Ungleichheit

Unzufriedenheit mit „kostenloser” staatlicher Bildung

Privatschulen werden in Kenia sogar in den Familien immer populärer, die sich eigentlich kein Schulgeld leisten können. Diese Entwicklung – bedingt durch die miserable Qualität staatlicher Schulen – verschärft die soziale Kluft.
Überfüllte staatliche Grundschule in Kisumu. picture-alliance/Hans Ringhofer/picturedesk.com Überfüllte staatliche Grundschule in Kisumu.

Nirgendwo in Kenia zeigt sich die soziale Kluft zwischen Arm und Reich deutlicher als in der staatlichen Schulbildung. Das wird schon auf dem täglichen Schulweg sichtbar. In Nairobi müssen die Kinder der Ärmsten weite Wege in Kauf nehmen, um ihre hoffnungslos überfüllten und schlecht ausgestatteten Staatsschulen zu erreichen. Oft müssen sie sich Bücher und Pult teilen.

Bessergestellte Kinder laufen in blau-grünen Schuluniformen an stark befahrenen Straßen entlang zu etwas komforta­bleren und besser ausgestatteten, günstigen Privatschulen. Vermutlich haben sie bessere Zukunftschancen als die Staatsschüler.

Die privilegierten Kinder reicher Eltern hingegen werden bequem zu gut ausgestatteten Schulen chauffiert, mit besseren Lehrern, guten Lehrplänen und einer großen Auswahl an außerschulischen Aktivitäten. Manche kommen sogar im Hubschrauber: Die Superreichen aus dem kenianischen Hochland lassen ihre Kinder von ihren Anwesen in Nanyuki über die überfüllten Straßen hinweg zur Schule fliegen.

Das war nicht die Idee der kenianischen Regierung, als sie 2003 versprach, Grundbildung kostenlos und für alle zugänglich zu machen. Die unterschiedlichen Schulwege der Kinder unterschiedlicher Herkunft veranschaulichen ihre sehr unterschiedlichen Zukunftschancen. Wurzel dieses Übels ist der schlechte Zustand der öffentlichen Schulen.

Schon im ersten Jahr nach der Reform von 2003 wurden 1,3 Millionen Kinder mehr eingeschult als vor der Reform. Die Staatsschulen waren damit angesichts unzureichender Infrastruktur und mangelnden Lehrpersonals völlig überfordert. Sie waren überfüllt, die Qualität des Unterrichts litt.

Viele Eltern schickten ihre Kinder daraufhin auf Privatschulen, was viele sich eigentlich nicht leisten konnten; für sie bedeutete das, entweder Schulgeld zu zahlen oder Geld für andere Notwendigkeiten wie zum Beispiel Essen zu haben.

Private Bildung ist nirgends billig. Aber die Kosten variieren erheblich. Laut der Datenbank Internationaler Schulen (International Schools Database) kostet eine Privatschule normalerweise zwischen 635 000 und 2,9 Millionen kenianische Schilling im Jahr – etwa 6 300 bis 30 000 Dollar. Selbst ein privater Kindergarten kostet 3 000 Dollar jährlich und damit 17 Prozent mehr, als ein Doktorand pro Jahr an die staatliche Universität zahlt. Die internationale Bridge School Academy hingegen nimmt nur rund sieben Dollar pro Kind im Monat (siehe Kasten).

Eine Studie von 2017 über die Zunahme von Privatschulen (Zuilkowski et al., 2018) zeigt, dass viele Eltern, die sich für private Bildung entscheiden, zwischen 600 und 1 200 Dollar im Monat verdienen. Damit liegen sie unwesentlich über dem monatlichen Durchschnittseinkommen von 500 Dollar. Trotzdem sind diese Familien dem Bericht nach „bereit, bis zu 40 Prozent ihres Einkommen für die Bildung aller Kinder in ihrem Haushalt auszugeben“.

Mit der Nachfrage ist auch die Menge der Privatschulen gestiegen. Laut der kenianischen Statistikbehörde ist die Anzahl privater Grundschulen zwischen 2003 und 2017 um 773 Prozent gestiegen – die der staatlichen Grundschulen hingegen nur um 33 Prozent. Es gab 216 Prozent mehr private weiterführende und 154 Prozent mehr staatliche weiterführende Schulen.

Trotz dieser Zahlen gibt es immer noch mehr öffentliche Schulen als private. Derzeit sind 33 Prozent der kenianischen Grund- und 15 Prozent der weiterführenden Schulen privat. Diese Lücke schließt sich langsam, da Privatschulen weiterhin sehr gefragt sind.


Warum sie mehr zahlen

Warum zahlen selbst arme Eltern Schulgeld, wo es doch angeblich kostenlose staatliche Bildung gibt? Zum einen stimmt es nicht, dass öffentliche Schulen nichts kosten. Eltern müssen gelegentlich für Schuluniformen, Renovierungen und dergleichen aufkommen.

Wichtiger aber ist die wahrgenommene Qualität des Unterrichts. An Privatschulen haben die Lehrer meist mehr Zeit für den Einzelnen, sie geben auch eher Hausaufgaben auf. Die Lehrpläne sind solider und die Einrichtungen in einem besseren Zustand als an den öffentlichen Schulen.

Einige Privatschulen haben Teppichböden, und die Lehrer nutzen Smartboards (interaktive Whiteboards) statt Kreidetafeln. An Privatschulen wird zudem nicht nur den Kindern mehr Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch den Eltern.

„Privatschulen sind klar besser ausgestattet, nicht überfüllt und meist gut strukturiert und organisiert”, sagte Bildungsexperte Geoffrey Wango von der Universität von Nairobi kürzlich gegenüber der renommierten Tageszeitung Daily Nation.

An Staatsschulen dagegen ist es nicht ungewöhnlich, dass sich drei Schüler einen Pult teilen. Schulbücher sind meist Mangelware und die Lehrer schlecht bezahlt. Als die Regierung Laptops in Grundschulen einführen wollte, scheiterte das an Korruption und Missmanagement.

Neben diesen objektiven Unterschieden gibt es einen subjektiven Faktor: Viele Eltern sehen Privatschulen als Chance, die soziale Leiter hochzuklettern, was an Staatsschulen nicht der Fall ist. Deshalb wollen sie ihre Kinder von Staatsschulen fernhalten. Ein Elternteil sagte in dem obenzitierten Bericht: „Öffentliche Schulen sind sehr unsicher, weil so viele Kinder aus armen Familien dort hingehen.“ Andere sagten, die Kinder an öffentlichen Schulen seien „immer dreckig.“


Ein Trend, der spaltet

Der Wandel von öffentlicher zu privater Bildung ist – so verständlich die Gründe aus sein mögen – umstritten. Einerseits bieten günstige Privatschulen meist ein besseres Lernumfeld als öffentliche Schulen, was die Chancen der Schüler erhöht. Andererseits versprechen einige Privatschulen mehr, als sie bieten, und erfüllen gerade mal die Mindestanforderungen. Außerdem nehmen sie allein durch ihre Existenz den Druck von der Regierung, wie im Gesetz von 2003 vorgesehen, universelle hochwertige staatliche Bildung zu gewährleisten.

In einem Kommentar in der Zeitung The Standard war zu lesen, dass die Verbreitung privater Schulen soziale Unterschiede vertiefe und zu einem sozio-ökonomischen Kastensystem führen könne. „Bald wird es so sein, dass jene, die das Privileg der privaten Bildung genossen haben, alle Positionen im öffentlichen und privaten Sektor besetzen, während jene, die staatliche Schulen besucht haben, sich mit minderwertigen Jobs zufriedengeben müssen.“

Für die 15 Millionen kenianischen Kinder steht viel auf dem Spiel. Gute Bildung – staatlich oder privat – ist der Schlüssel zum Erfolg. Das gilt für alle sozialen Schichten, nicht nur für die Reichen, die ihre Kinder gerne auf Eliteuniversitäten in Europa und Amerika schicken.

Privatschulen unterstützen dieses Bestreben, indem sie ausländische Lehrpläne nutzen und so den Standards englischer, nordamerikanischer, deutscher oder französischer Schulen entsprechen. Staatsschulen tun das meist nicht. Das und der Unterschied bei den Bildungsstandards sorgen schon in frühen Jahren für soziale Ungleichheit.

Wenn Kenia vermeiden will, dass sich eine Bildungskaste etabliert, muss die Regierung ihre Zusagen von 2003 einlösen. Sie muss in gute öffentliche Bildung investieren, um zu gewährleisten, dass die Zukunft junger Kenianer nicht nur vom Vermögen und der Bereitschaft ihrer Eltern abhängt, Geld für ihre Bildung auszugeben.

Quelle
Zuilkowski, S., Piper, B., Ong’ele, S., and Kiminza, O., 2018: Parents, quality, and school choice: why parents in Nairobi choose low-cost private schools over public schools in Kenya’s free primary education era. Oxford Review of Education, Volume 44, Issue 2.


Alphonce Shiundu ist kenianischer Journalist und Faktenchecker mit Sitz in Nairobi.
Twitter: @Shiundu

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