Tunesien

Deutsche Wirtschaft zögert in Nordafrika

Freiheit ist möglich, so die Botschaft der Jasminrevolution. Wilde Streiks belasten jedoch Tunesiens erwachende Demokratie – mehr Investoren aus der Wirtschaft könnten das Vertrauen in die Zukunft erhöhen.

In den Tagen der Revolution wurden viele Unternehmen in Tunesien bestreikt. Das beunruhigte auch deutsche Firmenchefs – obwohl sie Arbeitskonflikte zu Hause gewohnt sind und verstehen, wenn Menschen mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten verlangen. In Tunesien gibt es jedoch keine Regeln dafür. „Ich würde mir wünschen, dass in den nächsten Monaten wieder Ruhe und Stabilität hergestellt werden, ähnlich wie vor der Revolution“, gesteht Erwin Vehar, Leiter der seit zwei Jahren in Tunesien produzierenden Electrocontact mit aktuell 410 Mitarbeitern.

Die Lage scheint sich immerhin zu entspannen. Der Nürnberger Kabelhersteller Leoni berichtet, seine vier Standorte hätten die alte Ordnung vier Monate nach dem Sturz von Diktator Ben Ali wiedergefunden. Die Produktion laufe überall „auf Normalniveau“, sogar ein fünfter Standort sei gerade in Überlegung. Seit über 30 Jahren fertigt Leoni hier Elektronik für Autos, betont Kommunikationsleiter Bernd Buhmann: „Unseren Leuten ist klar, dass Leoni nur erfolgreich bleibt, wenn wir unsere Liefertreue erhalten.“ Der Weg fertiger Kabelboxen aus Tunesien zu Daimler oder VW darf im Schnitt nicht mehr als fünf Tage kosten – sonst gehen Preisvorteile verloren. Diskussionen darüber mit der Belegschaft, davon 67 Prozent Frauen, haben sich für das Unternehmen gelohnt.

Das Beispiel zeigt, wo der Schuh drückt: Freie Gewerkschaften, Betriebsräte, Tarif­autonomie oder soziale Marktwirtschaft waren in der Diktatur tabu. Die Bundesregierung hat Tunesien, aber auch Ägypten Übergangspartnerschaften vorgeschlagen, um Strukturen dafür zu schaffen. Denn wilde Streiks schrecken Investoren ab. Zusätzlich griffen Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums zum Telefonhörer und riefen deutsche Manager an: Auch im nationalen Interesse wünschen sich Berliner Politiker mehr Jobs (oder sogar deutsche Tochterfirmen) für ­Tunesiens junge Demokratie (siehe Kommentar von Dirk Niebel S.216).

Die Wirtschaft kennt ihre Chancen: Der Dachverband deutscher Industrie- und Handelskammern DIHK lobte im März den Standort, trotz allgemeiner Ungewissheit: „Die Tunesier sind unzufrieden über hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere unter jungen Menschen – und über Korruption“, sagt Nordafrika-Experte Felix Neugart. Wichtig sei jetzt, dass die Bevölkerung rasch an ­ihrer prosperierenden Wirtschaft beteiligt und Bürokratie bekämpft werde. Der Spielraum dafür ist knapp: Der Internationale Währungsfonds (IMF) erwartet ein Prozent bis 1,5 Prozent Wachstum, gegenüber drei Prozent im vergangenen Jahr. Ernüchternde Prognosen meldet die Hotelbranche. Sie rechnet mit einem Rückgang von 50 Prozent. Der Tourismus ­erwirtschaftet sieben Prozent des BIP und stellt 400 000 Arbeitsplätze.

Umso wichtiger ist das Ausland. Ein ­Pilotprojekt mit dem Goethe Institut und der AHK Tunesien für arbeitslose Jungakademiker ist gerade angelaufen. Außerdem begann die Deutsch-Tunesische Industrie- und Handelskammer (AHK) im März damit, deutschen Mittelständlern das Land schmackhaft zu machen. In 12 Städten fanden Road­shows statt; im Mai plant Dagmar Ossenbrink in Tunis einen Windenergie-Workshop für 10 Investoren in Kooperation mit der GIZ. Die AHK-Geschäftsführerin sieht das Zögern deutscher Manager mit Sorge. Italiener seien oft beweglicher; sie haben zum Beispiel den Großeinstieg ins Verlagswesen gewagt. Fast überall winken einmalige Chancen, sagt ­Ossenbrink, etwa auch für ­lokale Generikahersteller. Leider seien manche Deutsche „risikoscheu“, solange nicht alles auf einem goldenen Tablett serviert werde. Größere Familienkonzerne, darunter viele Hotels, standen einst unter Kontrolle der Clans Ben Ali, Trabelsi oder anderer Verwandter. Der Wegfall dieser Monopole verspricht glänzende Geschäfte. Um die Photovoltaik und die Windkraft zu fördern, gibt Tunis außerdem Startzuschüsse von bis zu 40 Prozent, mit einer Obergrenze von rund 5170 Euro. Auch hier können deutsche Firmen profitieren. (ph)

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