Klimawandel

Selbst entscheiden, ob migrieren und wohin

Seit einigen Jahren ist das Thema Klimawandel und Flucht im Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit. Der Juraprofessor Walter Kälin setzt sich seit langem dafür ein, es auf die internationale Agenda zu bringen, erst in der Nansen-Initiative und heute in der Platform on Disaster Displacement. Er erläutert im Interview, welche Herausforderungen es gibt und was getan werden muss.
Die Menschen auf den Fidschi-Inseln möchten keine Flüchtlinge aufgrund des Klimawandels werden. Die Regierung hat bereits Pläne, Menschen aus gefährdeten Gebieten umzusiedeln. Sean Sprague/Lineair Die Menschen auf den Fidschi-Inseln möchten keine Flüchtlinge aufgrund des Klimawandels werden. Die Regierung hat bereits Pläne, Menschen aus gefährdeten Gebieten umzusiedeln.

Sind Klimaflüchtlinge als solche anerkannt?
Nein, Klimaveränderungen sind kein anerkannter Fluchtgrund, zumindest nicht im Rahmen des internationalen Rechts. Im neuen globalen UN-Migrationspakt gibt es aber ganz viel zum Thema, da sind Klimawandel und Naturkatastrophen als eine Migrationsursache anerkannt, zu finden etwa in den Zielen 2 und 5. Der Begriff Klimaflüchtling wird in der internationalen politischen und juristischen Diskussion aber immer weniger verwendet. Da wird von Katastrophenflucht gesprochen.

Warum?
Die Erkenntnis, dass der Klimawandel meist nicht die einzige Fluchtursache ist, sondern dass Fluchtbewegungen immer multikausal sind, setzt sich zunehmend durch. Zudem ist es oft sehr schwierig, den Zusammenhang zwischen einem bestimmten Wetterereignis und dem Klimawandel nachzuweisen. Es gibt einzelne Beispiele, wo Wissenschaftler ganz klar einen Zusammenhang herstellen können, aber ganz oft gelingt das nicht. Zudem können auch geophysikalische Ereignisse zur Flucht führen wie etwa das Erdbeben in Haiti 2010 oder 2015 in Nepal. In beiden Fällen gab es sehr viel grenzüberschreitende Flucht. So etwas wird durch den Begriff Klimaflüchtling nicht ausreichend abgebildet.

Aber was ist mit den Menschen, die ihre Heimat wegen schleichender Umweltveränderungen wie Dürren, Versalzung der Felder et cetera verlassen?
Plötzlich eintretende Ereignisse und schleichende Veränderungen greifen meist ineinander. Nehmen Sie Somalia, dort kam es nach einer jahrelangen Dürreperiode 2011/12 innerhalb kurzer Zeit zu einer Hungersnot, welche massive Fluchtbewegungen auslöste. Innerhalb weniger Monate ist die Situation gekippt, und in Verbindung mit der anhaltenden kriegerischen Gewalt in Teilen des Landes ist daraus eine Katastrophe geworden. Die Wechselwirkung zwischen plötzlichen und schleichenden Naturereignissen zeigt sich auch bei den gefährdeten Inselstaaten im Südpazifik und anderswo.

Wie will die Platform on Disaster Displacement (siehe Artikel der Platform im Schwerpunkt E+Z/D+C e-Paper 2017/04) diese Probleme konkret lösen?
Wir propagieren ein Konzept mit drei Interventionsmöglichkeiten:

  • Menschen helfen, zu bleiben, wo sie sind: verstärkte Maßnahmen der Anpassung an den Klimawandel und Katastrophenrisikominderung vor allem in Gebieten oder Gemeinschaften mit erhöhtem Fluchtrisiko.
  • Ermöglichung regulärer Migration oder geplante Umsiedlungen: also helfen, wegzugehen, bevor es zur Katastrophe kommt.
  • Für die Menschen, denen diese Maßnahmen nicht helfen und die vertrieben wurden, müssen Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Dies gilt für Vertriebene innerhalb eines Landes und für die, die Grenzen überschreiten.

Dieses Konzept der drei Interventionsmöglichkeiten ist nun im UN-Migrationspakt von den Staaten anerkannt und verankert worden. Sie erkennen daran, dass das Thema wirklich stark vorangeschritten ist im Vergleich zu vor zwei Jahren. Wir haben jetzt die richtigen Texte.

Welche Pläne gibt es zu Umsiedlungen?
Fidschi hat Pläne, eigene landesinterne Umsiedlungen vorzunehmen. Es gibt auch Pläne über Landesgrenzen hinweg, die aber noch nicht ausgereift sind. Kiribati hat auf Fidschi ein Stück höher gelegenes Land gekauft. Das stellt im Zusammenhang mit dem Klimawandel einen Präzedenzfall dar. Das Land könnte für Umsiedlung gebraucht werden, oder es könnte landwirtschaftlich genutzt werden, um die Nahrungsmittelversorgung zu garantieren. Dies wird durch die Versalzung immer schwieriger. Im Pazifik wird der Ansatz verfolgt, Migrationsmöglichkeiten zu eröffnen. Die Menschen sollen selber entscheiden können, wann und wohin sie ­gehen wollen. Auch temporäre Migrationsmöglichkeiten werden erwogen, die die Menschen nutzen können, um ihre eigene Resilienz zu stärken und somit länger bleiben zu können.

Gibt es da bereits konkrete Beispiele?
Ja, Australien und Neuseeland haben spezifische Programme für pazifische Inselstaaten, welche Menschen erlauben, für einige Monate Arbeitsvisa zu erhalten. Mit Ausbildungsmaßnahmen und Unterstützung wird diesen Menschen geholfen, das verdiente Geld zu Hause so zu investieren, dass ihren Familien und Gemeinschaften trotz zunehmend schwieriger Lebensumstände geholfen wird, zumindest in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor Ort zu bleiben. Ein Mann aus Samoa hat erzählt, dass jedes Jahr 20 bis 25 jüngere Männer aus seinem Dorf nach Australien zum Arbeiten gehen. Dort verdienen sie in sechs Monaten sieben Mal das Jahreseinkommen, das sie im Dorf haben. Das ist sehr positiv für die Gemeinschaft. Das Geld wurde zum Beispiel dafür investiert, Häuser sturmfest zu machen und Wirtschaftsaktivitäten aufzubauen.

Wir selbst von der Plattform werden in den nächsten drei Jahren von der Europäischen Kommission dabei unterstützt, zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und anderen Partnern im Pazifik solche Ansätze zu verstärken. Es ist wichtig, sich bereits heute darüber Gedanken zu machen, wie temporäre und später auch permanente Migration ermöglicht wird, statt zu warten, bis die Menschen Flüchtlinge und damit zu einem humanitären Problem werden. Das ist eine klare Botschaft vieler Menschen im Pazifik: Sie wollen keine Flüchtlinge werden. Sie möchten die Möglichkeit haben, geregelt weggehen zu können und nicht in einem Flüchtlingslager zu enden.

Wie sieht es in Afrika bezüglich geregelter Migration aus?
In Afrika ist die Situation anders. Ich habe Somalia genannt. Ostafrika kennt sehr viele Dürren, aber auch Überschwemmungen – da kommt es regelmäßig zu Fluchtbewegungen. Weil sich Klimawandel und andere Umweltfaktoren oft mit Konflikten überlagern, sind die Kausalitäten komplex. In Ostafrika geht es hauptsächlich um den Schutz von Binnenvertriebenen. 2017 beispielsweise mussten in Somalia wegen der Dürre mehr als eine Million Menschen ihre Dörfer verlassen oder ihre Lebensweise als Wanderhirten aufgeben, um dem Hunger zu entkommen. Die meisten konnten nicht zurückgehen und leben immer noch in somalischen Städten in Lagern oder in irregulären Siedlungen. Um für diese Menschen dauerhafte Lösungen zu finden, muss erheblich investiert werden.

Immerhin konnten diese Menschen im eigenen Land Zuflucht finden. 2011/12 war das anders, als Kenia, Äthiopien und andere ostafrikanische Staaten rund 300 000 Flüchtlinge aus Somalia aufnahmen. Dabei stützten sie sich auf die Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit von 1969, welche für Menschen gilt, die ins Ausland flüchten. Diese Konvention erkennt als Fluchtgründe nicht nur Verfolgung und Bürgerkriege an, sondern auch Ereignisse, welche wie Katastrophen die öffentliche Ordnung ernsthaft stören. In Westafrika gibt es ein Abkommen über freien Personenverkehr der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Davon profitieren meist auch die Menschen, welche wegen Dürren oder Überschwemmungen zu Hause kein Auskommen mehr finden und temporär in Nachbarstaaten arbeiten. So können sich die Menschen oft durch Migration selbst helfen.


Walter Kälin ist Gesandter der Präsidentschaft der Platform on Disaster Displacement und emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht der Universität Bern.
walter.kaelin@oefre.unibe.ch


LINK
UN, 2018: Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration.
http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/73/195

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.