Multilaterale Ordnung

Erodierende Gewissheit

Die vom Westen dominierte Weltordnung der Ära nach dem Kalten Krieg neigt sich ihrem Ende zu, warnt der ehemalige UN-Beamte Michael von der Schulenburg. Versuche, Post-Konfliktländer mit westlichen Demokratiekonzepten zu stabilisieren, seien überwiegend gescheitert.
US-Soldaten reißen 2003 Statue von Saddam Hussein nieder. picture-alliance/AP Photo US-Soldaten reißen 2003 Statue von Saddam Hussein nieder.

In seinem Buch „On building peace“ (siehe Hauptbeitrag) erweist sich Schulenburg als scharfer Kritiker des Westens. Seiner Einschätzung nach haben vor allem – aber nicht nur – die USA versucht, der Weltgemeinschaft ihre Vorstellungen und Normen aufzudrücken. Folglich hätten die meisten multilateralen Versuche, kollabierte Nationalstaaten wieder aufzubauen, nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Vielfach hätten sie die Probleme sogar verschlimmert.

Libyen ist ein Beispiel, das der Autor anführt. Die NATO habe mit einem UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung 2011 interveniert, aber heute sei das Land in einem schlimmeren Zustand als zuvor und stecke in einem zähen Bürgerkrieg fest. Paradoxerweise habe es früher mit das höchste Human-development-Niveau der Region gehabt.

Schulenburg ist deutscher Staatsbürger und war ein hochrangiger UN-Beamter. Seinem Urteil zufolge hat die NATO, die in Libyen nur Luftschläge ausführte, nichts für State- und Nationbuilding getan und somit zugelassen, dass diverse Milizen Fuß fassten. Die Intervention habe die Glaubwürdigkeit des Westens in der gesamten Weltregion geschwächt und das Vertrauen in sein Demokratiemodell unterhöhlt. Schulenburg treibt obendrein um, dass die NATO das junge Schutzverantwortungsprinzip (Responsibility to Protect – R2P) der UN diskreditiert habe, weil sie das humanitäre Mandat für Regimewechsel nutzte.

Ähnlich vernichtend beurteilt Schulenburg den Irakkrieg. Es sei bizarr, dass Truppen aus den USA und Britannien erwarteten, sie würden als Befreier gefeiert werden, als sie 2003 Diktator Saddam Hussein stürzten. Unter Irakern, die jahrelang Luftschläge der Alliierten erlitten hatten, sei der Ruf beider Länder nicht gut gewesen. Der Bevölkerung sei auch klar gewesen, dass westliche Regierungen Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran in den achtziger Jahren unterstützt hatten.

Wie der Autor weiter ausführt, war Irakern auch noch bewusst, dass London nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs am Ende des Ersten Weltkriegs sein Versprechen, Mesopotamien die Unabhängigkeit zu gewähren, nicht gehalten hatte. Schulenburg wirft Washington und London Doppelmoral vor. Zudem hätten sie die Autorität der UN geschwächt, weil sie ohne ausdrückliches Mandat des Sicherheitsrats intervenierten.

Schulenburg folgert aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, liberale Demokratie sei – anders als lange geglaubt – nicht die richtige Antwort auf gescheiterte Staatlichkeit, denn andernfalls wäre das Problem fragiler Staaten nicht so hartnäckig. Formale Wahlen führten Postkrisenländer meist nicht zu nationaler Eigenverantwortung, schreibt er. Sie trügen wenig zur substanziellen Politikformulierung bei, sondern liefen auf Volkszählungen hinaus, welche die Herrschaft partikularer Gruppen begründeten.

Schulenburgs Erfahrung nach ist es auch nicht hilfreich, wenn westliche Experten schnell die Verabschiedung neuer Verfassungen nach westlichem Vorbild unterstützen. Solche Grundgesetze bauten auf individuellen Rechten auf, wohingegen Krisenländer zunächst Regeln für das friedliche Miteinander verschiedener Gemeinschaften bräuchten. Nationbuilding sei immer ein langfristiges Projekt.


Buch
Von der Schulenburg, M., 2017: On building peace. Rescuing the nation-state and saving the United Nations. Amsterdam: University Press.

 

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