Bezahlbarer Wohnraum

Warum die staatliche Wohnungspolitik in Nairobi scheitert

Hunderttausende arbeitslose Kenianer wandern jährlich auf Jobsuche in die Städte ab und verschärfen so die Wohnungsknappheit. Mit ihrer Wohnungspolitik wird die Regierung das Problem wohl kaum lösen.
Viele Einwohner Nairobis leben in Slums. Das Zuhause, mit dem sie sich identifizieren, liegt irgendwo in einem Dorf. dem Viele Einwohner Nairobis leben in Slums. Das Zuhause, mit dem sie sich identifizieren, liegt irgendwo in einem Dorf.

Als Kenia wegen der Corona-Pandemie seine Wirtschaft herunterfuhr, unterhielten die Komiker des Landes die Leute über Social Media mit Geschichten über ihren Weg zum Erfolg. Es waren oft ähnliche Geschichten: Sie verließen ihre Heimat auf dem Land und zogen in die große Stadt, um Schauspieler zu werden. Sie teilten sich Ein-Zimmer-Blechhütten mit anderen armen Slumbewohnern in Nairobi. Einige schliefen auf der Straße, andere kamen bei Verwandten unter oder lebten bei Prostituierten in schmuddeligen Behausungen in Hinterhöfen. Schließlich aber wurden sie reich und berühmt.

Diese Geschichten sind unterhaltsam – und beschreiben die Lebensrealität der meisten Zuwanderer in Kenias überfüllten Städten. Noch immer strömen viele junge Menschen vom Land in die Städte, in der Hoffnung auf Chancen und angemessene Einkommen. Doch es ist ein harter Kampf, vor allem für die 99 Prozent der jungen Leute, die keine höhere Bildung haben.

Wer auf der weiterführenden Schule war – oder weniger als das, – findet in der Stadt meist Jobs im informellen Sektor, wo mehr als 80 Prozent der kenianischen Arbeitskräfte schuften. Sie verrichten jede Art von Arbeit für Essen, Miete und um vielleicht etwas Geld an die Familien im Dorf zu schicken. Sie arbeiten als Aushilfsmechaniker, Schweißer, Tischler oder Haushaltshilfen. Oder sie verkaufen Obst, Secondhandkleidung, Regenschirme und Bleistifte. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen und haben nicht das Einkommen, das ihnen ermöglichen würde, eine Hypothek aufzunehmen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Auch soziale Absicherungen wie eine Krankenversicherung oder Altersrente haben sie nicht.

Trotzdem zieht die Landbevölkerung weiter in die Städte. Der Anteil der Kenianer, die in Städten und deren Umland leben, hat sich von acht Prozent 1963 auf 32 Prozent 2019 vervierfacht. Die Volkszählung von 2019 zeigt, dass 39 Prozent der kenianischen Haushalte – etwa 15 Millionen Menschen – in städtischen Gebieten leben.

Die Menschen kommen vor allem wegen besserer Bezahlung in die Städte. Der gesetzliche Mindestlohn für niedere Tätigkeiten ist in drei Städten Kenias – Nairobi, Mombasa und Kisumu – fast doppelt so hoch wie auf dem Land. Gärtner, Straßenreiniger, Wachmänner und Haushälterinnen in den Städten haben einen gesetzlichen Anspruch auf monatlich 13 572 Kenianische Schilling (KES), das entspricht 135 Dollar. Auf dem Land sind es 7 240 KES – also 72 Dollar.


Tickende Zeitbombe

Seit der Unabhängigkeit 1963 wissen Kenias Politiker, dass die stetige Abwanderung in die Städte eine tickende Zeitbombe ist – sie verschlimmert die Arbeitslosigkeit und verschärft die ohnehin große Wohnungsnot in den Städten.

2017 versprach Präsident Uhuru Kenyatta nach seiner Wiederwahl für eine zweite Amtszeit, die Regierung werde innerhalb von fünf Jahren eine halbe Million bezahlbare Wohnungen im städtischen Raum bauen. Seine Regierung gründete eine Hypothekenfinanzierungsgesellschaft, um Geld an Finanzinstitute zu verleihen, die es wiederum an Kenianer zum Kauf von Wohnungen verleihen sollten.

Doch das Projekt ist ins Stocken geraten. Die Gerichte lehnten den Vorschlag des Präsidenten ab, eine Steuer zur Finanzierung des Wohnungsbaufonds zu erheben – der Vorschlag war bei den formell beschäftigten Kenianern der Mittelschicht äußerst unpopulär. Sie fühlten sich genötigt, Häuser zu kaufen, die sie nicht brauchten, oder gar Häuser für andere Leute zahlen zu müssen.

Die meisten Kenianer scheuen vor Hypotheken zurück. Laut Zentralbank gibt es in Kenia nur etwa 27 000 Hypotheken. 61 Prozent der Kenianer besitzen zwar ihre Häuser, doch nur drei Prozent von ihnen haben die Häuser gekauft. 93 Prozent haben sie selbst gebaut und drei Prozent haben sie laut nationalem Statistikamt Kenias geerbt.

Die meisten Eigenheime gibt es auf dem Land. Die Regierung bemüht sich, die Zustände in den städtischen Slums zu verbessern, indem sie die Menschen ermutigt, vom Staat errichtete Häuser in der Stadt zu kaufen. Die Kenianer, die gern ein Eigenheim haben wollen, haben dieses bereits – und zwar auf dem Land. In den Städten leben die meisten zur Miete; in Nairobi wohnen nur neun Prozent im Eigenheim, 91 Prozent der 1,5 Millionen Haushalte hingegen zur Miete.

Kenias Stadt-Land-Gefälle beim Wohneigentum ist kulturell bedingt. Für Kenianer sind Städte Orte, wo sie Geld verdienen, aber nicht Heimat. Die Heimat ist das Land der Vorfahren, wo sie Weihnachten, Ostern und andere Feiertage verbringen. Auch Rentner kehren oft in ihre Dörfer zurück.

Städter mieten ihre Wohnung auch deshalb eher, weil städtischer Wohnraum teuer ist. Die Einkommen sind meist zu gering, um sie in Immobilien investieren zu könnten. Drei Viertel der erwerbstätigen Kenianer verdienen weniger als 50 000 KES (500 Dollar) im Monat. Auch erschweren Verwaltung und Bürokratie bei der Eigentumsregistrierung und Titulierung den Hauserwerb. Korrupte Beamte verzögern das Prozedere ebenfalls, um Geld zu erpressen. Die Zinssätze für Hypotheken können bis zu 14 Prozent betragen.

Obwohl Städter eher mieten als kaufen, hat die Regierung beschlossen, hunderte von Häusern zu bauen und sie Slumbewohnern subventioniert zum Kauf oder zur Miete anzubieten. Arme Menschen sollten so Wohneigentum erwerben können, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Funktioniert hat es nicht. Einige Slumbewohner nutzten die Subventionen, um Wohneigentum zu erwerben, verkauften die Wohnungen aber weiter und zogen in die Slums zurück. Andere akzeptierten die subventionierten Mietkaufkonditionen, vermieteten die Wohnungen unter, kassierten die Miete – und blieben im Slum.


Wahrheiten

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass das Wohnproblem eigentlich eine Einkommens- und Beschäftigungskrise ist. Um gegen den Mangel an städtischen Wohnungen vorzugehen, muss die Regierung erst einmal die Wirtschaft des Landes dafür fit machen, Jobs zu schaffen – in den Städten und auf dem Land. Damit würden die Einkommen so weit steigen, dass Slumbewohner von sich aus bessere Wohnungen beziehen könnten. Auch die Landflucht aus Gründen der Jobsuche könnte so eingedämmt werden.

Zudem sollte die Regierung nicht versuchen, Häuser in Städten zu bauen und zu verkaufen, wo kaum jemand Wohneigentum erwerben möchte. Idealerweise sollte die Regierung Hürden beim Erwerb von Wohneigentum abbauen, etwa was Bürokratie und Korruption bei der Grundstücksvergabe betrifft oder hohe Zinssätze und Steuern auf Baumaterialien wie Zement und Stahl.

Die Regierung könnte durch eine bessere städtische Infrastruktur – Straßen, Abwasser- und Müllentsorgung, Internet­anbindung, Strom – auch die Bedingungen in den Slums verbessern. Zudem sollte die Regierung es den Kenianern ermöglichen, das zu tun, was sie zumindest auf dem Land wollen, und sie ihre eigenen Häuser bauen lassen. Neun von zehn kenianischen Hausbesitzern tun das bereits. Die Politik sollte dem Weg folgen, den die meisten Bürger bereits gehen.

Kurz gesagt: Die Regierung sollte Bau und Verkauf von Häusern dem Privatsektor überlassen. Sie sollte keinen neuen Ansatz forcieren, der den Wohnungsmarkt verzerrt und Nutznießern gut gemeinter Politik ermöglicht, das System auszunutzen.


Alphonce Shiundu ist ein kenianischer Journalist, Redakteur und Faktenchecker in Nairobi.
shiunduonline@gmail.com
Twitter: @Shiundu

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