Gesundheitswesen

„Wir haben keine Wunder vollbracht“

Theoretisch könnten Generikaproduzenten Entwicklungsländer mit allen Medikamenten zur medizinischen Grundversorgung beliefern. Die Praxis sieht aber anders aus. Zafrullah Chowdhury erläutert die Dinge im Gespräch mit Hans Dembowski.


[ Interview mit Zafrullah Chowdhury ]

Auf ihrem Doha-Gipfel genehmigte die Welthandelsorganisation (WTO) 2001 Entwicklungsländern die Zwangsvergabe von Lizenzen zur Produktion patentierter Medikamente, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. So sollte Mangel an Pharmaka verhindert werden. Warum herrscht trotzdem Mangel?
Viele Entwicklungsländer, speziell die besonders armen, verfügen nicht über die Technologie, Medikamente herzustellen. Bangladesch ist eines der wenigen mit einer vollwertigen Pharmaproduktion. Die WTO-Regeln zu geistigen Eigentumsrechten erlauben uns, Medikamente zur medizinischen Grundversorgung ohne Einschränkungen bis 2015 herzustellen. Ich hoffe, das wird bis 2025 verlängert. Die geringst-entwickelten Länder – kurz LDCs genannt – sollten vorher nicht gezwungen werden, Patente für Arzneimittel einzuhalten.

Die WTO-Regeln erlauben Regierungen dieser Länder auch Zwangslizenzen im Ausland zu vergeben, damit sie Medikamente preisgünstig importieren können. Warum fehlt es trotzdem in vielen Entwicklungsländern an Arzneien?
Theoretisch ist es kein Problem im Namen des Gemeinwohls die Zwangslizenz durchzusetzen. Ich finde, die Weltgesundheistorganisation hat nicht genug getan, um den Gebrauch von Generika zu fördern. Viele Regierungen von Entwicklungsländern verstehen das Thema bis heute nicht. Es gibt eine WHO-Liste von über 300 Medikamenten, die zur Behandlung der geläufigsten Krankheiten nötig sind. Patentschutz haben nur noch 80 Prozent davon. Deren Produktion hat also gar nichts mehr mit geistigen Eigentumsrechten zu tun.

Und für Pharmazeutika, deren Patente noch nicht abgelaufen sind, gibt es die Möglichkeit der Zwangslizenz.
Ja, aber die Sache ist verzwickt. Die Herstellung von Generika ist wirtschaftlich nicht sehr attraktiv – in einem Land mit weniger als 20 Millionen Einwohnern ist sie vermutlich nur mit finanziellen Verlusten möglich, es sei denn, die Regierung übernimmt selbst die Produktion. Normalerweise müssen die Grundstoffe importiert werden. Für Hersteller aus Bangladesh sind außerdem in vielen afrikanischen Ländern die hohen Zulassungsgebühren für einzelne Präparate ein großes Hindernis. Das größte Problem bei den Zwangslizenzen ist aber, dass Regierungen, die dieses Instrument nutzen wollen, dem Druck reicher Länder standhalten müssen, die im Sinne der Pharmamultis agieren. Thailand ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich solche Standhaftigkeit auszahlt. Staatsunternehmen haben dort früh begonnen, antiretrovirale Medikamente herzustellen, die das Land braucht, um AIDS zu behandeln.

Zwangslizenzen funktionieren also.
Ja, aber vielen Regierungen von Entwicklungsländern fehlen Wissen und Personal. Viele Politiker verstehen weder die Technik noch die Konsequenzen für das Gesundheitswesen. Sie wissen einfach nicht, dass Generika zwar billiger als Markenprodukte, ansonsten aber genauso gut sind.

In Deutschland bestehen die gesetzlichen Krankenversicherungen oft darauf, dass diegünstigeren Generika verwendet werden.
Ja, das ist in den meisten reichen Nationen so. Aber die Patienten wollen häufig das Markenprodukt, und auch viele Ärzte glauben, dass diese irgendwie besser sind. In den meisten Entwicklungsländern setzt sich niemand dafür ein, Generika den teuren Markenpräparaten vorzuziehen, wie das die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland tun. Aber die multinationalen Konzerne werben für ihre Arzneimittel. Viele Ärzte verschreiben weiter die Medikamente, die sie aus ihrer Ausbildung kennen. Folglich dominieren Markenprodukte den Markt auch nach Ablauf des Patentschutzes. Die WHO muss den Gebrauch von Generika stärker fördern, aber stattdessen konzentriert sie sich auf den Kampf gegen gefälschte Medikamente.

Aber ist das nicht sinnvoll? Gefälschte Arzneimittel sind gefährliche, illegale Nachahmungen.
Nicht unbedingt, sie können genauso gut wie die Generika sein. Wenn ein großer Multi einen lokalen Produzenten beauftragt, sein Markenpräparat herzustellen, ist es verlockend, die Produktionsanlagen einfach länger laufen zu lassen und so die Gewinne gewaltig anzukurbeln. Die Auftragnehmer haben dabei nicht das Gefühl, jemand zu schaden. Die Verpackungen zu kopieren, ist nicht schwierig. Die meisten Fälschungen werden entlang der US-mexikanischen Grenze, in Nigeria oder Indien produziert, wo Multis Markenpräparate herstellen lassen. Die politische Ökonomie ist simpel: Markenprodukte bringen viel höhere Einnahmen.

Geben Sie uns ein Beispiel.
Die Generikaversion von 400 mg des Antibiotikums Ciprofloxacin kostet in Bangladesch etwa 2,50 Taka und das schließt etwa 20 Prozent Gewinn ein. Unter dem Markennamen bringt das Präparat aber 10, 12 oder sogar 14 Taka ein. Anstatt nur 0,50 Taka Gewinn zu machen, springen für den Hersteller bis zu 12 Taka heraus. Das ist der Anreiz. Billige Markenprodukte wie Paracetamol oder Amoxicillin werden nicht gefälscht, nur die teuren Medikamente.

Sie waren an der Formulierung von Bangladeshs nationaler Pharmapolitik in den frühen 80er Jahren beteiligt, dank der Ihr Land heute eine starke Arzneimittelindustrie hat. Was war das Leitmotiv?
Wir wollten Medikamente zur Grundversorgung im Land produzieren. Damit folgten wir dem Beispiel Sri Lankas. 1981 kontrollierten acht multinationale Konzerne 85 Prozent des Pharmamarkts von Bangladesh und die Preise waren sehr hoch. Wir haben keine Wunder vollbracht, sondern auf Vernunft gesetzt. Es hat funktioniert. Die Regierung und der Privatsektor fingen an, Pharmazeutika zu produzieren und die grundlegenden Arzneimittel wurden bezahlbar.

Welche Regeln haben Sie eingeführt?
Sie waren ziemlich einfach, zum Beispiel:
– Medikamente dürfen nur einen Wirkstoff haben, weil das Mischen alles komplizierter macht, aber selten die Wirkung verbessert.
– Grundstoffe müssen im marktwirtschaftlichen Wettbewerb erworben werden, damit Konzerne nicht intern Grundstoffe zu horrenden Preisen weiterverkaufen, was nur für sie selbst sinnvoll ist. Diese Art von Transferpreissetzung wurde strengstens verboten.
– Unternehmen, die Medikamente unter ihrem Namen herstellen und verkaufen wollen, brauchen eigene Produktionskapazitäten im Land. Multis nutzen häufig lokale Fertigungseinheiten anstatt eigene zu bauen. Die Produktion durch Dritte wurde verboten. Wer in Bangladesh Geld mit Markenpräparaten Geld verdienen will, muss investieren und Technologie transferieren.

Also laufen die Dinge jetzt richtig?
Leider wurden einige der Regeln gelockert. 1982 erhielt die Regierung die Verantwortung, die Arzneimittelpreise zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der Produktionskosten gestand sie den Unternehmen Gewinne von etwa 20 Prozent zu. Aber 1994 wurde diese Regel geändert, so dass der Mechanismus der Preiskontrolle nur noch bei 117 Medikamenten, Verhütungsmitteln und Impfstoffen greift. Bei allen anderen Pharmaprodukten geben die Hersteller die Preise vor und die Regierung fügt nur die Mehrwertsteuer hinzu. Dadurch sind die Preise in die Höhe geschossen. Pharmaunternehmen machen riesige Gewinne, während die Verbraucher leiden. Das ist falsch.

War es 1982 schwer, Ihre Regierung zu überzeugen?
Einige ausländische Regierungen – Washington, London, Paris, Amsterdam und Bonn – machten Druck und wollten die Interessen ihrer Pharmakonzerne schützen. Aber Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Gruppen derselben Länder unterstützten uns. In den USA waren das zum Beispiel die National Academy of Sciences und der Verbraucherschützer Ralph Nader, in Deutschland waren es die BUKO Pharmakampagne und die Kirchen. Diese Art von Gegendruck half, unsere Regierung zu überzeugen.

Wie sieht Ihre Beziehung zu den multinationalen Pharmakonzernen heute aus?
Damals gab es Mordanschläge auf mich, sowie Attacken auf Gonoshasthaya Pharmaceuticals. Heute sind die Multis freundlicher und kaufen uns Grundstoffe ab. Im Rückblick wissen sie, dass die National Drugs Policy ihnen nicht geschadet hat. Es stimmt zwar, dass ihr Gewinn pro Tablette gesunken ist, aber Bangladeschs Markt ist so rasant gewachsen, dass alle in unserem Land bald mehr Geld verdient haben als vor der Reform.

In bilateralen Handelsabkommen bestehen die reichen Länder heute oft auf exklusive Datennutzung. „Exclusivity of data“ bedeutet dabei, dass Testergebnisse von patentierten Medikamenten nicht für die Zulassung von Generika herangezogen werden dürfen.
Dieser Ansatz ist unwissenschaftlich und schädlich. Er ist nicht akzeptabel. Die Zulassung von Generika, wenn Patente abgelaufen sind, ist eine altbewährte Praxis. Es gibt keinen Grund, sie zu ändern. Wir dürfen nie vergessen, dass Medizin kein Produkt wie jedes andere ist, sondern ein öffentliches Gut. Der Zugang dazu entscheidet über Leben und Tod. Deshalb hat die WTO sich ja auch auf das Konzept der Zwangslizenzen eingelassen.

Aufgrund seiner riesigen Generikaindustrie wurde Indien zu einer Art Weltapotheke der Armen. Ist das gut so?
Nein, denn die Herstellung von Generika ist, wie bereits erwähnt, wirtschaftlich nicht attraktiv. Privatunternehmen sind immer versucht in den profitableren Bereich abzuwandern, den geistige Eigentumsrechte sichern. Selbst in Indien sind einige Medikamente knapp.

Aktuell kaufen multinationale Konzerne in Indien Generikaproduzenten auf. Gefährdet das die Versorgung Afrikas?
Nein, sie werden weiter Medikamente nach Afrika liefern, aber die Preise steigen wahrscheinlich. Insgesamt bezweifele ich, dass Länder wie Indien oder Brasilien, die entscheidend für die WTO-Entscheidung 2001 waren, weiterhin in gleichem Maße wie damals am Thema interessiert sind. Die LDCs müssen sich schon selbst um ihr Wohl kümmern.

Und Sie raten deren Regierungen zu mehr Selbstbewusstsein?
Ja, denn die Produktion von Generika bedarf keiner Hochtechnologie, sondern ist eigentlich ziemlich einfach. Falls irgendeine Regierung eines Entwicklungslandes in die Produktion einsteigen will, wird Gonoshasthaya Kendra gern kostenlos das Know-how liefern und das Personal schulen. Nur für unsere Reisekosten müsste die Partnerregierung aufkommen.

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