Internationale Strafjustiz

Unmut über den ­Strafgerichtshof

Afrikanische Regierungen zweifeln die Legitimität des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) an und beschuldigen ihn, ihrem Kontinent gegenüber voreingenommen zu sein. Drei afrikanische Länder haben angekündigt, ihre IStGH-Mitgliedschaft zu beenden. Auch die Afrikanische Union (AU) kritisiert den IStGH seit Jahren – und ihre Argumente sollten Gehör finden. Eine ausgewogene Debatte über die Zukunft der internationalen Strafjustiz ist fällig.
Fatou Bensouda aus Gambia ist Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. picture-alliance/AP Photo Fatou Bensouda aus Gambia ist Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1945 bis 1949 gelten als Wiege des Internationalen Strafrechts. Erstmals wurde gegen Einzelpersonen Anklage wegen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen erhoben. Mehrere Nazi-Führer wurden für schuldig befunden, einige gehängt.

Bis dahin waren nur Staaten, nicht aber Einzelpersonen dem Völkerrecht unterworfen. Ein wichtiges Nürnberger Urteil stellte fest, dass „völkerrechtliche Verbrechen von Menschen begangen werden, nicht von abstrakten Einrichtungen, und das Völkerrecht nur durchgesetzt werden kann, wenn die Personen bestraft werden, die solche Verbrechen begehen“.

Der Internationale Militärgerichtshof Nürnberg legte den Grundstein für die Einrichtung weiterer Tribunale, darunter der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten (Tokyo Tribunal) im Jahr 1946, die Internationalen Strafgerichtshöfe für Ruanda (1994) oder für das ehemalige Jugoslawien (1993). Seit 1998 existiert der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag als ständige Einrichtung.


Internationales Mandat

Das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip gewährt souveränen Staaten die Macht, die Autorität sowie die Rechte und Pflichten, ihr eigenes Volk und Territorium zu verwalten. Die Staaten sind verpflichtet, Personen zu verfolgen, die Straftaten in ihrem Hoheitsgebiet begehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich die internationale Gemeinschaft jedoch in der Pflicht, sich einzuschalten, wenn Staaten nicht in der Lage oder gewillt waren, Täter vor Gericht zu bringen. Die Errichtung internationaler Strafgerichtshöfe – einschließlich des IStGH – beruht auf der Ansicht, dass schwere Straftaten den internationalen Frieden und die Sicherheit gefährden und daher bestraft werden müssen.

Heute steht das Verhältnis der afrikanischen Regierungen zur internationalen Strafjustiz an einem Scheideweg. Burundi, Südafrika und Gambia haben verkündet, den IStGH zu verlassen. Zum Teil aus egoistischen Gründen: Burundis Präsident Pierre Nkurunziza ist offensichtlich verärgert über das Gericht. Nachdem Nkurunziza Anfang des letzten Jahres auf einer dritten Amtszeit bestand, kam es in seinem Land zu gewalttätigen Ausschreitungen. Dazu stellt der IStGH nun Ermittlungen an.

Auch die Afrikanische Union hat den IStGH seit 2009 wiederholt kritisiert, nachdem er den ersten Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir ausgestellt und ihm völkermordartige Gewalttaten in der Region Darfur vorgeworfen hatte. Die Spannungen wuchsen, als Uhuru Kenyatta und William Ruto, die im Zusammenhang mit der Gewalt nach den Wahlen von 2007/2008 in Kenia angeklagt worden waren, 2013 Präsident und stellvertretender Präsident des Landes wurden.

Diese zunehmenden Spannungen sind besorgniserregend, im Hinblick sowohl auf die Entwicklung Afrikas als auch auf das zukünftige Wirken der internationalen Strafjustiz. Einige der schlimmsten Gräueltaten der vergangenen Jahrzehnte wurden in Afrika begangen, meist von Afrikanern selbst, und immer waren Afrikaner die Opfer. Einige der Drahtzieher dieser Gräueltaten wurden zur Rechenschaft gezogen – etwa die Verantwortlichen für die Gewalt während der Apartheid in Südafrika, für den Völkermord in Ruanda und als jüngstes Beispiel Hissène Habré aus dem Tschad.

Natürlich fanden nicht nur in Afrika Gräueltaten statt. Von denjenigen, die in Europa, Asien und Amerika begangen wurden, wurden aber nur einige verfolgt. Das liegt auch daran, dass nur der UN-Sicherheitsrat ein IStGH-Verfahren wegen einer Tat ermöglichen kann, die in einem Land begangen wurde , das kein IStGH-Mitglied ist. So ist etwa Syrien, anders als die meisten Länder Afrikas, nie dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten.

Manche Beobachter erklären die Spannungen zwischen den afrikanischen Regierungen und dem Internationalen Strafgerichtshof damit, dass in Afrika ein anderes Verständnis von „Gerechtigkeit“ vorherrsche als in der internationalen Gemeinschaft. Befürworter dieser Erklärung behaupten, den Afrikanern werde eine „westliche“ Vorstellung von Gerechtigkeit aufgezwungen. Allerdings ist das Konzept der Gerechtigkeit nicht nur in Afrika umstritten, sondern überall. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass einzelne Personen für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen, und dass ihre Opfer Wiedergutmachung verdienen – was jedoch ziemlich schwammig bleibt. Umstritten sind die Details.


Kontroverse Fragen

Nachdem al-Bashir, Kenyatta und Ruto angeklagt wurden – die Anklagen gegen die beiden Letzteren wurden inzwischen zurückgezogen – thematisierte die AU einige heikle Aspekte. Vor allem beanstandete sie, dass die Anklagen die aktuellen Bemühungen um Frieden gefährden und so die Länder weiter destabilisieren könnten.

Da ist etwas dran. Tatsächlich können Strafverfahren Bemühungen beeinträchtigen, Konflikte zu beenden, nationale Einheit herzustellen und Versöhnung herbeizuführen. Klar ist auch, dass Regierungen möglicherweise wichtige Aufgaben nicht mehr erfüllen können, wenn amtierende Staats- und Regierungschefs oder andere hohe Beamte unter Anklage stehen.

Im Fall Kenyatta und Ruto wurde argumentiert, Kenia sei angesichts der Gewalt nach den Wahlen 2007/08 ein fragiler Staat – und dass ohne die Regierungsspitze alles noch viel schlimmer hätte enden können. Folglich solle man gewählte Amtsträger nicht während ihrer Amtszeit vor Gericht stellen. Hier nicht einzugreifen hätte aber bedeutet, dass der IStGH Kenia genau in den Händen der Männer belässt, denen man unterstellt, ihr Land als Verantwortliche für die Gewaltausbrüche destabilisiert zu haben.

Die Ironie war: Beide angeklagten Politiker hatten während des Wahlkampfes 2013 versprochen, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Kaum waren sie im Amt, warfen sie diesem vor, Kenias Souveränität anzutasten. Tatsächlich waren Kenyatta und Ruto in den Jahren 2007/08 Gegner. Dass sie bei den Wahlen fünf Jahre später gemeinsam eine Mehrheit gewannen, gibt den Opfern nicht gerade ein Gefühl der Sicherheit.

Afrikanische Beobachter behaupten, der IStGH nehme Afrika besonders unter die Lupe – was seine westliche Voreingenommenheit widerspiegle. Aus dieser Sicht ist das internationale Strafrechtssystem gespalten: in die reichen und mächtigen Länder und die weniger mächtigen Länder. Der internationalen Strafjustiz wird Heuchelei vorgeworfen.

Teils ist diese Kritik berechtigt. Eine grundlegende Voreingenommenheit des IStGH gegen Afrika ist jedoch nicht auszumachen. In vielen Fällen, die das Gericht erreichten, hatten die betroffenen afrikanischen Länder selbst den IStGH eingeschaltet. Lediglich zwei Fälle (Sudan und Libyen) wurden vom UN-Sicherheitsrat (UNSC) an den IStGH übertragen und in zwei weiteren ermittelte die Anklagebehörde von sich aus (Kenia und Elfenbeinküste). Man kann dem IStGH keine Voreingenommenheit unterstellen, wenn er im Auftrag des UNSC handelt – und noch weniger, wenn die betroffenen Länder selbst das Ganze in Gang setzen.

Die AU plant, die Zuständigkeit des African Court of Justice and Human Rights so auszuweiten, dass sie auch die Verfolgung internationaler und transnationaler Verbrechen umfasst (siehe Kasten, S 26). Das ist eine gute Initiative und könnte dazu beitragen, die internationale Strafjustiz zu verbessern. Sie wird aber kein Ersatz für den IStGH sein. Die drei afrikanischen Staaten, die aus dem IStGH aussteigen wollen, haben sich nicht auf diese geplante Rolle des Afrikanischen Gerichtshofs berufen. Das zeigt, dass sie kein Inter­esse an einer diesbezüglichen Rechenschaftspflicht auf internationaler, regionaler oder nationaler Ebene haben. Die Ansicht dreier afrikanischer Regierungen spiegelt aber nicht die aller afrikanischen Länder wider.


Darleen Seda ist Projektleiterin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. Sie ist als Rechtsanwältin am kenianischen High Court zugelassen.
darleen.seda@stadt.nuernberg.de

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