Fake News

Erst denken, dann teilen

Die Nachrichtenflut im Internet nimmt stetig zu, und die Anbieter buhlen um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Die einen wollen schlicht ihre Klickzahlen erhöhen, andere gezielt manipulieren. Echte Nachrichten von Fake News zu unterscheiden, ist nicht einfach. Klare rechtliche Bedingungen und Transparenz sind unabdingbar – ebenso wie eine kritische Herangehensweise der Nutzer.
In Zeiten von Fake News gewinnt seriöser Journalismus wieder an Bedeutung – sowohl online als auch in der analogen Welt. Zeitungskiosk in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. kd In Zeiten von Fake News gewinnt seriöser Journalismus wieder an Bedeutung – sowohl online als auch in der analogen Welt. Zeitungskiosk in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh.

„Die beste Verteidigung ist ein kritischer Verstand“, lautet die Analyse des EU-Kommissars für die Sicherheitsunion, Julian King, im Kampf gegen gezielte Desinformation. Denn er sieht in der Förderung der Medienkompetenz von Bürgern die erste Verteidigungslinie gegen eine regierungsgestützte, prorussische Desinformationskampagne, die sich gegen die EU und ihre Mitgliedsstaaten richtet.

Natürlich sind auch Politik, Medien, NGOs und Fact-Checker gefragt, doch die wichtigste Aufgabe liegt bei uns allen. Wer erst denkt und dann Inhalte weiterleitet, hilft bei der Problemlösung. Leider liegt im schnellen Konsum massenhafter Informationshäppchen das Wesen sozialer Medien. Dieser Umstand begünstigt die Verbreitung von Desinformation, Halbwahrheiten und Lügen.

„Pope Francis shocks world, endorses Donald Trump for president, releases statement“ – diese frei erfundene Meldung von der angeblichen Unterstützung des Papstes für Donald Trump war mit 960 000 Interaktionen die erfolgreichste Facebook-Meldung in den drei Monaten vor der US-Präsidentschaftswahl 2016, wie Buzzfeed herausfand. In einer Analyse zeigte das Medienunternehmen darüber hinaus, dass während dieser kritischen Phase die 20 erfolgreichsten Falschmeldungen von unseriösen Webseiten oder Blogs mehr als 8,7 Millionen Interaktionen hervorriefen. Die 20 erfolgreichsten Meldungen von großen Nachrichtenseiten schafften es in der gleichen Zeitspanne gemeinsam nur auf 7,4 Millionen Interaktionen.

Ob derlei Nachrichten Wähler in ihrer Entscheidung nachhaltig beeinflusst haben und wenn ja, wie viele und wie sehr, ist nicht bekannt. Kurz nach der Überraschungswahl von Trump hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg es noch als „verrückte Idee“ bezeichnet, dass seine Plattform zum Wahlergebnis mit beigetragen haben soll. Nachdem der Aufklärungsdruck zur russischen Einmischung via Social Media jedoch merklich zunahm, relativierte er diese Einschätzung und versprach, dass seine Plattform noch engagierter gegen Fake News vorgehen werde. Allerdings sei das Hauptproblem dabei häufig nur schwer lösbar. Die Unterscheidung zwischen gänzlich wahr und gänzlich unwahr sei in der Regel verhältnismäßig einfach zu treffen – anders sieht es aber aus, wenn eine Information zum Großteil stimmt, jedoch Details verändert oder weggelassen werden.


Empörung als Erfolgsrezept

Ein deutsches Beispiel aus dem Jahr 2016: In der Adventszeit berichtet die deutsche Ausgabe der Huffington Post, dass eine Woolworth-Filiale in Dortmund ab sofort keine Weihnachtsartikel mehr verkaufe. Die vermeintliche Begründung folgt in der dritten Zeile: „Eine Verkäuferin der Filiale soll laut Medienberichten gesagt haben: ‚Wir sind ein muslimisches Geschäft, wir wollen keine Weihnachtsartikel verkaufen.‘“ Wer nur den Artikel liest und nicht das beigestellte Video bis zum Schluss anschaut, erfährt nicht die wahren Beweggründe des Unternehmens. Zwar hat Woolworth die Weihnachtsartikel tatsächlich aus der Filiale entfernt, diese jedoch allein wegen der schleppenden Nachfrage auf umliegende Häuser verteilt. Laut einer Untersuchung des Magazins Vice konnten die von der Huffington Post genannten „Medienberichte“ nicht belegt werden. Mehr als 600 Mal wurde die dazugehörige Meldung jedoch geteilt – ein PR-Erfolg für die Facebook-Seite der Huffington Post.

Facebook hat mehr als 2 Milliarden Nutzer. Die Flut an Informationen nimmt stetig zu, allein die Aufmerksamkeit ist endlich: Innerhalb von 1,7 Sekunden entscheidet sich, ob ein mobiler Facebook-Nutzer mit einem Inhalt in seinem Newsfeed interagiert. Ein reißerischer Titel ist im Empörungswettbewerb oftmals ausreichend, um geteilt zu werden. So ziehen Falschmeldungen und Desinformationen immer größere Kreise.

Die Vice-Analyse kürte aus den reichweitenstärksten Nachrichtenseiten mit Vollredaktionen die „Champions der Desinformation“ – auf den ersten drei Plätzen landeten Sputnik DE, Huffington Post DE und RT Deutsch. Bei 42 bis 47 Prozent der untersuchten Facebook-Postings dieser drei Plattformen handelte es sich um falsche oder zumindest irreführende Informationen. In Zeiten, in denen nicht nur die britische Premierministerin Theresa May Russland vorwirft, sich in Wahlen und Referenden einzumischen und in aller Welt Meinungen zu manipulieren, rücken Kreml-nahe Plattformen wie Sputnik und RT besonders in den Fokus. Experten fürchten, Desinformation könne die demokratische Grundordnung auch in Deutschland destabilisieren.

Russland spielt hierbei eine besondere Rolle. Eine Analyse des Institute for Strategic Dialogue und der London School of Economics ergab, dass im Bundestagswahlkampf 2017 neben internationalen Rechtsextremisten-Netzwerken vor allem Kreml-nahe Medien versucht haben, bestehende „Spalt-Themen“ zu akzentuieren. Dass derlei Aktivitäten maßgeblichen Einfluss auf das Wahlergebnis hatten, ist bislang nicht bekannt.

Jedoch können sie eine Eigendynamik entwickeln und den Vorwurf anheizen, „die Medien“ würden nicht frei berichten oder sie würden durch die Politik manipuliert. Seit Jahren spüren traditionelle Medienhäuser zunehmende Ablehnung an den politischen Rändern. Wird Wahrheit relativiert und werden die „Mainstreammedien“ verunglimpft, führt das zu Verunsicherung, wie das Ende Januar 2018 erschienene „Edelman Trust Barometer“ aufzeigt. Anfangs wurde das Phänomen von Falschinformationen im Internet noch belächelt, doch inzwischen geben laut dieser jährlich erscheinenden Studie sieben von zehn Menschen weltweit an, Angst vor Fake News zu haben.


Klassischer Journalismus wieder gefragt

Während das Vertrauen in Suchmaschinen und soziale Medien gesunken ist, gewinnt der traditionelle Journalismus jedoch wieder an Vertrauen. In 21 von 28 untersuchten Ländern gaben Befragte an, Traditionsmedien mehr zu vertrauen als Google, Facebook und Co. Offenbar sehnen sich viele Menschen verstärkt nach Fakten und Einordnung von Profis, die ihr Handwerk verstehen.

Wie aber schützt sich eine Demokratie, deren Grundwerte wie Toleranz, Meinungs- und Pressefreiheit sie gleichzeitig angreifbar machen, vor massenhafter Falschinformation im Cyberraum? Natürlich ist hier zuvörderst die Politik gefragt. In Deutschland gilt seit kurzem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Facebook und Co. dazu zwingen soll, Hass, Fake News und offensichtliche Gesetzesverstöße in kurzer Zeit von ihren Plattformen zu verbannen.

Gesetzliche Maßnahmen wie diese setzen die Plattformbetreiber zwar unter Druck, doch es gibt auch begründete Kritik an solchen Lösungen. Denn was sind etwa „offensichtliche“ Gesetzesverstöße? Nicht alles, was verletzend, erfunden oder dumm ist, ist zwingend illegal. Und wird die Ahndung von Gesetzesverstößen nicht faktisch privatisiert, wenn nicht Gerichte, sondern Unternehmen über die Rechtmäßigkeit von Inhalten entscheiden? Und besteht nicht die Gefahr, dass im Zweifel schwierige Inhalte vorauseilend gelöscht werden, die eine Meinungsvielfalt lebende Gesellschaft eigentlich aushalten sollte? Um das eine Ziel zu erreichen, ohne das andere aufzugeben, muss die öffentliche Diskussion um diese Fragen weitergehen.

Wichtige Schritte wurden bereits unternommen. Die EU-Kommission hat eine „High-Level Group on Fake News and Online Disinformation“ ins Leben gerufen, die aus internationalen Vertretern von NGOs, Medien und Forschern besteht. Ihre Empfehlungen sollen in eine umfassende EU-Strategie zur Bekämpfung von Fake News einfließen. Wie bei anderen Fragestellungen auch muss Europa bei den problematischen Begleiterscheinungen der Digitalisierung an einem Strang ziehen, da diese nicht an Landesgrenzen haltmachen.

Die traditionellen Medien müssen in ihrer Arbeit noch transparenter werden. Fact-Checking wird heute bereits in vielen Fällen durch ganze Teams vorgenommen, um Fake News und Desinformation offenzulegen. Redaktionen dürfen jedoch nicht müde werden, einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber immer wieder transparent zu machen, welche journalistischen Kriterien darüber entscheiden, was eine Nachricht wird, was nicht und warum. Nur so kann dem Vorwurf erfolgreich begegnet werden, die „Lügenpresse“ sei tendenziös und versuche, bestimmte unbequeme Wahrheiten in der Berichterstattung zu unterdrücken.

Am Ende kommt es auf jeden einzelnen von uns besonders an. Wie im Straßenverkehr müssen mündige Bürger in einer digitalisierten Welt von klein auf lernen, sowohl mit den Vorzügen als auch mit den Gefahren, die diese Technologie mit sich bringt, möglichst sicher umzugehen. Erst schauen, dann gehen – oder anders ausgedrückt: erst denken, dann teilen!


Benjamin Gaul ist Koordinator für Social-Media-Strategien der Konrad-Adenauer-Stiftung.
benjamin.gaul@kas.de

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