Technologie

Digitaler Umbruch

Universelle Digitaltechnologien verändern die Art, wie wir Güter und Dienstleistungen produzieren und gestalten, wie wir sie handeln und konsumieren. Der globale Handel und seine Wertschöpfungsketten werden neu definiert, was sich auf die wirtschaftliche Zukunft der Entwicklungsländer auswirken dürfte.
Forscher arbeiten am ersten afrikanischen Elektroauto. picture alliance/Yannick Tylle Forscher arbeiten am ersten afrikanischen Elektroauto.

Viele Jahre lang waren industrielle Produktion und auf Wettbewerb basierende Integration der Weltmärkte grundlegend. In den letzten Jahrzehnten stieg die globalisierte Wirtschaftstätigkeit an, was nach 2008 durch die globale Finanzkrise nur zeitweilig gebremst wurde. omentan scheint der Trend zur wettbewerbsfähigen globalen Integration sogar dem zunehmenden protektionistischen Druck standzuhalten.

Dennoch hat sich die relative Position der Länder verändert. Entwicklungs- und Schwellenländer haben ihren Anteil an weltweiter Produktion und am Export erhöht, wobei Chinas schneller und einzigartiger Aufstieg am herausragendsten war.

Läuft alles wie bisher, ist davon auszugehen, dass sich die Weltwirtschaft dauerhaft immer stärker vernetzen wird und internationale Wertschöpfungsketten wichtiger werden. Doch in den kommenden Jahren könnte sich einiges drastisch ändern. Während Tempo und Ausmaß des technologischen Wandels unklar bleiben, wird es neue internationale Spezialisierungen geben.

Technische Innovationen – von der Robotik über additive Fertigung bis zu Big Data und dem Internet der Dinge (OECD 2017) – werden sich deutlich auf die Industrialisierungsbemühungen der Entwicklungsländer auswirken. Manche Beobachter vermuten sogar, dass der konventionelle, auf Industrieproduktion basierende Weg zum Wohlstand ausgedient haben könnte (Hallward-Driemeier/Nayyar 2018).

Seit Jahrzehnten beobachten wir die sogenannte Dynamik der fliegenden Gänse. Industrialisierung beginnt meist mit niedrigen Löhnen. Die jeweiligen Länder werden wettbewerbsfähiger, bauen ihre Fertigkeiten aus und machen Platz für Neuankömmlinge. Neue Schwellenländer folgen dem gleichen Modell, wobei die Löhne entsprechend der zunehmenden Qualifikation steigen. Heute halten Beobachter die Folgen der neuen digitalen Technologien für so drastisch, dass sie meinen, die eine könnte der nächsten Gans nicht mehr folgen. Das würde bedeuten, dass industrielle Fertigung keine wirtschaftliche Entwicklung mehr garantieren könnte.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Grenzen zwischen Produktion und Dienstleistung verschwimmen und Dienstleistungen zunehmend Bestandteil von Industriegütern sind („embodied services“) oder im Paket („embedded services“) verkauft werden.

Bedeutet das, verspätete Industrialisierung bringt keine Entwicklung mehr? Dani Rodrik (2015) spricht von einem Trend hin zu „frühzeitiger Deindustrialisierung“. Entwicklungsländer würden zu Dienstleistungswirtschaften, ehe sie die Früchte der Industrialisierung ernten konnten. Digitale Technologien könnten diesen Trend weiter verstärken.

Oder es kommt ganz anders. Um das nüchtern einzuschätzen, gilt es, Folgendes zu bedenken:

  • Bisher gibt es keine schlüssigen Belege für die Korrelation von Arbeitsplatzverlusten durch Digitalisierung und Pro-Kopf-Einkommen von Ländern. Somit ist unklar, wie stark einkommensschwache Länder betroffen sein werden.
  • Es gibt mehr Belege für das, was technisch machbar ist, als für das, was wirtschaftlich lohnenswert ist. Es kann dauern, bis digitale Technik die arbeitsintensive Produktion in Entwicklungsländern beeinflusst. Auch wird das in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich ablaufen. Digitale Automatisierung und Robotik verändern die Elektronik- und Automobilindustrie sehr viel rasanter als die Bekleidungs- und Schuhindustrie.
  • Der angebliche Trend, dass die Industrieproduktion nach einer früheren Verlagerung in Niedriglohnländer nun in entwickelte Volkswirtschaften zurückverlagert wird (backshoring), ist mehr Hype als Realität. Die wenigen verfügbaren systematischen Studien (insbesondere De Backer et al. 2018) legen zwar nahe, dass durch Robotik Umfang und Tempo des Auslagerns in Entwicklungsländer reduziert werden, aber es gibt nur anekdotische Hinweise auf tatsächliche Rückverlagerung.

Digitalisierung geschieht nicht über Nacht. Ländern mit niedrigem Einkommen und gerade einsetzender Industrialisierung bleibt also noch Zeit. Deshalb bleibt auch der Aufbau von arbeitsintensiven, auf niedrigen Qualifikationen basierenden Industrien mittelfristig eine Option. Jüngste Studien ergaben sehr unterschiedliche Ergebnisse über Ausmaß und Beginn von technologiebedingtem Arbeitsplatzverlust. Doch sollte die Weltwirtschaft in 20 bis 30 Jahren voll digitalisiert sein. Wie schnell sich das durchsetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab wie Arbeitsmärkte (Lohn- und Qualifikationsniveau), Regulierung und gesellschaftlicher Akzeptanz.

Allerdings können neue Technologien auf Mikroebene schnellen und drastischen Wandel bringen. So hat Vietnams führender Keramik- und Porzellanhersteller die Anzahl seiner Arbeiter durch Automatisierung von 400 auf 20 reduziert – ohne Qualitätsverlust. Ebenfalls in Vietnam hat ein Lebensmittelproduzent die Eierverarbeitung mit Hilfe niederländischer Maschinen voll automatisiert. Solche Innovationen führen nicht nur ausländische Investoren ein, sondern auch lokale, für den heimischen Markt produzierende Unternehmen.

Wie ich in einer Studie für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (Lütkenhorst 2018) argumentiere, sollten sich Entwicklungsländer jetzt auf die Folgen der Digitalisierung vorbereiten. Generell sollten sie eine vorausschauende Industriepolitik betreiben und potenzielle Wettbewerbsvorteile aktiv fördern (siehe auch E+Z/D+C e-Paper 2018/01, Seite 16). Verschiedene gesellschaftliche Interessensgruppen sollten eine gemeinsame Vision entwerfen. Dazu gehören der Aufbau einer digitalen Infrastruktur und die Förderung digitaler Kompetenzen. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen müssen digitale Plattformen für Kommunikation, Finanzen, Konsum und Produktion aufbauen. Das Internet sollte universell zugänglich und bezahlbar sein.

Berufsbildung und allgemeines Bildungssystem müssen dazu beitragen, dass relevante Fähigkeiten aufgebaut und vertieft werden, wie:

  • Knowhow in Internet- und Kommunikationstechnik (IKT) wie das Programmieren oder der Umgang mit komplexen Datenbanken,
  • ergänzende, für das Arbeiten in digitalen Umgebungen erforderliche IKT-Kenntnisse (wie Planung digitaler Arbeitsprozesse)
  • sowie grundlegende Schreib- und Rechenkenntnisse und eine Reihe von Softskills.

Zu Letzteren zählen vor allem Kreativität, emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz, also menschliche Fähigkeiten, die sich gegenüber digitaler Automatisierung als besonders widerstandsfähig erwiesen haben. Diese werden bei zunehmend komplexen und integralen Systemen von Produktion und Dienstleistungen immer wichtiger. Solche Fähigkeiten lassen sich unter anderem fördern, indem man:

  • Schulinhalte auf die Anforderungen für Beruf und Ausbildung abstimmt,
  • den Privatsektor in Bildungspartnerschaften einbezieht, die innovative Trainingsprogramme zum Ziel haben,
  • Ausbildung und Praktika am Arbeitsplatz fördert und
  • finanzielle Anreize für Ausbildungsanstrengungen schafft.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden Unterstützung brauchen; ihnen fehlen oft die eigenen Ressourcen, um in erhöhte Qualifizierung zu investieren. Gleichzeitig entsprechen die bestehenden Ausbildungsprogramme oft nicht ihrem tatsächlichen Bedarf.

Es gibt positive Praxisbeispiele für subventionierte Ausbildungskonsortien in Südkorea oder Einrichtungen wie „Skillnets“ in Irland, das staatlich finanziert und von Unternehmen getragen wird. Die Entwicklungspolitik sollte sich dafür einsetzen, Erkenntnisse aus erfolgreichen digitalen Ausbildungsinitiativen zu verbreiten.

Zusätzlich können Entwicklungsländer von Beschäftigungsmöglichkeiten durch innovative, IT-gestützte Dienstleistungen profitieren, wie verschiedene IT-Service-Cluster in Kenia und Ruanda zeigen. Auch kann die Digitalisierung von Dienstleistungen, von Online-Kauftransaktionen bis Online-Banking, die Produktivität steigern.

Viele dieser Überlegungen bleiben notwendig spekulativ. An der Schwelle zu radikalen Veränderungen beginnen wir gerade erst, deren langfristige Folgen zu begreifen. Michael Spence, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, sagte vor einigen Jahren über die Digitalisierung: „Niemand weiß genau, wie das alles ausgeht.“ Das gilt noch immer.

Wilfried Lütkenhorst ist assoziierter Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Zuvor war er geschäftsführender Direktor bei der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO).
wluetkenhorst@aon.at

Literatur

De Backer, K. et al., 2018: Industrial robotics and the global organisation of production, Paris: OECD.
https://read.oecd-ilibrary.org/industry-and-services/industrial-robotics-and-the-global-organisation-of-production_dd98ff58-en#page1

Hallward-Driemeier, M., Nayyar, G., 2018: Trouble in the making? Washington, DC: World Bank.
https://www.worldbank.org/en/topic/competitiveness/publication/trouble-in-the-making-the-future-of-manufacturing-led-development

Lütkenhorst, W., 2018: Creating wealth without labour? Bonn: German Development Institute.
https://www.die-gdi.de/uploads/media/DP_11.2018.pdf

OECD, 2017: The next production revolution: Implications for governments and business, Paris: OECD.
https://read.oecd-ilibrary.org/science-and-technology/the-next-production-revolution_9789264271036-en#page1

Rodrik, D., 2015: Premature deindustrialization, Cambridge, Mass.: Harvard University.
https://drodrik.scholar.harvard.edu/files/dani-rodrik/files/premature_deindustrialization_revised2.pdf

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