Internationale Finanzinstitution

Wichtige Prüfung

Die Weltbank überarbeitet derzeit ihre Umwelt- und Sozialstandards. Zwei Jahre soll dieser „Review“-Prozess dauern. Angestoßen wurde er auf der Jahrestagung in Tokio 2012. Zivilgesellschaftliche Organisationen hoffen auf strengere Regeln und bessere Implementierung, fürchten aber auch, bestehende Normen könnten ausgehöhlt werden.
Das Inspection Panel stellte fest, dass Weltbank-Kredite mehr an Erlösen aus dem Holzeinschlag in der Demokratischen Republik Kongo als am Schicksal der Menschen, die vom Wald abhängen, ausgerichtet waren: Holz wird in Flößen flussabwärts transportiert. Biosphoto/Gunther Michel/Lineair Das Inspection Panel stellte fest, dass Weltbank-Kredite mehr an Erlösen aus dem Holzeinschlag in der Demokratischen Republik Kongo als am Schicksal der Menschen, die vom Wald abhängen, ausgerichtet waren: Holz wird in Flößen flussabwärts transportiert.

Die Weltbank hat bereits Konsultationen mit Regierungen, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft begonnen. Die Überarbeitung ihrer Safeguards, wie ihre verbindlichen Umwelt- und Sozialstandards heißen, verdient breite Aufmerksamkeit. An diesen Richtlinien orientieren sich nämlich auch viele andere multilaterale, bilaterale und privatwirtschaftliche Institutionen.

Safeguards sind untrennbar mit Armutsbekämpfung verbunden. Ob und wie Umwelt- und Sozialstandards angewendet werden, hat unmittelbare Folgen für das Leben ganzer Bevölkerungsgruppen, die oft sowieso schon benachteiligt sind. Wenn Safeguards nicht eingehalten werden, führt vermeintliche Entwicklung oft zu irreversibler Umweltzerstörung, grobem Unrecht und sozialem Elend. Beispiele bieten der Bau großer Staudämme, die Ausbreitung von industriellem Agribusiness, oder die Ausbeutung von Bodenschätzen.

Konsequent implementiert würden die Safeguards viel Schaden verhindern. Deshalb müssen sie deutlich strenger als bisher gehandhabt werden. Bei Zwangsumsiedlungen stellte die Unabhängige Evaluierungsgruppe (Independent Evaluation Group – IEG) der Weltbank 2010 fest, dass von der Bank finanzierte Programme zu jedem Zeitpunkt mehr als eine Millionen Menschen akut beträfen. Meist würden diese gezwungen, ihr Zuhause oder ihr Land zu verlassen. Die Safeguards erfordern, dass die betroffenen Menschen zu Umsiedlungsoptionen konsultiert werden, dass ihnen besserer Wohnraum angeboten wird und sie auch alle sonstige Unterstützung bekommen, die sie brauchen, um sich eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Das alles bleibt aber viel zu oft aus.  

Safeguards spielen eine fundamentale Rolle dabei,  die Weltbank zur Rechenschaft zu ziehen. Haben Betroffene den Eindruck, die Bank verstoße gegen ihre eigenen Richtlinien, können sie beim Inspection Panel, einem unabhängigen Gremium der Weltbank, Beschwerde einlegen. Das Mandat des Inspection Panel ist es, die Einhaltung der Safeguards zu überprüfen. Ohne verbindliche Regeln hätte das Panel keine Existenzberechtigung. Zurzeit hat die Bank zehn Safeguard-Richtlinien, sechs  dienen dem Umweltschutz und zwei befassen sich mit sozialen Aspekten (Indigene Völker und Zwangsumsiedlungen . Hinzu kommen zwei Safeguards, die Rechtsfragen (internationale Wasserwege und umstrittenen Gebiete) betreffen. Überarbeitet werden nur die Sozial- und Umweltstandards.


Mangelnde ­Berichterstattung

Die Safeguards sind seit 1989 organisch ausgebaut worden. Allerdings hat die Weltbank ihre Anwendung in der Praxis ungenügend begleitet und dokumentiert. Die Berichterstattung über die sozialen und ökologischen Auswirkungen der von ihr geförderten Programme ist meist unzureichend. Die Safeguard-Review bietet eine Chance diese fundamentalen Defizite anzugehen. Zudem muss mit institutionellen Anreizen und geeigneten internen Strukturen dafür gesorgt werden, dass die Safeguards im gesamten Verlauf eines Vorhabens und nicht nur in der Planungsphase beachtet werden.

Die Safeguards gelten nur für zwei Zweige der Weltbankgruppe: für die International Bank for Reconstruction and Development (IBRD), die Länder mit mittleren Einkommen mit Krediten versorgt, und die International Development Association (IDA), die vergünstigte Darlehen an Länder mit niedrigem Einkommen vergibt. IBRD und IDA finanzieren vor allem den öffentlichen Sektor, doch Mischfinanzierungen für Public-Private-Partnerships nehmen zu.

Die International Finance Corporation (IFC) und die Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA) – die Weltbankzweige, die auf den Privatsektor ausgerichtet sind – haben eigene Umwelt- und Sozialstandards. Diese Regeln wurden bereits in einem Review-Verfahren überarbeitet. Sie decken mehr ab als die Safeguards und schließen beispielsweise die Kernarbeitsnormen der ILO (International Labour Organisation) ein.

Die IFC/MIGA-Richtlinien haben einen entscheidenden Schwachpunkt. Potenziell negative Umwelt- und Sozialauswirkungen werden fast ausschließlich von den privatwirtschaftlichen Kunden selbst bewertet, ohne dass dabei ein unabhängiges Monitoring oder angemessene Berichterstattung gewährleistet ist. (siehe E+Z/D+C 2011/11, S. 413). Eindeutig sind aber diejenigen, die von IFC- oder MIGA-Finanzierungen profitieren, nicht die beste Instanz, um mögliche Schäden ihrer Investitionen selbst zu überwachen. Die IEG hat bereits darauf hingewiesen, dass dieser Zustand unbefriedigend ist (IEG 2011).

Zivilgesellschaftliche Organisationen begrüßen die Überarbeitung der Safeguards. Sie sehen den Review-Prozess als Chance, die Regeln zu verbessern und sie auf weitere Bereiche auszudehnen, wie Geschlechtergerechtigkeit, Arbeitnehmerrechte, Behindertenrechte und das Prinzip, dass Entwicklungsvorhaben der freiwilligen, vorherigen und informierten Zustimmung („free, prior and informed consent“) der indigenen Bevölkerung bedürfen. Dieses Prinzip wurde 2007 in der UN Deklaration zu den Rechten Indigener Völker rechtlich verankert. Die IFC hat es übernommen – und die Weltbank muss das auch tun.

Eine weitere zivilgesellschaftliche Forderung ist, dass die Safeguards für sämtliche Arten von Weltbankkrediten gelten müssen, und nicht nur für Projektfinanzierungsmittel. Dieses Instrument verliert ohnehin an Bedeutung. Die Weltbank setzt nämlich zunehmend auf „Development Policy Loans“ und ähnliche Instrumente. Dabei geht es vor allem um Budgethilfe, bei der die Bank Regierungen Geld leiht, damit diese mit ihrem Haushalt Reformen umsetzen können. Diese Art von Budgethilfe hat oft eine unmittelbare Wirkung auf die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen wie Wäldern oder Bodenschätzen. Da gerade hier massive Auswirkungen für Umwelt und Gesellschaft erwiesen sind, ist es Unfug, die Budgethilfe von den Safeguards auszunehmen.  

Dafür gibt es empirische Belege. Weltbank-Mittel sollten beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) Reformen im Forstsektor unterstützen. Wie das Inspection Panel später feststellte, zielten die Kredite aber vor allem auf Erlöse aus dem Holzeinschlag ab und vernachlässigten rund 40 Millionen Menschen, deren Lebensgrundlage zum großen Teil vom Wald abhängt.
Die Weltbank intensiviert außerdem ihre Kreditvergabe über intermediäre Finanzinstitute. Auch dieses Verfahren muss künftig den Umwelt- und Sozialstandards unterliegen. Aus gutem Grund fordert selbst die IEG (2011) einheitliches Vorgehen der Bank bei allen Instrumenten. Anders können ökologische und soziale Nachhaltigkeit auch nicht erreicht werden. Leider fand diese Forderung der Weltbank-eigenen Evaluierer bisher kein Gehör. Derzeit sieht es auch so aus, als werde das Review-Verfahren dieses Thema nicht angehen und sich nur auf die Projektfinanzierung beschränken.


Konkurrenz aus Schwellenländern

Zivilgesellschaftliche Organisationen befürchten, dass die nächste Generation der Safeguards schwächer ausfallen könnte als die heutige. Denn die Weltbank konkurriert zunehmend mit Akteuren aus aufstrebenden Schwellenländern, die – wie etwa die China Development Bank – keine vergleichbaren Umwelt- und Sozialstandards haben. In diesem Kontext mögen die Safeguards manchen als wenig mehr als zeitraubende Hürden erscheinen. In der Realität sind sie aberwichtig, um die Nachhaltigkeit von Entwicklungsvorhaben zu gewährleisten.

Ein weiterer Streitpunkt sind die Kosten, die Umwelt- und Sozialstandards verursachen. Es ist aber längst klar, dass Umweltschäden weit teurer kommen als Prävention. Laut IEG-Untersuchungen (2010) übertraf der geschätzte Nutzen von Umwelt- und Sozialstandards in jedem einzelnen geprüften Fall ihre Kosten.

Zivilgesellschaftliche  Organisationen behagt die aktuelle Weltbankrhetorik nicht, in der zunehmend von Projektbeschleunigung und größerer Risikobereitschaft die Rede ist, wobei offen bleibt, wessen Risiko gemeint ist.  Dabei will die Bank sich zunehmend auf die Umwelt- und Sozialgesetzgebung der Empfängerländer stützen.  Natürlich ist es richtig, Länder dabei zu unterstützen, eigene Systeme für diese Aufgaben zu entwickeln. Zuverlässig können solche Systeme aber erst sein, wenn sie fest etabliert funktionieren. Auf keinen Fall dürfen die so genannten Ländersysteme dazu führen, dass die Weltbank aus der Verantwortung für die Einhaltung ihrer eigenen Regeln entlassen wird.

Institutionen verfolgen – auch in der Entwicklungspolitik – oft eher eng definierte Eigeninteressen. Interne Anreize und Druck sind stark und können die besten Absichten selbst der engagiertesten Mitarbeiter unterminieren. Das kann leicht zur weiteren Marginalisierung armer Gemeinschaften führen. Nachteilige Folgen von Entwicklungsfinanzierung sind keine Seltenheit, sie sind weit verbreitet und treten immer wieder auf.

Während eines Treffens mit regierungsunabhängigen Organisationen versprach der neue Weltbank-Präsident Jim Yong Kim im Oktober in Tokio: „Die Bank wird ihre Standards nicht verwässern.“

Verbindliche Standards  dürfen nicht durch wohlmeinende Prinzipienerklärungen ersetzt werden. Die Weltbank muss die Verantwortung für die Einhaltung der Safeguards wahrnehmen. Diese Verantwortung darf nicht an die Empfängerländer delegiert werden. Die Safeguards sind das, was verbindlichen globalen Umwelt- und Sozialstandards am Nächsten kommt. Diese wichtigen Regeln dürfen nicht für das Eigeninteresse der Weltbank aufs Spiel gesetzt werden.


Korinna Horta arbeitet für die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald.
korinna.horta@gmail.com

 

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