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Die stille Mehrheit muss laut werden

Eine neue globale Studie zeigt: Die überwältigende Mehrheit der Menschen wünscht sich mehr Klimaschutz. Doch viele unterschätzen, wie verbreitet diese Haltung ist.Das 89 Percent Project will das ändern – E+Z ist Teil dieser Initiative.
Klimaprotest in Berlin. dpa/Hannes P Albert
Klimaprotest in Berlin.

Ein riesiger Teil der Menschheit – 89 % – wünscht sich von seinen Regierungen mehr Maßnahmen gegen den Klimawandel. Mehr als zwei Drittel wären sogar bereit, ein Prozent ihres Einkommens abzugeben, um die Klimakrise zu bekämpfen. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Studie der Universität Bonn, in der 130.000 Menschen aus 125 Ländern befragt wurden. 

Menschen in China machten sich mit am meisten Sorgen: 97 % gaben an, ihre Regierung müsse mehr im Kampf gegen den Klimawandel tun. Selbst in den USA waren es drei Viertel der Befragten, die von der Regierung mehr erwarteten – und fast die Hälfte würde auch dort einen kleinen Teil ihres Einkommens für den Klimaschutz abgeben. 

Wenig überraschend ist, dass diejenigen, deren Länder die Auswirkungen der Klimakrise bereits deutlich spüren, sich am stärksten für mehr Maßnahmen aussprechen. Erstaunlicher ist, dass Befragte in reichen Ländern wesentlich weniger häufig bereit waren, ein Prozent ihres Einkommens für Klimaschutz abzugeben.

Die Studie wurde im April 2025 in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht. Ihre Ergebnisse bestätigen mit bemerkenswerter Eindeutigkeit, was bereits frühere Studien nahelegten: Beispielsweise nahmen an einer UN-Umfrage 2024 etwa 75.000 Menschen teil – in Ländern, die 90 % der Weltbevölkerung repräsentieren. Dabei gaben 80 % an, dass sie sich eine Verschärfung der Klimaschutzverpflichtungen ihres Landes wünschten. Für eine Umfrage des Yale Program on Climate Change Communication sollten 2023 140.000 Menschen in 187 Ländern angeben, wie hoch die Priorität des Klimawandels für die Regierung ihres Landes sein sollte. 89 % meinten „sehr hoch“, „hoch“ oder „mittel“.

Gravierende Wahrnehmungslücke

Wenn aber fast alle Menschen auf der Welt der Meinung sind, Klimaschutz brauche höhere Priorität – weshalb übersetzt sich diese Einstellung dann nicht stärker in konkretes politisches Handeln? Immerhin befinden wir uns auf dem besten Weg, das 1,5-Grad-Ziel weit zu verfehlen, und Extremwetterereignisse wie Dürren, Fluten und Waldbrände häufen sich. 

Eine mögliche Antwort darauf liefert die Bonner Studie gleich mit: Die meisten Menschen unterschätzen enorm, wie sehr andere Klimaschutz tatsächlich unterstützen. Der Durchschnitt der 89 % der Klimaschutzbefürwortenden glaubte, nur etwa 43 % ihrer Mitmenschen seien ebenfalls ihrer Meinung. 

Diese Wahrnehmungsverzerrung hat gravierende Auswirkungen. Wer glaubt, mit seiner Haltung allein zu sein, neigt eher dazu, zu schweigen – selbst dann, wenn die eigene Meinung mehrheitsfähig ist. Das führt dazu, dass öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen unterschätzt wird und politischer Druck ausbleibt. Umweltpsycholog*innen sprechen von einer „Spirale des Schweigens“.

Die Bonner Forschergruppe zeigte durch ein Experiment in den USA, das ebenfalls in die Studie einfloss: Wenn Menschen erfahren, dass die Mehrheit in ihrem Land tatsächlich Klimaschutz befürwortet, steigt ihre Bereitschaft, sich zu engagieren – etwa durch Spenden oder politische Beteiligung. Menschliches Handeln ist also auch beim Klimaschutz abhängig von Informationen darüber, wie andere Menschen handeln. Teodora Boneva, eine Autorin der Bonner Studie, zog im Guardian folgende Analogie: Wenn jeder in einer WG sein schmutziges Geschirr spült, macht man es am Ende auch selbst. Lassen die anderen alles liegen, ist es einem selbst auch irgendwann egal.

Fachleute sind sich sicher: Eines der effektivsten Werkzeuge im Kampf gegen die Klimakrise ist gezielte Kommunikation, die die bestehenden Wahrnehmungslücken überwindet. Das Problem ist, dass die elf Prozent der Weltbevölkerung, die sich gegen Klimaschutz aussprechen, wesentlich lauter sind und die öffentliche Meinung dominieren. Dadurch verstärkt diese Minderheit ihre Stimme um ein Vielfaches und erweckt den Eindruck, viel größer zu sein. 

Kommunikation

Lost in acronyms

Die stille Mehrheit aktivieren 

Genau hier setzt das 89 Percent Project an. Es wurde ins Leben gerufen, um die Lücke zwischen Wahrnehmung und Realität zu schließen. Die Initiative ist Teil des internationalen Mediennetzwerks Covering Climate Now und will dazu beitragen, die „stille Mehrheit“ sichtbar zu machen. Ziel ist es, durch fundierte, datenbasierte Berichterstattung das öffentliche Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Klimaschutz längst nicht nur Thema von suppewerfenden Umweltaktivist*innen ist – sondern ein Anliegen der breiten Bevölkerung in allen Weltregionen.

Covering Climate Now (CCNow) wurde 2019 vom Columbia Journalism Review und der US-Zeitschrift The Nation gegründet, in Zusammenarbeit mit dem Guardian und dem US-Radiosender WNYC. Heute umfasst das Netzwerk mehr als 500 Medienpartner in über 60 Ländern, von großen Nachrichtenportalen bis hin zu lokalen Community-Medien. Auch E+Z ist seit diesem Jahr CCNow-Medienpartner. Das Ziel: Die Klimakrise soll nicht in einem bestimmten Silo behandelt werden, sondern umfassend, zugänglich und kontinuierlich – um das Publikum nachhaltig zu aktivieren. Dafür bietet das Netzwerk redaktionelle Ressourcen, Fortbildungen, gemeinsame Berichtsprojekte und Plattformen für journalistischen Austausch.

Reaktivierung von Klimamaßnahmen

Die eine Sache, die uns alle betrifft

Die zentrale Botschaft des 89 Percent Project ist klar: Klimaschutz ist global mehrheitsfähig. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Mehrheit sichtbar zu machen, damit sie politisch wirksam werden kann. Dabei kommt den Medien eine entscheidende Rolle zu. Wer erzählt, dass wir nicht allein sind mit unserer Sorge um unser Leben auf einem immer wärmeren Planeten, stärkt das Vertrauen in kollektives Handeln. Und dieses Vertrauen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dieses Leben zu erhalten.

Link
89percent.org 

Katharina Wilhelm Otieno ist Redakteurin bei E+Z und arbeitet zeitweise in Nairobi. 
euz.editor@dandc.eu 

Dieser Beitrag ist Teil des „89-Prozent-Projekts“, einer Initiative der globalen Medienkooperation „Covering Climate Now“.

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