Hungerbekämpfung

Die Krise als Chance

Für viele Menschen in Entwicklungsländern ist die Sorge um das tägliche Brot existenziell. Steigende Nahrungsmittelpreise und Hungeraufstände in einigen armen Ländern haben in den letzten Monaten die internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wie Hunger bekämpft werden kann, ist bekannt. Es ist Zeit, zu handeln.


[ Von Klaus Klennert und Lioba Weingärtner ]

Das Hunger- und Unterernährungsproblem ist nicht neu. Neu und akut ist aber, dass weltweit die Zahl der betroffenen Menschen wieder wächst. Nahrung ist heute so knapp wie zuletzt in den 1970er Jahren. Die aktuelle Hungerkrise ist aber nur die Spitze des Eisberges. Jeder, der es wissen wollte, weiß, dass seit Jahrzehnten Hunderte von Millionen Menschen hungern und unterernährt sind. Deshalb ist die Halbierung des Anteils der Hungernden an der Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2015 zum international vereinbarten Millenniumsentwicklungsziel (MDG) geworden. Seit Jahren mahnt die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, dass es nicht genügend Fortschritte in diese Richtung gebe.

Mit „Hunger“ ist hier Undernourishment gemeint. Wer in diesem Sinne hungert, hat über längere Zeit nicht genug Nahrung für ein gesundes und aktives Leben, auch wenn es für das blanke Überleben reicht. Nach aktuellen Schätzungen der FAO sind weltweit 923 Millionen Menschen betroffen – 98 Prozent davon in Entwick­lungsländern. Fast 150 Millionen Kinder weltweit sind chronisch unterernährt.

In Folge der rasanten Preisanstiege der vergangenen Monate ist die Zahl der Hungernden schätzungsweise um 75 Millionen gestiegen. Betroffen sind vor allem Menschen, die bei Produktion und Einkommen mit den steigenden Preisen nicht mithalten können und schon vor der Krise fast ihr gesamtes Einkommen für Nahrungsmittel ausgeben mussten – also die Mehrheit der Armen und Ernährungsunsicheren weltweit. Dazu gehören auch viele Menschen in ländlichen Regionen. Auch wenn sie oft selbst Nahrungsmittel produzieren, sind viele von ihnen in Entwicklungsländern Netto-Nahrungsmittelkäufer. Der langsame Fortschritt bezüglich Ernährung kehrt sich also derzeit um. Dennoch gibt es ihn. Heute hungern 17 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern; Anfang der 1990er Jahre waren es noch 20 Prozent.

Erfolge im Kampf gegen den Hunger meldete vor allem China. In Subsahara-Afrika bleibt die Herausforderung dagegen besonders groß: Hier hat eine von drei Personen unzureichenden Zugang zu Nahrung. Damit ist die Prävalenz von Hunger in Afrika am höchsten, auch wenn es in absoluten Zahlen im sehr viel bevölkerungsreichen Asien mehr Notleidende gibt.


Lebensmittel und mehr

Zwar zielt die aktuelle Diskussion über Hunger und Unterernährung vor allem auf eine ausreichende Lebensmittelversorgung, aber es geht um weit mehr. Selbst wenn die Menschheit insgesamt genug Nahrung produziert, ist nicht gewährleistet, dass auch alle Zugang dazu haben. Dieser kann über die eigene Produktion im bäuerlichen Betrieb, Kauf auf Märkten, Transferleistungen von Familienmitgliedern oder über Hilfsleistungen der internationalen Gemeinschaft gesichert werden. Diese sozioökonomische Aspekte sind wichtig und verdienen die Aufmerksamkeit der Entwicklungspolitik.

Selbst wenn allen Haushalten ausreichend Nahrung zur Verfügung steht, kann aber die Versorgung einzelner Familienmitglieder immer noch unzureichend bleiben. Oft entsprechen Still- und Abstillgewohnheiten nicht dem natürlichen Bedarf, regelmäßig bekommen Kranke nicht die geeignete Nahrung, die sie gut verwerten können. Dass die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung oft unzureichend und unhygienisch sind, kommt erschwerend hinzu. Klar ist indessen, dass Frauen für die innerfamiliäre Versorgung meist die zentrale Rolle spielen, und dass ihre Position gestärkt werden muss, damit sich die Verhältnisse bessern.

IFPRI, das International Food Policy Research Institute in Washington, hat im Sommer folgende Ursachen der aktuellen Nahrungsmittelkrise benannt:
– veränderte Konsumgewohnheiten in Folge höherer Einkommen mit der Folge, dass mehr Getreide als Futtermittel verwendet wird und so Menschen nicht zur Verfügung steht,
– vermehrte Förderung von Agrartreibstoffen, die ihrerseits in Anbaukonkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen,
– unzureichende Investitionen in die landwirtschaftliche Produktivität und Technologie,
– fehlgeleitete Handelspolitik und niedrige Nahrungsmittelreserven, die Spekulationen nach sich ziehen,
– schlechte Ernten in Folge ungünstiger Witterung und des Klimawandels,
– hohe Kosten für landwirtschaftliche Inputs und Transport aufgrund gestiegener Energiepreise und schließlich
– das Wachstum der Weltbevölkerung.

Diese Stichworte benennen den Handlungsbedarf. Wichtig ist zunächst, akute Notlagen kurzfristig abzufedern. Langfristig müssen die Rahmenbedingungen der Land­wirtschaft so verbessert werden, dass die Produktivität steigt. Die strukturellen Ursachen von Hunger und Unterernährung müssen angegangen werden. Die Förderung einer nachhaltigen Land­wirtschaft im Kontext einer umfassenden ländlichen Entwicklung muss wieder absolute Priorität gewinnen. Hunger herrscht besonders in Regionen, deren Wirtschaftsstruktur die Agrarproduktion prägt. Allerdings zeigen die vielfältigen Ursachen von Hunger und Unterernährung deutlich, dass erfolgreichere Landwirtschaft allein nicht die Lösung ist.

Hauptverantwortlich für die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung sind die nationalen Regierungen der betroffenen Länder. Die internationale Gemeinschaft muss sie dem Bedarf entsprechend unterstützen und dort tätig werden, wo nationale Regierungen versagen. Um der Förderung von Nahrungs- und Ernährungssicherung die notwendige Priorität zu sichern, sind vielfach Verbesserungen der Amts- und Regierungsführung nötig. Zusammen mit nationalen Akteuren in den Partnerländern lässt sich viel bewegen. Da die Hungerproblematik vielschichtig ist, muss die Politik entsprechend komplex darauf reagieren.
Eindimensionale Konzepte und Maßnahmen helfen nicht weiter.

InWEnt ist seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Programmen und Aktivitäten auf diesem Feld tätig. Viele Maßnahmen zur Ernährungssicherung sind sektorspezifisch ausgerichtet, sie betreffen zum Beispiel ländliche Entwicklung oder die Wasserversorgung, andere verfolgen einen integrierten Ansatz der Ernährungssicherung. Wichtig ist dabei die Personalentwicklung. Im InWEnt-Trainingszentrum Feldafing läuft seit dem Jahr 2000 immer wieder der internationale Trainingsworkshop „Food and Nutrition Security – Assessment Instruments and Intervention Strategies“, den InWEnt in Kooperation mit GTZ und Welthungerhilfe (DWHH) konzipiert hat. GTZ und DWHH nutzen ihn, um sowohl ihr eigenes Personal als auch das ihrer Partnerorganisationen weiterzubilden. Auch die FAO macht von dem Programm Gebrauch.

InWEnt engangiert sich zudem im internationalen Politikdialog. Bei der internationalen Konferenz „Assuring Food and Nutrition Security in Africa by 2020“ kamen mehr als 500 Teilnehmer aus über 50 Ländern zusammen, um die aktuelle Situation zu analysieren und angemessene Lösungen zu diskutieren. Auch „International Food Aid Conference“, die das BMZ 2007 im Rahmen der EU-Präsidentschaft durchgeführt hat, hat InWEnt mitgestaltet. Dabei wurden die Neuverhandlung des Nahrungs­mittelhilfeübereinkommens (Food Aid Con­vention) inhaltlich vorbereitet und Schlüsselthemen mit allen relevanten Akteuren erörtert. Im Kontext von„Policies Against Hunger“, einer jährlichen Veranstaltungsreihe der Bundesregierung, unterstützt InWEnt den partizipativen Politikdialog, vor allem zum Thema Recht auf Nahrung.

Dass die Hungerkrise sich noch weiter zugespitzt hat, ist dramatisch. Dass das Thema wieder Aufmerksamkeit genießt, bedeutet aber auch eine Chance. Relevante Lösungsmöglichkeiten sind bekannt und mit dem entsprechenden politischen Willen können notwendige Ressourcen mobilisiert werden. Die nationale und internationale Politik handelt zwar – aber noch nicht entschlossen und schnell genug. Erst mittel- und langfristig wird sich zeigen, ob die Mobilisierung zum Nutzen von rund einer Milliarde Menschen von Dauer ist. Alle Möglichkeiten müssen genutzt werden, um das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen.

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