurde Islamabad darüber im Dunkeln gelassen, damit im Vorfeld keine Informationen an Bin Laden durchsickern konnten.

Pakistan ist seit Jahrzehnten ein Alliierter der USA. Im Kalten Krieg unterstützten die USA dieses Land, weil das blockfreie Indien als Verbündeter der Sowjetunion galt. Später half Washington, den islamistischen Widerstand gegen die Rote Armee in Afghanistan aufzubauen. Heute kooperieren die USA mit Pakistan, um ebendort die islamistische Militanz wieder zu eliminieren. Pakistan hängt von US-Hilfe ab – sowohl militärisch als auch hinsichtlich diverser Sozialprogramme.

Zugleich überschattet Misstrauen das bilaterale Verhältnis. Schon vor Bin Ladens Tod war die Beziehung massiv gestört – und jetzt ist sie es noch mehr.

Beobachter in den USA stellen heute ebenso unbequeme wie berechtigte Fragen zu Bin Ladens Aufenthalt in einer Gegend, die für Pakistans Militär große Bedeutung hat. Wer wusste, dass er da war? Wer unterstützte ihn? Welche Rolle hatten pakistanische Geheimdienste und das Militär? Einige Mitglieder des US-Repräsentantenhauses fordern, die Unterstützung im Wert von jährlich 1,5 Milliarden Dollar zu beenden, weil Pakistan Bin Laden und einigen Gefolgsleuten „Unterschlupf“ gewährt habe.

Auch in Pakistan stellen die Menschen Fragen. Es ist beleidigend, dass fremde Truppen per Helikopter einfliegen konnten, um an einem der sensibelsten Orte nachts eine Militäraktion durchzuführen und danach in aller Ruhe wieder abzureisen. Es irritiert zudem, dass die pakistanischen Sicherheitskräfte in Abbottabad mitten in der Nacht fast eine Stunde lang Schüsse gehört haben sollen, ohne auch nur zu versuchen, selbst einzugreifen. Waren sie wirklich so unwissend, wie die Behörden in Washington und Islamabad behaupten?

Die Debatte darüber ist in Pakistan heiß. Die Behörden versichern, dass sie die Kontrolle haben und es keine Geheimabkommen mit den USA gab. Erstmals in den 66 Jahren seit der Unabhängigkeit Pakistans ist die Militärführung im Parlament erschienen, um Dinge zu erklären. Die Gesetzgeber verabschiedeten danach eine Resolution. Sie verurteilten das Vorgehen der USA und warnten, die Versorgungslinien der US-Truppen in Afghanistan würden gekappt, sollte es weitere militärische Übergriffe geben.

Klar ist aber auch, dass die pakistanischen Behörden Angriffe durch US-Drohnen (unbemannte Flugzeuge) im Grenzgebiet zu Afghanistan toleriert haben und das wohl auch künftig tun werden. Dass das Parlament der Regierung, dem Militär und dem Geheimdienst sein Vertrauen ausgesprochen hat, erklärt derweil nicht, warum sich Bin Laden in Abbottabad verstecken konnte.

Sein Tod bedeutet nicht das Ende der US-pakistanischen Allianz. Diese Zweck­ehe wird schwieriger, aber sie wird sich nicht auflösen. Beide Regierungen wissen, dass sie einander brauchen. Pakistan hängt von militärischen Mitteln aus den USA ab, um mit dem Rivalen Indien mitzuhalten. Auf den internationalen Finanzmärkten könnte ein Augenzwinkern der USA der Kreditwürdigkeit Pakistans ein Ende setzen. Die USA wiederum brauchen diesen nuklear bewaffneten Partner, um extremistische Kräfte in Schach zu halten – im Land selbst und in seiner Region. Mangel an Vertrauen macht diese Allianz prekär, und das wurde durch die Ereignisse Anfang Mai weiter verschärft.

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