Gewalt

Vielfach gefährdete Hilfe

In Afghanistan, Somalia und Sudan sehen sich humanitäre Helfer wachsenden Bedrohungen ausgesetzt, weil Konfliktparteien ihre Neutralität nicht anerkennen. Nichtstaatliche Organisationen versuchen, sich auf die neuen Risiken einzustellen – Überreaktionen wären aber kontraproduktiv. Akzeptanz durch die Kriegsparteien ist durch nichts zu ersetzen.


[ Von Katrin Radtke ]

Am 7. August 2010 erschütterte die Nachricht über die Ermordung von zehn Mitarbeitern einer christlichen Hilfsorganisation in Afghanistan die Öffentlichkeit. Zwei afghanische Dolmetscher, sechs Amerikaner, ein Brite und eine Deutsche, die im Land eine Augenklinik betrieben hatten, starben an Schussverletzungen. Sabjullah Mujaheed, ein Taliban-Sprecher, sagte später, sie seien umgebracht worden, weil sie missioniert und für die USA spioniert hätten.

Drei Monate zuvor wurden drei Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in Somalia Opfer eines Sprengsatzes, der in der Nähe eines Krankenhauses explodierte. Ein kenianischer und ein französischer Arzt sowie ihr somalischer Fahrer erlagen ihren Verletzungen. Die Umstände der Explosion blieben ungeklärt.

Erschreckender Trend

Nachrichten über entführte, verletzte und sogar ermordete Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind nicht mehr selten. Tatsächlich hat laut einer Studie des Overseas Development Institute (ODI) vom vergangenen Jahr die Gefährdung von Mitarbeitern humanitärer und entwicklungspolitischer Organisationen von 2006 bis 2008 um das Dreifache zugenommen (Stoddart et al., 2009).

2008 wurden 260 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Opfer von Übergriffen. Allein 122 Mitarbeiter wurden ermordet. Besonders betroffen von Übergriffen sind laut ODI die UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs). Voriges Jahr stieg die Anzahl der Übergriffe laut UNICEF auf 278, davon waren 102 tödlich.

Meist stammten die Opfer aus den jeweiligen Krisenländern, zunehmend sind aber auch ihre ausländischen Kollegen in Gefahr. Insgesamt konzentrieren sich die Überfälle auf einige wenige Länder. Über 60 Prozent aller Zwischenfälle fanden 2006 bis 2009 in Sudan, Somalia und Afghanistan statt. Zugleich stieg der Anteil der politisch motivierten Angriffe gegenüber ökonomisch motivierten Überfällen. Selbst die Organisationen, die sich von politischen Akteuren abgrenzen, um ihre Neutralität zu bewahren, waren Attacken ausgesetzt.

Dieser erschreckende Trend hat die Debatte über die Sicherheit von Mitarbeitern in der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit intensiviert. Gefragt wird nach den Ursachen und nach angemessenen Schutzstrategien. Allerdings liegen bisher nur Hypothesen und anekdotische Berichte vor. Verlässliche Aussagen über die Ursachen der Gewalt sind noch nicht möglich. Auch die Zeitreihen der ODI-Studie sind zu kurz, um eindeutige Trends aufzuzeigen.

Dennoch wirft diese Studie wichtige Fragen auf. Warum ist zum Beispiel das Internationale Rote Kreuz (IRK) bisher von der Gewalt nur sehr selten betroffen? Und was unterscheidet Sudan, Somalia und Afghanistan von anderen Ländern, in denen Gewalt auch weit verbreitet ist, aber Hilfsorganisationen weitgehend verschont bleiben?

Die meisten Erklärungsversuche besagen, dass die größere Gefährdung auf eine abnehmende Bedeutung des „humanitären Raums“ zurückzuführen ist. Damit ist der geschützte operative Spielraum gemeint, der auf der Einhaltung der humanitären Prinzipien der Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beruht und gewährleisten soll, dass Hilfe die Opfer eines Konflikts erreicht. Anders formuliert heißt das, die humanitären Prinzipien hätten in bestimmten Konfliktsituationen ihre Wirkungsmacht verloren. Dafür werden verschiedene Gründe genannt (siehe Box).

Hilfsorganisationen reagieren

Die unabhängigen Hilfsorganisationen stellen sich auf die wachsende Gefahr in unterschiedlicher Weise ein. Zwar bildet das Dreieck von Akzeptanz, Schutz und Abschreckung immer noch die Basis der Sicherheitsstrategien von NROs. Allerdings verändert sich die Gewichtung, denn Akzeptanz ist aus Sicht vieler Organisationen immer schwieriger zu erreichen. Die Vermischung von humanitären und militärischen Mandaten stellt den Akzeptanzansatz aus Sicht der meisten NROs vor große Schwierigkeiten. Besonders deutlich ist dies in Afghanistan, aber auch in der Demokratischen Republik Kongo und in Liberia.

Zudem hängt Akzeptanz von vielen Faktoren ab und lässt sich nur dann herstellen, wenn die lokalen Machtstrukturen identifizierbar sind und entsprechende Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden können. Dies ist derzeit weder in Somalia noch in Afghanistan hinreichend möglich. Anstatt den Akzeptanzansatz weiterzuentwickeln, ändern viele NROs mittlerweile ihr Sicherheitsmanagement und setzen verstärkt auf Schutzvorkehrungen. Dazu gehört unter anderem die Ausstattung der Projektbüros mit vergitterten Fenstern, Wachpersonal und Nachtbeleuchtung oder die Nutzung von gepanzerten Fahrzeugen und dergleichen mehr. Häufig werden dafür externe Sicherheitsberater – oft mit militärischem Hintergrund – hinzugezogen. Viele NROs haben auch die Stelle eines Sicherheitsberaters eingerichtet.

Zudem sind inzwischen zahlreiche Sicherheitsnetzwerke entstanden, die den Informationsaustausch verbessern sollen. Beispiele sind
– das „Afghanistan NGO Safety Office“ (ANSO),
– das „NGO Safety Preparedness and Support Project in Somalia“ (SPAS),
– das „Gaza NGO Security Office“ (GANSO),
– das „European Interagency Security Forum“ (EISF) und
– die „Security Advisory Group“ (SAG) des amerikanischen NGO-Dachverbandes „Interaction“.

In Afghanistan, im Irak und in Somalia ergänzen manche NROs ihr Sicherheitsmanagement obendrein durch Abschreckungsmaßnahmen. Zwar handelt es sich noch um Ausnahmen, doch eine gewisse Verstetigung ist offenkundig. Der Einsatz von bewaffneten Eskorten – gestellt von privaten Sicherheitsfirmen – ist für manche Organisationen bereits Alltag.

Gefahr der Überreaktion

Die Professionalisierung des Sicherheitsmanagements der NROs ist ohne Zweifel nötig. Viele Schutzmaßnahmen werden von den Beteiligten als äußerst hilfreich wahrgenommen. Dennoch besteht die Gefahr, dass sich dieser Weg als Sackgasse erweist, denn er führt nicht zum Kernproblem der zunehmend eingeschränkten Anerkennung des humanitären Raums. Die offensivere Schutzstrategie kann leicht zu mehr Abgrenzung statt zu höherer Akzeptanz führen – und damit zur weiteren Einschränkung des humanitären Raums und noch mehr Unsicherheit.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass aus wenigen besonders gefährlichen Ländern Lehren für andere Kontexte gezogen werden. Dann würde die humanitäre Hilfe in einem Maße operativ weitgehend umgestaltet, das in keinem vernünftigen Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung steht.

Auch wenn Akzeptanz manchmal schwieriger zu erreichen sein mag als früher, ist sie doch durch nichts zu ersetzen. Je nach den Bedingungen des jeweiligen Konflikts kommt es also darauf an, den Akzeptanzansatz weiterzuentwickeln und Lösungen für jene Probleme zu finden, die ihn derzeit in Frage stellen. Wird das Akzeptanz-Prinzip dagegen aufgegeben, fällt auch der Grundgedanke einer rein auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichteten Hilfe.

Im Sinne des Akzeptanzansatzes sollte die Kommunikation mit allen Konfliktparteien als unbedingte Voraussetzung für das Engagement in Gewaltkontexten gewertet werden. Entsprechend wichtig sind Anstrengungen, den Austausch tatsächlich herzustellen und zu institutionalisieren. Selbstverständlich sind dafür Ressourcen und Personal nötig.

Anstatt nur auf Sicherheitsberater und Militärs zu setzen, sollten NROs den Rat von Ethnologen und Regionalwissenschaftlern einholen. Mit der Region vertraute Fachleute können helfen, komplexe lokale Machtstrukturen zu verstehen und Veränderungsprozesse zu erkennen.

Gleichzeitig müssen aber auch die Grenzen des Akzeptanzansatzes anerkannt werden. Akzeptanz lässt sich nicht in jeder Situation herstellen. NROs können nur einen geringen Ausschnitt jener Ursachen adressieren, die den Akzeptanzansatz in Frage stellen.

Vor diesem Hintergrund müssen sich NROs dringend mit einigen grundsätzlichen Fragen im Hinblick auf ihr Engagement in Krisen- und Konfliktländern auseinandersetzen. Dazu gehört,
– welche Rolle sie für sich insbesondere im Kontext der so genannten „integrierten Missionen“ oder „umfassenden Ansätze“ der „vernetzten Sicherheit“ sehen,
– welche Kompromisse sie im Hinblick auf ihr ursprüngliches Mandat bereit sind in Zukunft einzugehen und
– bis zu welchem Punkt eine sinnvolle Arbeit noch möglich ist.
Nötig ist zudem, klare Schwellen – jenseits von reinen Risikoanalysen – zu definieren, die anzeigen, ab wann die Arbeit in einem Land/einer Region besser eingestellt werden sollte.

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