Deutsche Politik

Test der Glaubwürdigkeit

Schon seit Jahren fordern Nichtregierungsorganisationen, dass Deutschland 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zur Verfügung stellt. Das Thema ist zäh und schwierig. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Glaubwürdigkeit und die notwendige entwicklungspolitische Kohärenz der gesamten Politik.
Indigene Frauen im peruanischen Hochland: Die ärmsten Menschen in Entwicklungsländern haben nichts davon, wenn in Deutschland Geld für Flüchtlinge ausgegeben wird. dem Indigene Frauen im peruanischen Hochland: Die ärmsten Menschen in Entwicklungsländern haben nichts davon, wenn in Deutschland Geld für Flüchtlinge ausgegeben wird.

In der aktuellen Weltlage ist es dringlicher denn je, dass Deutschland sein jahrzehntealtes 0,7-Prozent-Versprechen einlöst. 795 Millionen Menschen leiden akut an Hunger, 1,3 Milliarden Menschen leben in extremer Armut, 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht, und die Folgen des Klimawandels sind immer deutlicher zu spüren. Mehr entwicklungspolitisches Engagement ist auf allen Ebenen notwendig.

Die Bundesregierung bekennt sich immer wieder zum 0,7-Prozent-Ziel. Wohlmeinende Versprechen reichen aber nicht. Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Entwicklungspolitik werde gestärkt, stimmen uns positiv. Wenn die Regierung das 0,7-Prozent-Ziel ernst nehmen will, brauchen wir aber einen verbindlichen Zeitplan zu dessen Erreichung.

Eine aktuelle Studie des zivilgesellschaftlichen Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) zeigt, dass die bisherigen Pläne der Bundesregierung nicht reichen. Die Mittelsteigerungen im letzten Jahr waren positiv, aber die zugesagten 8,3 Milliarden Euro bis 2019 sind nicht genug. Es sind weitere 15,2 Milliarden Euro nötig, um das 0,7-Prozent-Ziel 2020 zu erreichen.

15,2 Milliarden Euro sind viel Geld. Im Vergleich zu 50 Milliarden Steuermitteln, die die Bankenrettung gekostet hat, erscheint die Summe allerdings gar nicht so hoch. Die Bundesregierung muss sich letztlich entscheiden, wie viel ihr globale Gerechtigkeit wert ist. Um das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen, wäre eine Steuer auf Finanztransaktionen nützlich. VENRO begrüßt die deutsche Position, die Steuer gemeinsam mit zehn weiteren EU-Mitgliedern einzuführen und möglichst weitere hinzuzugewinnen.

VENRO spricht sich aber dagegen aus, die Kosten für Schutzsuchende in Deutschland auf EZ anzurechnen. Die Versorgung der Flüchtenden darf nicht gegen die Unterstützung armer Menschen im globalen Süden ausgespielt werden. Die Ausgaben für geflüchtete Menschen in Deutschland sind wichtig und müssen steigen – sie helfen den benachteiligten Weltregionen aber nicht bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Um dort positive Veränderungen herbeizuführen, bedarf es konkreter Projekte vor Ort, die langfristigen Wandel bewirken. Dafür ist eine starke und langfristige Finanzierungsgrundlage notwendig, und Deutschland muss dazu beitragen.

Darüber hinaus muss die Bundesregierung eine faire und kohärente Wirtschafts-, Handels- und Außenpolitik betreiben. Es geht darum, die Globalisierung gerecht zu gestalten. Viele Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, flüchten nicht nur vor Krieg und Gewalt, sondern auch vor Perspektivlosigkeit. In den Flüchtenden begegnen wir häufig den Verlierern einer Globalisierung, die wir bisher vor allem zu unseren Gunsten gestaltet haben.

Globalisierung gerechter gestalten bedeutet auch, unser eigenes Wirtschafts- und Lebensmodell zu verändern. Nutzen können wir dabei die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals, die 193 Staaten – darunter auch Deutschland – voriges Jahr verabschiedet haben. Zu den Zielen zählen unter anderem: weltweit den Hunger zu überwinden, extreme Armut zu beseitigen, Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen, zu nachhaltigerer Produktions- und Konsumweise überzugehen und den Schutz der Biodiversität zu verbessern.

Die Agenda 2030 gilt für alle Länder gleichermaßen. Auch in Deutschland muss sich einiges ändern. Globale Herausforderungen können nur global und kooperativ gelöst werden.

Unsere Generation hat die Möglichkeit und die Pflicht, einen Weg einzuschlagen, der Armutsbekämpfung, Gerechtigkeit, Umweltschutz, Frieden und Sicherheit ins Zentrum stellt. Wir verfügen über die notwendigen finanziellen und technischen Voraussetzungen. Ein verbindlicher Zeitplan zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels wäre in diesem Kontext ein wichtiger Schritt und ein Glaubwürdigkeitstest für die Bundesregierung.


Bernd Bornhorst ist der Vorsitzende von VENRO (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe).
b.bornhorst@venro.org


Link

VENRO-Studie: Die Entwicklung der ODA-Quote bis 2020: Wie aus Anspruch Realität werden kann.
http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/VENRO_Studie_ODA.pdf
 

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