Afrikaner in Deutschland

Triebkräfte des Wandels

Die Rolle von Diasporagemeinschaften bei der Firmengründung wird oft unterschätzt. Doch Start-up-Unternehmen nutzen den Gast wie den Herkunftsländern. Afrikanische Experten, die in Deutschland leben, sind oft Brückenbauer zwischen den Kontinenten.
Afro-Shops sind bei weitem nicht die einzigen Unternehmen, die Afrikaner in Deutschland betreiben. Böthling/Photography Afro-Shops sind bei weitem nicht die einzigen Unternehmen, die Afrikaner in Deutschland betreiben.

Migranten in Industrieländern werden immer häufiger zu Unternehmern. Früher führten sie oft kleine Läden, in denen sie Waren aus Afrika oder Asien verkauften. Heute sind viele Gründer anspruchsvoller und ehrgeiziger. Manch Auswanderer trägt zugleich zur wirtschaftlichen Entwicklung seines Herkunftslandes bei. Und zwar auf drei Wegen:

  • Diaspora-Direktinvestitionen (DDI) fördern Unternehmensentwicklung, Innovationen und schaffen Arbeitsplätze – all das ist förderlich für Entwicklung allgemein.
  • DDI generieren auch soziales und politisches Kapital in globalen Netzwerken, binden Entwicklungsländer in die internationale Gemeinschaft ein und verschaffen ihnen Zugang zu fortschrittlichen Technologien und Geschäftsmodellen.
  • Unternehmer aus der Diaspora verfügen über spezifische sprachliche und kulturelle Kompetenzen, die wiederum Dritten nützen.

Insbesondere in Deutschland gründen viele afrikanische Migranten ein eigenes Unternehmen. Das hat drei wesentliche Gründe:

  • Ihre persönlichen, interkulturellen und beruflichen Kompetenzen befähigen sie dazu, kalkulierte Risiken einzugehen und Marktnischen zu ent­decken.
  • Deutschland ist eine enorme soziale Herausforderung für Afrikaner – bisweilen verhält sich das Umfeld geradezu feindlich – und viele Mitglieder der Diaspora bekommen nicht die Jobs, für die sie qualifiziert sind. Daher gründen viele ihr eigenes Unternehmen.
  • Deutschland hatte nur wenige afrikanische Kolonien, und diese auch nur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Die Deutschen haben daher eine weniger enge Verbindung zu Afrika als etwa Großbritannien, Frankreich oder Belgien. Viele deutsche Unternehmen haben den Kontinent kaum im Blick. Für in Deutschland lebende Afrikaner, die das Potential des Kontinents einschätzen können, ist das eine Chance.

Von Afrikanern geführte Unternehmen in Deutschland werden immer vielfältiger. Die erste Generation der Diaspora-Unternehmer eröffneten Afro-Shops, wo sie afrikanische Lebensmittel, Kosmetik, Kleidung und Friseurzubehör verkauften. Heute bieten Gründer IT-Dienstleistungen oder Finanztransfers an. Einige junge Afrikaner arbeiten sogar als Unternehmensberater.

Brückenbauer

Afrikanische Diplomaten sind auf deutsche Investitionen in ihren Heimatländern aus. Allerdings verhehlen sie nicht, dass die Zusammenarbeit mit chinesischen oder indischen Unternehmen in Subsahara-Afrika einfacher ist. Auch Stefan Liebing vom Afrikaverein der deutschen Wirtschaft bestätigt, dass wichtige deutsche kleine und mittlere Unternehmen Afrika tendenziell weiterhin für einen „Kontinent der Krisen und Korruption“ halten.

Aber es gibt auch positive Entwicklungen. Deutsche Mittelständler etwa bemühen immer öfter die Dienste von Unternehmensberatern afrikanischer Herkunft. Cheick Diallo aus Guinea zum Beispiel arbeitet seit zwei Jahren für MC-Bauchemie, ein mittelständisches Unternehmen, das innovative und Standardchemikalien an die Bauindustrie liefert. MC-Bauchemie hat seinen Sitz im Ruhrgebiet, beschäftigt 2200 Mitarbeiter und betreibt Produktionsstätten in Europa und Übersee.

Diallo hat den Aufbau eines Tochterunternehmens von MC-Bauchemie in seinem Heimatland koordiniert und berät das Unternehmen nun dabei, seine Produkte in Ländern wie Sierra Leone, Ghana und Nigeria zu vermarkten. Ihm zufolge bietet Afrika gute Möglichkeiten – aber deutsche Unternehmen hinken den Wettbewerbern aus Schwellenländern wie Brasilien, China und der Türkei hinterher. Er freut sich, seine fachliche und interkulturelle Kompetenz nutzen zu können und dabei gutes Geld zu verdienen. „MC-Bauchemie ist zuversichtlich, langjährige Beziehungen auf dem afrikanischen Kontinent zu etablieren“, sagt er.

Andere Unternehmer afrikanischer Herkunft haben Geld-Transfer-Systeme entwickelt. Sie bieten ihrer Zielgruppe, der afrikanischen Diaspora, günstigere Tarife als die Branchenriesen Western Union und Moneygram. Immer mehr Afrikaner schicken Geld über Diaspora-Start-ups in die Heimat.

Mamadou Diop lebt in Berlin. Seit vier Jahren veranlasst sein Unternehmen Geldtransfers in den Senegal und nach Gambia. Er profitiere davon, dass die Diaspora den großen Anbietern nicht traut, sagt er. Zu Diops Wettbewerbsvorteilen gehörten auch niedrigere Gebühren und seine kulturelle Nähe zur Zielgruppe. Er selbst hat Wurzeln sowohl im anglophonen Gambia als auch im frankophonen Senegal – so kann er Kunden aus beiden Sprachgemeinschaften gewinnen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda war wichtig, sagt er. Er ist stolz darauf, Geschäftsbeziehungen zu zwölf afrikanischen Ländern zu haben.

Der Waren-Export nach Afrika ist ein weiteres schnell wachsendes Geschäftsfeld der Diaspora. In den 1980er und 1990er Jahren ging es vor allem um Autos, heute sind diverse Konsumgüter relevant: technische Hardware ebenso wie Lebensmittel, Kosmetik und Kleidung. Oft kommt die Ware aus Asien. Die Händler reisen von Deutschland nach Asien, von dort aus weiter nach Afrika und dann zurück nach Deutschland.

Die 27-jährige Nigerianerin Ashioma Udechukwu lebt in Berlin und ist eine solche Handelsreisende. Sie sagt: „Ich sehe immer häufiger Passagiere aus Äthiopien, Ghana, Kenia, Senegal und natürlich Nigeria auf meinen Flügen nach China, Thailand und Singapur“. Auch Vietnam, Myanmar und Bangladesch seien wichtige Ziele geworden. „Diese Länder sind wegen der niedrigen Preise und der Produktvielfalt für uns interessant. Hier findet man günstige Handys, Fernseher, Laptops, Tablets und Stoffe von wirklich guter Qualität“.

Die afrikanische Mittelschicht, die sich diese Dinge leisten kann, wachse, sagt Udechukwu. Ihr Geschäft laufe, weil das Fliegen günstig ist. Sie kam als Migrantin nach Deutschland und konnte dank der starken Wirtschaft genug Geld verdienen, um ihr Unternehmen zu gründen.

Manch Unternehmer afrikanischer Herkunft führt Waren aus seiner Heimat nach Deutschland ein. Der Markt für fair gehandelte und Bioprodukte wächst in Europa. Afrikanische Getränke wie Ingwerlimonade, Bier und Tees sowie Honig und Naturkosmetik aus Afrika werden gern gekauft.

Tatsächlich wächst das Interesse der Deutschen an Afrika und afrikanischen Restaurants, an Kunst und Mode. Auch afrikanische Musik, Filme und Künstler sind zunehmend gefragt. Hinzu kommt, dass sich die Deutschen für soziales Unternehmertum begeistern. Es ist einfacher geworden, Mittel für Erneuerbare-Energie-Infrastruktur oder Gründerzentren in ländlichen Gegenden Subsahara-Afrikas zu bekommen. Auch sind sich die Deutschen darüber bewusst, dass sie Flüchtlinge und Migranten in die Mehrheitsgesellschaft integrieren müssen. Mitglieder der Diaspora finden nun leichter Arbeitsplätze.

Der jüngste und wohl vielversprechendste Trend ist die Gründung von Technologie-Unternehmen (siehe Kasten). Manche schaffen Arbeitsplätze in Europa, manche in Afrika und andere auf beiden Kontinenten. Ayana Alemu aus Äthiopien zum Beispiel rief 2001 Meelogic ins Leben. Die Firma bietet IT-Lösungen an und beschäftigt mehr als 100 Mitarbeiter in Deutschland und Polen. Ihre Kunden kommen aus so verschiedenen Branchen wie Telekommunikation, Medizintechnik, Energie, Transport und Logistik.

Unterstützung durch die Regierung

Die Regierung kann die aus dem Ausland stammenden Unternehmer fördern, indem sie bürokratische Hürden abbaut und den internationalen Austausch erleichtert. Vielen Ländern ist die wirtschaftliche Bedeutung ihrer Diaspora nur allzu bewusst. Tunesien etwa hat eine Bevölkerung von rund elf Millionen Menschen; eine weitere Million Tunesier lebt im Ausland, darunter führende Wissenschaftler und Fachleute. Der tunesische Berater Moez Ali sagt, das Wissen und Geld, das aus der Diaspora zurück nach Tunesien fließe, sei ausgesprochen wichtig für das Land. Die Regierung versucht Mitglieder der Diaspora mit Anreizen dazu zu bringen, Immobilien zu kaufen oder führende Positionen in der Heimat zu übernehmen. Im Zuge des Arabischen Frühlings und der damit verbundenen Probleme nahmen die Investitionen der Diaspora ab. Aber seit sich die Lage stabilisiert hat und es eine demokratische Regierung und Verfassung gibt, wird wieder mehr investiert.

In Afrika wurden in den vergangenen zehn Jahren etwa ein Dutzend nationale Diaspora-Ministerien etabliert. Auch die EU ist sich der Potenziale bewusst. Im Jahr 2013 gründete sie die AKP-Beobachtungsstelle für Migration. Mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP), die mit der EU und ihren Mitgliedern besonders verbunden sind, soll besser kooperiert werden. Alle Beteiligten sollen von der Migration profitieren.


Abdou Rahime Diallo ist ein auf Migration und Entwicklung spezialisierter internationaler Politikberater. Er lebt in Berlin.
diallora66@gmail.com

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