Krisenstaat

Auf eigene Gefahr

In Sachen Sicherheit sind viele Entwicklungshelfer in Afghanistan auf sich allein gestellt. Selbst abwägen und entscheiden, so lautet die Devise. Das gilt nicht nur im Einsatz. Das gilt auch schon davor. Wer nach Afghanistan geht, muss sich der Gefahren bewusst sein und lernen, damit umzugehen.


[ Von Gunda Wiegmann ]

Es gibt viele Gefahren für Entwick­lungshelfer in Afghanistan: Krankheiten oder Verkehrsunfälle zum Beispiel. Sie enden oft tödlich. Wenn über Sicherheitsvorkehrungen für Mitarbeiter von zivilen Organisationen gesprochen wird, dann sind aber oft andere Sicherheitsrisiken gemeint: Anschläge und Entführungen. Die zu verhindern ist vielleicht unmöglich. Trotzdem gibt es einige Grundregeln. Eine davon lautet: Zivile und militärische Operationen müssen strikt getrennt werden. Das gilt auch für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Versuche, die Notwendigkeit des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr zu erklären, gibt es viele. Zu Beginn der Mission sagte zum Beispiel der frühere deutsche Verteidigungsminister Peter Struck, die Soldaten würden am Hindukusch Deutschlands Sicherheit verteidigen. In Zeitungsberichten lesen wir oftmals von einem ­„Peace-Corps-Einsatz in Uniform“ oder von einer „militärischen Feuerwehr“. Manchmal ist auch von einem „bewaffneten Technischen Hilfswerk“ die Rede. Die für mich abwegigste Erklärung ist jedoch diese: Die Bundeswehr ist vor Ort, um Sicherheit zu schaffen, damit Entwicklungshelfer Aufbauarbeit leisten können.

In der Praxis sieht das nämlich anders aus: Da laufen Entwicklungshelfer vor den Soldaten davon. Sie gelten schließlich als Hauptziel von Selbstmordattentätern und Taliban-Kämpfern – vor allem in den Straßen von Kabul. Deshalb halten sich die meisten Entwicklungshelfer von ihnen fern, auch wenn das immer schwieriger wird: Die Militärs fahren oft die gleichen Autos wie die Entwicklungshelfer – weiße Geländewagen.
Ein weiterer Grund für die Distanz zum Militär ist die „No-Arms-Policy“. Viele zivile Entwicklungsorganisationen verbieten die Präsenz von Waffen – vor allem auf dem Bürogelände. Doch dieses Prinzip durchzusetzen ist gar nicht so einfach. Als ich in Kabul für eine deutsche NGO arbeitete, bekamen wir einmal Besuch von einem Bundeswehr-Offizier. Dieser legte, unseren Regeln entsprechend, seine Waffe ab. Dies tat er aber hinter dem Eingangstor und nicht davor. Für Außenstehende, unsere Nachbarn zum Beispiel, sah es also aus, als würde der Besucher das Gelände bewaffnet betreten. Hier findet also schon eine Vermischung von ziviler und militärischer Arbeit statt, und das ist meiner Meinung nach sehr gefährlich.

Generell ist der Umgang mit Sicherheitsfragen natürlich schwierig. Schließlich will und kann niemand die volle Verantwortung für einen Einsatz ziviler Mitarbeiter übernehmen. Ständig über Gefahren zu reden, könnte unnötig Unsicherheit auslösen, und das sollte somit vermieden werden.

Ein Sicherheitstraining hätte dagegen aber durchaus seine Berechtigung. Ich persönlich war zwei Jahre lang in einem Konfliktgebiet im Einsatz, habe aber nur ein Sicherheitstraining zum Umgang mit Minen gemacht. Mehr Kurse sind bestimmt hilfreich.


Im Konvoi über Land

Vor Ort sahen die Sicherheitsvorkehrungen dann oft so aus: Man fuhr im Konvoi über Land – mindestens zwei Geländewagen, das war Pflicht. Doch auch da gab es Unterschiede. Diese Sicherheitsregelung galt nämlich nur für westliche Ausländer – für Deutsche oder Australier zum Beispiel. Afghanen und ihre Nachbarn, also Pakistanis oder Tadschiken, fuhren mit dem Taxi durch das Land. Auch ich hätte lieber diese öffentlichen Verkehrsmittel benutzt und damit ein „low profile“ bewahrt.

Dass es besser ist, wenig Aufmerksamkeit zu erregen, zeigte sich bei einem Vorfall in Kabul. Dort war es im Mai 2006 zu Unruhen gekommen, nachdem ein Militärfahrzeug der Internationalen Afghanistan-Mission einen Jungen überfahren hat. Aufgebrachte Menschen randalierten tagelang und attackierten dabei auch die Büros ausländischer Organisationen. Uns hatte der Fahrer des Büros gerettet. Er stand an der Straßenecke, als der Mob kam, und sagte, das Haus gehöre „nur“ einem Afghanen. Daraufhin verschwand die aufgebrachte Menge wieder. Die Loyalität der lokalen Mitarbeiter und die Anonymität – wir hatten vorher das Namensschild der Organisation vom Haus genommen – waren unsere Retter.
Nun behaupten viele, in Afghanistan wird es immer gefährlicher. Ich selbst hatte nicht das Gefühl, dass dies der Fall war. Meiner Meinung nach änderte sich nicht die Sicherheitslage, sondern eher die Wahrnehmung. Ständig wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, andauernd gab es Warnungen. Als ich für eine andere Organisation arbeitete und diese Meldungen nicht mehr bekam, fühlte ich mich sicherer.

Wenn dann doch etwas passiert, ein Anschlag oder eine Entführung, dann wird sofort eine Ausgangssperre verhängt. Dabei wären präventive Sicherheitsmaßnahmen, wie zum Beispiel Vertrauensbildung viel wichtiger. Die Sprache der lokalen Bevölkerung zu lernen, könnte eine solche Maßnahme sein. Eine Mitarbeiterin einer deutschen politischen Stiftung hatte es einmal in einem Zeitungsinterview so ausgedrückt: Sie glaube, dass ein freundliches Verhältnis zu den afghanischen Nachbarn mehr Sicherheit schaffe als ein hoher Stacheldrahtzaun.

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