Infrastruktur

Wenn der Himmel weint

Abdulkarim Ahmed Guleid lachte still in sich hinein. Das war im Oktober in Jijiga, im Osten Äthiopiens. Da erzählte er auf Deutsch, dass er in den 70er Jahren in der Bundesrepublik studiert habe: „Ich kann mich nur freuen über den vielen Regen. Wir haben in der langen Dürre so sehr auf Regen gewartet, und jetzt ist er gekommen!“


[ Von Rupert Neudeck ]

Für Abdulkarim Ahmed Guleid war es ein Segen. In seiner Region, man nennt sie „Somali Regional State“, hat der Regen keine Überschwemmung verursacht. Im Gegenteil: Er hat die 13 existierenden großen Wasserdämme, die hier von Guleids Organisation „Hope for the Horn“ gebaut wurden, komplett mit Wasser vollaufen lassen. Diese Dämme sorgten in den Monaten darauf nicht nur für die Begrünung der Wüste und die Bewässerung der großen Mais- und Hirsefelder. Auch die Tierherden und nicht zuletzt die Menschen haben genügend Wasser.

Früher war das noch anders: Da wurden zwar Brunnen gebohrt, doch dies wurde blind getan. Die Konsequenz war fatal. Man hat schließlich gemerkt, dass die Brunnen gerade in der Sahelzone oft den Grundwasserspiegel dramatisch absenken. Denn auch das Wasser ist eine begrenzte Res­source, vor allem das Grundwasser in der Wüste. Deshalb hat Guleid auch die Organisation „Hope for the Horn“ gegründet und dabei ganz auf erneuerbares Regenwasser gesetzt. Eine Wüste hat er dadurch wieder zum Blühen gebracht.

Eigentlich ist Abdulkarim Ahmed Guleid ein Bauer. Mit Hilfe eines Stipendiums kam er dann nach Deutschland, wo er Betriebswirtschaft studierte. Nach dem Abschluss des Studiums in Dortmund bewarb sich Abdulkarim bei Siemens. Aufgrund seiner hervorragenden Kenntnisse wurde er dort dann auch gleich eingestellt. Siemens wollte ihn dann sogar zum Leiter eines Landesbüros in einem erfolgsträchtigen arabischen Land machen.

Damals, es war im Jahr 1980, begann jedoch die Tragödie der Ogaden-Flüchtlinge. Zu Zigtausenden strömten sie aus dem äthiopischen Ogaden nach Somalia hinein. Guleid ging deshalb in Deutschland von Tür zu Tür, suchte Verbündete für sein Vorhaben. Er wollte für die Menschen in Nord-Somalia etwas tun.

Dort hat er dann fünf Jahre lang für eine deutsche Hilfsorganisation gearbeitet. Danach wollte er seinen Landsleuten zeigen, dass man auch in Wüstengegenden von der Arbeit der eigenen Hände leben kann. Er wurde Landwirt und baute einen großen Damm – ein „water catchment“ in der Nähe von Hargeysa, der Hauptstadt von Nord-Somalia.

Das Chaos in seinem Ursprungsland Somalia und Somaliland war bald aber nicht mehr aufzuhalten. Der Staat war zusammengebrochen. Eine ernstzunehmende Regierung gab es nicht mehr. Guleid ließ sich deshalb in Äthiopien nieder. Hier war er schon zu Zeiten Kaiser Haile Selassies erfolgreich aktiv gewesen. Immerhin war er einer der ersten Somalis, die die Ehren der Offiziere in der kaiserlich-äthiopischen Armee genießen konnten.

Abdulkarim Guleid wurde Bürger Äthiopiens und gründete eine Hilfsorganisation für die Nomaden und Halbnomaden in der ostäthiopischen Provinz. Er weiß um seine Wurzeln, ist er in seiner Familie doch auch als Nomade groß geworden. Vor einigen Jahren wurde er sogar für den Bezirk Gashamo in der Somali-Provinz in das äthiopische Parlament gewählt, wo er bis heute sitzt.

Alte Techniken des Wassersammelns

Für den frommen Muslim war klar: Das größte Problem der Menschen im Osten Äthiopiens war das Wasser. Deshalb suchte er nach alten Techniken des Wassersammelns und Aufbewahrens. So begann Guleid – neben Schulen und einer Klinik – ein gewaltiges Unternehmen aufzubauen. Er bettelte bei den Botschaften in Addis Abeba Geld für Wasserdämme zusammen. Die Baukosten für einen großen Damm belaufen sich auf etwa 150 000 Euro. Jeder der bis heute gebauten 13 Dämme ist gegen das Vieh geschützt. Die Zuleitung des Wassers für das Vieh und die Landwirtschaft ist geregelt.

Am wichtigsten ist aber: Die Dämme werden genossenschaftlich genutzt. Sie gehören nicht einem reichen Großgrundbesitzer oder Junker in der jeweiligen Region, sondern der Allgemeinheit. Die ist auch für die Wartung und Einfriedung zuständig.

Guleid versteht eine Menge von dem „Pastoral Development“, der Entwicklung der Nomaden. Vor zehn Jahren war die Lage in der Region aussichtslos. Der Alphabetisierungsgrad im Gashamo-Distrikt lag bei 0,5 Prozent, inzwischen ist er auf 20 Prozent angestiegen. Das nächste Krankenhaus lag 375 km entfernt – auf einer ungeteerten Piste, einem Feldweg. Doch immerhin sind mittlerweile eine ganze Reihe von Krankenstationen und veterinärmedizinischen Ambulanzen entstanden.

Auch die Wassersituation war vor zehn Jahren katastrophal: Vieh und Menschen tranken aus derselben Quelle, die oft versiegt war. Heute dagegen sind Dämme, Tankwagen für Wasser und Zisternen verfügbar. Dennoch müssen die Nomaden in einer Trockenperiode immer noch rund 50 Kilometer mit ihrem Vieh wandern. Zwar sei alles viel besser geworden, sagt Guleid, aber wirklich gut sei es noch nicht. Der Äthiopier und seine Wasserfachleute bei „Hope for the Horn“ haben sich über das viele Wasser deshalb unheimlich gefreut. Im Oktober 2007 waren die Dämme noch leer. Man spürte: Jetzt muss der Regen kommen. Und so war es dann. Wenige Tage später brachte ein Wolkenbruch das lang ersehnte Wasser.

Der Regen hat in Afrika aber auch katas­trophale Auswirkungen. Eine Dürre wird oft von Überschwemmungen abgelöst. Das liegt an der fehlenden Infrastruktur in ländlichen Regionen. Wasser wird weder kanalisiert noch gespeichert. Deshalb wurden Niederschläge bislang oft als Unglück gesehen. In der Sahel-Zone heißt es sprichwörtlich: „Der Himmel weint.“

In Hartechek, einem Ort direkt hinter der somalischen Grenze, kann man die Ergebnisse der Arbeit von „Hope for the Horn“ besonders deutlich sehen. In dieser Ebene lagerten in den Zeiten der somalisch-äthiopischen Konflikte (1976 – 1989) Hunderttausende von äthiopischen Flüchtlingen oder Rückkehrern. Diese Flüchtlinge verbrauchten einerseits Wasser. Andererseits fällten sie in der Umgebung jeden Baum und Strauch, um Feuerholz zum Kochen zu bekommen.


Neue Ambitionen

Abdulkarim Ahmed Guleid hat nun einen neuen Plan. Er möchte bis zum Jahr 2015 die Nahrungs- und Wassersicherheit für die Nomaden, die inzwischen zu Halbnomaden geworden sind, um einiges erhöhen. Deshalb hat er mit seinen äthiopischen Fachleuten einen Plan ausgearbeitet, den sie – ohne auf ausländische Experten angewiesen zu sein – auch selber ausführen können. Die einzige Sorge, die Guleid umtreibt: Er braucht Geld. Seine NGO kann es nicht aus der eigenen Gesellschaft mobilisieren, also braucht er ausländische Subventionen in kleinen Dosen – von einer Stiftung, einer Regierung oder der EU.

Die Lebensbedingungen der Hirten und Kleinbauern in dieser wüstenähnlichen Gegend waren immer hart. Das Wetter ist wenig vorhersehbar. Dürren und Fluten erlebten die Menschen als Gottesurteile. In dieser Gegend hat der mittlerweile 64 Jahre alte Abdulkarim Ahmed Guleid auch noch eine Baumschule gegründet. Über 700 000 Setzlinge hat er schon in der Region verkauft oder verschenkt und einen Teil der Wüste damit wieder zum Leben erweckt.

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