Armutsbekämpfung

„Eine klare politische Linie“

In einkommensschwachen Ländern beschäftigt der informelle Sektor mehr Menschen als jeder andere Bereich. Informelle Unternehmen sind typischerweise klein und kämpfen unter widrigen Umständen mit geringen Wachstumschancen ums Überleben. Schwierigkeiten sind immer wieder die Unfähigkeit, Verträge einzuklagen, schlechter Zugang zu Kredit sowie mangelnde Qualifikationen. Die kenianische Regierung ist mit dieser Situation unzufrieden, denn sie erkennt in der Entwicklung von Klein- und Mikrounternehmen auf lange Sicht den Schlüssel zum Kampf gegen die Armut.

Interview mit Kennedy Manyala

Offiziellen Zahlen zufolge arbeiten mehr als 80 Prozent der Kenianer im informellen Sektor. In vielen anderen Entwicklungs­ländern sieht es genauso aus. Wieso halten Sie das für ein Problem?
Der informelle Sektor in Kenia ist bisher nicht aufgeblüht. Idealerweise wäre dieser Bereich ein Motor für Wachstum und Wandel und würde so dazu beitragen, die Armut zu verringern. In Asiens aufstrebenden Ländern beschäftigen Kleinunternehmen eine Menge Menschen und reduzieren damit Armut – zum Beispiel in China. Das sollte auch in Kenia so sein.

In vielen Entwicklungsländern schränken übertriebene Regeln den Privatsektor massiv ein. Folglich expandieren viele Unternehmen nicht und behalten ihren informellen Status bei, damit diese Vorschriften sie nicht betreffen. Ist das auch in Kenia der Fall?
Nein, das wurde bereits geändert. Das alte Lizenzsystem war kompliziert, verwirrend und destruktiv. Heute gibt es nur noch eine einzige Gewerbezulassung, die von lokalen Ämtern vergeben wird. Die Gebühr richtet sich je nach Größe des Geschäfts – und das war es. Laut Weltbank ist es in Kenia einfacher, Geschäfte zu machen, als in anderen Ländern mit niedrigen Einkommen. In dieser Kategorie liegen wir dem Doing-Business-Index zufolge auf dem 6. Platz.

Haben alle Kleinunternehmen eine Zulassung, selbst die kleinen Straßengeschäfte? Und zahlen sie Steuern?
Ja, sie haben die Zulassung und sind bis zu einem gewissen Maß formalisiert worden. Aber die wenigsten zahlen Steuern. Unsere Umsatzsteuer greift, wenn ein Unternehmen mehr als drei Millionen kenianische Schilling im Jahr umsetzt. Das entspricht etwa 36 000 Dollar. Die meisten Mikro- und Kleinunternehmen liegen weit darunter.

Welche Gewerbe gehören typischerweise zum informellen Sektor?
Da gibt es eine enorme Vielfalt. Ein Großteil der Landwirtschaft läuft über Kleinunternehmer. Aber es gibt auch Auto- oder Tischlerwerkstätten. Auch Schnellimbisse und Restaurants sind wichtig, und deren Besitzer machen ordentlich Profit. Ich weiß von einem Mann, der als Straßenverkäufer anfing, dann ein Restaurant eröffnete und heute ein Fünf-Sterne-Hotel in Kisumu hat, wo weiter lokale Küche angeboten wird. Genau diese Art erfolgreichen Unternehmertums brauchen wir. Der Fall ist mir bekannt, da mein Arbeitgeber, die Kenya Investment Authority, einen Weltbankkredit von 500 000 Schilling ermöglichte. So konnte der Mann sein Geschäft erweitern und zum Erfolg führen.

Also benötigt der informelle Sektor einen besseren Zugang zu Krediten?
Ja, finanzielle Dienstleistungen spielen auf jeden Fall eine Rolle. Aber in Kenia sieht es gar nicht so schlecht aus. Laut Weltbank rangieren wir in diesem Bereich unter allen einkommensschwachen Ländern an zweiter Stelle. Aber natürlich wollen wir nicht für immer einkommensschwach bleiben, also müssen wir weiter vorangehen. Und wir haben Spielraum für Verbesserungen. In Kenia gibt es viele kleinere und mittelständische Finanzinstitutionen, Kooperativen und gemeinsame Fonds, auf die alle Partner abwechselnd Zugriff haben. Eines unserer Ziele ist,
diese Strukturen auszubauen und sie in Mikrobanken umzuwandeln.

Welche weiteren Herausforderungen bestehen?
Wir müssen Märkte entwickeln, um mehr Unternehmen einen besseren Zugang zu Kunden zu ermöglichen. Zudem sollten wir es Betrieben erleichtern, engere Bindungen mit Geschäftspartnern auf lokaler und nationaler Ebene einzugehen.

Was ist mit Fortbildung und Beratung für Unternehmer und Mitarbeiter?
Diesen Aufgaben müssen wir uns stellen, wenn wir wollen, dass Kleinunternehmen zu starken, profitablen und Steuer zahlenden mittelständischen Betrieben heranwachsen. Dabei wären formale Qualifikationen und Zeugnisse hilfreich. Wenn Fähigkeiten nicht irgendwie geprüft werden, kann man nicht sichergehen, dass Leute tatsächlich über sie verfügen. Wie Sie sehen, begegnen wir zahlreichen Herausforderungen bei der Stärkung des informellen Sektors. Wir wissen, dass etwas geschehen muss. In der Vision 2030 bestätigt die Regierung, dass der Wandel nötig ist. Wir hoffen, deutsche Institutionen wie die KfW Entwicklungsbank oder die DEG unterstützen uns dabei.

Kooperieren Sie auch mit anderen Gebern?
Ja, wir arbeiten mit der Weltbank und deren Gesellschaft für Privatsektorstärkung, der International Finance-Corporation (IFC), zusammen. Viele NROs aus Europa und Nordamerika haben schon versucht, Kenias Privatsektor zu stärken. Wahrscheinlich haben sie dafür mehr Geld ausgegeben, als die kenianische Regierung in Form von Hilfe erhalten hat. Aber diese Programme haben die Probleme nicht gelöst. Oft haben sie gar nicht die Zielgruppe erreicht. Im Gespräch mit Kleinunternehmern erfahren wir meist, dass sie von solchen Programmen zwar gehört haben, aber nie Zugang hatten. Also müssen wir uns fragen, ob unsere Methoden richtig waren. Rückblickend hätten wir einige Themen bereits vor zehn Jahren in Angriff nehmen sollen. Aber wir waren nicht untätig. Das Lizenzsystem wurde reformiert, und die Vision 2030 hält Fortschritt im informellen Sektor für unerlässlich – es gibt also eine klare politische Linie.

Soll Unternehmertum im informellen Sektor generell unterstützt werden, oder gibt es Schwerpunkte?
Wir müssen strategisch vorgehen, also fokussieren wir uns auf sechs Bereiche:
– Tourismus,
– produzierendes Gewerbe,
– Land- und Viehwirtschaft,
– Informations- und Kommunikationstechnologie,
– Groß- und Einzelhandel sowie
– Finanzdienstleistungen.

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