Journalismus

Digitale Demokratie

Internet und Mobilfunk vernetzen Menschen effektiver als jedes herkömmliche Medium. Die politische Wirkung ist in vielen Ländern bereits zu spüren.


[ Von Adelheid Schultze ]

In den Ländern mit Pressefreiheit dienten die Medien im 20. Jahrhundert als vierte Gewalt. Vor allem die Vielzahl unabhängiger Zeitungen schuf einen Raum für öffentliche Debatten und Meinungsbildung. Sie dienten damit auch der demokratischen Kontrolle. Die digitalen Medien des 21. Jahrhunderts erweitern diesen öffentlichen Raum beträchtlich.

„Wenn Sie nicht im Internet lesen, wissen Sie nicht, was im Land los ist“, meint Premesh Chandran, Vorstand von www.malaysiakini.com, einer der bekanntesten websites in Malaysia. Was sich Zeitungen nicht trauen zu veröffentlichen, bringt das Internet. 56 von 100 Malaysiern nutzen das Internet. Es ist schwieriger zu zensieren und es erreicht die überwiegend junge Bevölkerung. Folglich ist es auch ein politischer Faktor. Die größte Wählergruppe dieses südost-asiatischen Schwellenlandes sind die etwa 30-Jährigen, die mit Mobiltelefon und Internet aufgewachsen sind.

Das Internet macht den herkömmlichen Massenmedien Zeitung, Radio und Fernsehen längst Konkurrenz. Bürger Malaysias sind für ihre Meinungsbildung nicht mehr auf ein Leitmedium angewiesen. Ein Gegengewicht zur Informationspolitik von Regierungen und zur Meinungsmacht von Zeitungsmonopolen ist entstanden. Im Netz kann sich jeder User Informationen aus unterschiedlichen Quellen holen und sich in Blogs und Foren austauschen.

International ist zu beobachten, dass neben der Informationsbeschaffung zunehmend die Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Deshalb werden die digitalen Medien gerne auch als soziale Medien bezeichnet werden. Was die klassischen Medien nur als Ergänzung kennen - den Leser/Hörer/Zuschauer einbeziehen - ist im Netz die herrschende Philosophie: Jeder kann Produzent und Konsument zugleich sein.

Für die politische Teilhabe sind damit ganz neue Möglichkeiten entstanden - sowohl für die Bürger als auch für Politiker. In besonderer Weise gilt dies für all jene Länder, deren Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnologien noch schwach ist. Afrika, wo 2008 gerade ein gutes Viertel der Bevölkerung ein Mobiltelefon hatte und noch weniger einen Internetzugang, verzeichnet enorme Wachstumsraten beim Mobilfunk - von 2006 auf 2007 satte 32 Prozent.

Nützliche Handys

Auch das Mobiltelefon kann als Instrument demokratischer Kontrolle dienen, wie Harry Dugmore, Professor für neue Medien und Mobilkommunikation an der Rhodes Universität in Südafrika, erläutert. So nutzten politische Aktivisten beispielsweise in jüngerer Zeit SMS zur Wahlbeobachtung in Zimbabwe, Ghana und Kenia. Häufig spielen Internet und SMS schon im Vorfeld der Wahlen eine Rolle. Sie dienen unter anderem der Mobilisierung von Anhängern und Unterstützern. Sie werden zwar manchmal zur Gewaltagitation missbraucht, andererseits stützt sich aber auch die kritische Berichterstattung über Übergriffe im Umfeld von Wahlen auf "mobile reporting" (die Übertragung von Eindrücken, Ton und Fotos via Mobiltelefon). Die wachsende Tauglichkeit des Mobiltelefons für Internetanwendungen fördert diesen Trend – und zwar über Grenzen hinweg.

Davon profitiert unter anderem www.sokwanele.com. Oppositionelle Zimbabwer haben hier eine online-Plattform entwickelt, um die staatliche Gewalt seit den Parlamentswahlen im März 2008 zu dokumentieren. Die Website zeigt auf einer Landkarte die Orte und Art der Übergriffe an. Diese Informationen werden mit Zeugenaussagen, Fotos und Analysen ergänzt. So entsteht hohe Informationsdichte. Werden solche Websites aus dem Ausland betrieben, haben autoritäre Potentaten keinen direkten Zugriff auf die Verantwortlichen.

Schnelle, unmittelbare Berichterstattung wird allerdings durchaus auch kritisch gesehen. Werner D'Inka, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), befürchtet, dass viele Menschen nicht mehr unterscheiden können, was Bericht und was Meinung ist. Wie die digitalen Medien die Politik beeinflussen und welche Rolle sie insbesondere in Wahlkämpfen spielen, was dar Thema einer Konferenz, die das Internationale Institut für Journalismus (IIJ) von InWEnt und die F.A.Z. im Frühjahr in Berlin ausrichteten.

Dass die journalistische Qualität bei digitalen Medienangeboten manchmal zu kurz kommt, räumte bei diesem Anlass Dele Olojede ein. Er ist Herausgeber der nigerianischen Internetzeitung www.234next.com, Vorstandsmitglied von Timbuktu Media und Pulitzer-Preisträger. Aus seiner Sicht verdienen professionelle Standards bei digitalen Medien besondere Aufmerksamkeit. "next" arbeitet mit blogs (regelmäßigen Meinungsbeiträgen), videos und tweets (aktuelle Kurzmitteilungen per SMS). Bei den blogs wird nicht systematisch gegenrecherchiert, ob alle Fakten stimmen.

Ologjede betont aber, dass Vielfalt auch eine Art von Objektivität schafft. Bei den Wahlen 2011 will er 10 000 Bürgerreporter in Nigeria vernetzen, die aus Internetcafes und via SMS aus dem ganzen Land berichten sollen um Wahlbetrug zu vermeiden.

Der südafrikanische Professor Dugmore hält viel von solchen Konzepten. Er erkennt Chancen für jene Bevölkerungsgruppen, die bisher vom politischen Geschehen ausgeschlossen waren, weil sie sich kaum öffentlich artikulieren konnten, um Einfluss zu nehmen. Dugmore ist zuversichtlich, dass 2012 zwei Drittel der Afrikaner ein Mobiltelefon besitzen werden.

Er verbindet große Hoffnungen nicht nur für Südafrika damit: Der Zugang zu alternativen Informationsquellen und die breitere Kommunikation unter den Bürgern werde es Politikern zunehmend erschweren, Wahlkampf mit ethnischen Ressentiments zu machen. Themenorientierte Politik ("more issue-based politics") werde mehr Gewicht bekommen.

Positive Erfahrungen wurden auch in Pakistan gemacht. Faizullah Jan, Dozent an der Fakultät für Journalismus und Massenkommunikation an der Universität Peshawar, beschreibt den enormen Auftrieb für die digitalen Medien nach der Ausrufung des Notstands im November 2007. Damals hatte der amtierende Präsident, General Pervez Musharraf, wegen der anhaltenden Kritik der Medien an seiner Amtsenthebung eines hohen Richters unabhängige Zeitungen verboten. Digitale Medien füllten die Lücke sofort – und das überlebte die Diktatur nicht.

Zwar haben nur schätzungsweise drei bis fünf Millionen der 165 Millionen Pakistani direkten Zugang zum Internet. Schätzungen zufolge haben aber bis zu 90 Millionen ein Mobiltelefon. Viele von ihnen können damit Videos von YouTube anschauen. Auch auf diesem Weg kann politische Kritik verbreitet werden. Dank günstiger Tarife wird das ausgiebig genutzt.

Die Kosten digitaler Dienste sind dort niedrig, wo es Wettbewerb verschiedener Anbieter gibt – also wo die Privatwirtschaft investiert. Ein weiterer Faktor für den Erfolg digitaler Dienste ist der Grad staatlicher Regulierung. Was Afrika angeht, ist Dele Olojede, der nigerianischen Internet-Journalist, aber optimistisch. Der Privatsektor habe so massiv in Mobilfunk und Internet investiert, dass Regierungen keine Chance hätten, die Schraube wieder zurück zu drehen ("to put the jelly back in the glass") und den Handlungsspielraum digitaler Medien zu beschneiden.

Wie Politiker digitale Medien nutzen können, illustrierte bei der Konferenz von IIJ und F.A.Z. Nancy Scola, Redakteurin des online-Forums techpresident und Dozentin für Neue Medien und Politik an der Universität New York, am Beispiel der USA. Barack Obamas Wahlkampfteam nutzte virtuos die direkte Kommunikation über E-Mail, Blogs, Videos, SMS – also die Möglichkeiten der persönlichen Ansprache und Interaktivität, die die digitalen Medien den klassischen Informationsträgern voraus haben.

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