Europäischen Migrationspolitik

Risiken und Nebenwirkungen

Eine der herausragenden Themen im Europawahlkampf war die Migrations- und Asylpolitik. Egal, wer künftig an der Spitze der Europäischen Kommission steht und welche Bündnisse im Europaparlament geschmiedet werden – die Suche nach gemeinsamen Lösungen in diesem Politikfeld wird auf der To-do-Liste der EU ganz oben stehen.
Afrikanische Flüchtlinge in einem der umstrittenen Auffanglager in Libyen für Menschen, die nach Europa migrieren wollen. picture-alliance/AP Photo Afrikanische Flüchtlinge in einem der umstrittenen Auffanglager in Libyen für Menschen, die nach Europa migrieren wollen.

In keinem Politikfeld ist sich die EU so uneinig wie in der Asyl- und Migrationspolitik. Die tatsächliche oder befürchtete Zuwanderung prägt die politische Agenda in den Mitgliedsländern. Der einzige bestehende Konsens ist der Wunsch, den Flüchtlingszuzug zu begrenzen. Die EU versucht, Migrationsströme möglichst nahe an der Quelle einzudämmen. Dafür ist sie auch bereit, mit fragwürdigen Partnern zu kooperieren. Diese Strategie mag kurzfristig Erfolg haben, mittel- und langfristig kann sie die Fluchtursachen vertiefen.

Mit dem Türkei-Abkommen gelang der EU Anfang 2016 eine wirksame Vereinbarung zur Lenkung von Flüchtlingsströmen. Tatsächlich kommen seither weniger Migranten über die Türkei in Griechenland an. Mit einer Reihe von Staaten in Afrika hat die EU bereits „Migrationspartnerschaften“ abgeschlossen. Sie will damit die Fluchtursachen mindern, den Verbleib von Flüchtlingen in der Nähe ihrer Herkunftsländer sicherstellen sowie die Rückführung von illegalen Einwanderern und abgelehnten Asylbewerbern erleichtern.

Dazu setzt die EU eine Vielzahl von Instrumenten ein, wie:

  • Kooperation bei der Grenzsicherung und Bekämpfung von Schleppern über Finanzhilfen,
  • Handelsvorteile und Entwicklungskooperation oder
  • Rücknahmeabkommen.

Für diese Maßnahmen können Mittel des 2015 ins Leben gerufenen Treuhandfonds für Afrika genutzt werden. Die Hauptbegünstigten sind die Länder der Sahel- und Tschadsee-Region, gefolgt vom Horn von Afrika und schließlich Nordafrika. Die EU kooperiert dabei auch mit Staaten wie Ägypten, Libyen oder dem Sudan, in denen massive Menschenrechtsverletzungen zum Alltag gehören. Ist schon in Ägypten eine menschenwürdige und rechtsstaatliche Behandlung der Flüchtlinge nicht gewährleistet, so drohen aufgegriffenen Migranten in Libyen Misshandlung und Zwangsarbeit.

Unter innenpolitischem Druck und angesichts des Erstarkens nationalistischer Parteien in nahezu allen Mitgliedsländern sowie im Europäischen Parlament orientiert sich die EU nicht länger an dem Kriterium guter Regierungsführung, sondern einzig an der Effektivität ihrer afrikanischen Partnerstaaten bei der Eindämmung von Wanderbewegungen. Sie unterstützt damit auch Regime, die nicht an der Entwicklung des eigenen Landes orientiert sind und perspektivisch die Fluchtursachen eher verschärfen, als sie zu mindern.

Indem sie den Grenzschutz und damit Teile des Polizei- und Militärapparats von „failed states“ wie Libyen, Sudan oder Somalia ausrüstet, macht sich die EU nicht nur indirekt zum Beteiligten in internen Gewaltkonflikten, sondern riskiert darüber hinaus, dass Waffen in die Hände von Terroristen gelangen. Der erneute Ausbruch der Kämpfe zwischen den rivalisierenden Machthabern in Libyen im März 2019 hat gezeigt, wie unbeständig solche Partnerschaften sind. Die Zusammenarbeit mit gescheiterten Staaten ist nicht nur eine Frage der Menschenrechte, sondern kann indirekt auch ein Sicherheitsrisiko für Europa darstellen.

Die Einrichtung eines ressortübergreifenden Fonds zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Afrikas war gut und überfällig. Nachhaltige Wirkungen kann der Fonds allerdings nur erzielen, wenn er mit entwicklungsorientierten Partnerregierungen zusammenarbeitet. In Ländern, in denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist, empfiehlt es sich, keine staatlichen Projekte zu fördern, sondern lediglich zivilgesellschaftliche.

Die bisherige finanzielle Ausstattung des Treuhandfonds von 4,5 Milliarden Euro kann allerdings nur der erste Schritt sein. Um langfristig zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Europas Nachbarkontinent beizutragen, bedarf es einer signifikanten Erhöhung der Mittel. Es sollte allerdings nicht die Erwartung geweckt werden, durch die Fördermaßnahmen würden sich kurz- und mittelfristig weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen.

Im Gegenteil, Forschungsergebnisse zeigen, dass Auswanderungsbestrebungen mit dem Wirtschaftswachstum anfangs sogar zunehmen. Langfristig aber werden in dem Maße, in dem Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten für die breite Masse entstehen, die Menschen Perspektiven in der eigenen Heimat suchen.


Nassir Djafari ist Ökonom und freier Autor.
nassir.djafari@gmx.de

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